und einen vernünftigen, zweckmäßigen Gebrauch da- von machen! Möchte ich diese zarte, fruchtbare, so viel Gutes versprechende Anlage meiner Natur sorg- fältig bewahren, ihr die gehörige Richtung und Aus- bildung geben und mir dadurch die Erfüllung aller meiner weiblichen Pflichten erleichtern!
Ja, die Schamhaftigkeit soll eine Freundin der Tugend und die ältere Schwester der Unschuld seyn. Zu dieser Absicht hast du dieselbe meinen übrigen Trie- ben beygesellt und ihr gleichsam die Aufsicht darüber anvertrauet. Es ist dein Wille, daß sie ganz vor- züglich die Begleiterin meiner Jugend und in dem gegenwärtigen Stande meine Führerin seyn soll. Ih- re Stimme muß mich warnen und belehren und auf- muntern und zurechte weisen; ihr Zuruf muß meine Kraft und meinen Muth stärken; das Gefühl ihrer Gegenwart muß meinen Tugendeifer beleben und an- fachen. Ich kann und darf dieser Empfindung der Schaamhaftigkeit sicher und ohne Gefahr folgen, weil sie mich nur das Gute, das Schöne, das Edle thun, und alles Schlechte und Niedrige und Schändliche vermeiden heißt.
Und wie sehr gereichet mir nicht die holde Schaam zur Zierde! Wie allgemein wird sie nicht von mei- nem Geschlechte und besonders von meinem jungfräu- lichen Stande gefordert! Sie ist das Erdreich, in welchem meine Tugend, meine Unschuld, meine Ehre gedeihen und feste Wurzel fassen müssen. Wenn ich von ihr begleitet in der Welt erscheine, wenn sie aus meinem Auge spricht und aus meinem Blicke hervor-
leuchtet,
Die Schaamhaftigkeit.
und einen vernünftigen, zweckmäßigen Gebrauch da- von machen! Möchte ich dieſe zarte, fruchtbare, ſo viel Gutes verſprechende Anlage meiner Natur ſorg- fältig bewahren, ihr die gehörige Richtung und Aus- bildung geben und mir dadurch die Erfüllung aller meiner weiblichen Pflichten erleichtern!
Ja, die Schamhaftigkeit ſoll eine Freundin der Tugend und die ältere Schweſter der Unſchuld ſeyn. Zu dieſer Abſicht haſt du dieſelbe meinen übrigen Trie- ben beygeſellt und ihr gleichſam die Aufſicht darüber anvertrauet. Es iſt dein Wille, daß ſie ganz vor- züglich die Begleiterin meiner Jugend und in dem gegenwärtigen Stande meine Führerin ſeyn ſoll. Ih- re Stimme muß mich warnen und belehren und auf- muntern und zurechte weiſen; ihr Zuruf muß meine Kraft und meinen Muth ſtärken; das Gefühl ihrer Gegenwart muß meinen Tugendeifer beleben und an- fachen. Ich kann und darf dieſer Empfindung der Schaamhaftigkeit ſicher und ohne Gefahr folgen, weil ſie mich nur das Gute, das Schöne, das Edle thun, und alles Schlechte und Niedrige und Schändliche vermeiden heißt.
Und wie ſehr gereichet mir nicht die holde Schaam zur Zierde! Wie allgemein wird ſie nicht von mei- nem Geſchlechte und beſonders von meinem jungfräu- lichen Stande gefordert! Sie iſt das Erdreich, in welchem meine Tugend, meine Unſchuld, meine Ehre gedeihen und feſte Wurzel faſſen müſſen. Wenn ich von ihr begleitet in der Welt erſcheine, wenn ſie aus meinem Auge ſpricht und aus meinem Blicke hervor-
leuchtet,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0122"n="110"/><fwplace="top"type="header">Die Schaamhaftigkeit.</fw><lb/>
und einen vernünftigen, zweckmäßigen Gebrauch da-<lb/>
von machen! Möchte ich dieſe zarte, fruchtbare, ſo<lb/>
viel Gutes verſprechende Anlage meiner Natur ſorg-<lb/>
fältig bewahren, ihr die gehörige Richtung und Aus-<lb/>
bildung geben und mir dadurch die Erfüllung aller<lb/>
meiner weiblichen Pflichten erleichtern!</p><lb/><p>Ja, die Schamhaftigkeit ſoll eine Freundin der<lb/>
Tugend und die ältere Schweſter der Unſchuld ſeyn.<lb/>
Zu dieſer Abſicht haſt du dieſelbe meinen übrigen Trie-<lb/>
ben beygeſellt und ihr gleichſam die Aufſicht darüber<lb/>
anvertrauet. Es iſt dein Wille, daß ſie ganz vor-<lb/>
züglich die Begleiterin meiner Jugend und in dem<lb/>
gegenwärtigen Stande meine Führerin ſeyn ſoll. Ih-<lb/>
re Stimme muß mich warnen und belehren und auf-<lb/>
muntern und zurechte weiſen; ihr Zuruf muß meine<lb/>
Kraft und meinen Muth ſtärken; das Gefühl ihrer<lb/>
Gegenwart muß meinen Tugendeifer beleben und an-<lb/>
fachen. Ich kann und darf dieſer Empfindung der<lb/>
Schaamhaftigkeit ſicher und ohne Gefahr folgen, weil<lb/>ſie mich nur das Gute, das Schöne, das Edle thun,<lb/>
und alles Schlechte und Niedrige und Schändliche<lb/>
vermeiden heißt.</p><lb/><p>Und wie ſehr gereichet mir nicht die holde Schaam<lb/>
zur Zierde! Wie allgemein wird ſie nicht von mei-<lb/>
nem Geſchlechte und beſonders von meinem jungfräu-<lb/>
lichen Stande gefordert! Sie iſt das Erdreich, in<lb/>
welchem meine Tugend, meine Unſchuld, meine Ehre<lb/>
gedeihen und feſte Wurzel faſſen müſſen. Wenn ich<lb/>
von ihr begleitet in der Welt erſcheine, wenn ſie aus<lb/>
meinem Auge ſpricht und aus meinem Blicke hervor-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">leuchtet,</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[110/0122]
Die Schaamhaftigkeit.
und einen vernünftigen, zweckmäßigen Gebrauch da-
von machen! Möchte ich dieſe zarte, fruchtbare, ſo
viel Gutes verſprechende Anlage meiner Natur ſorg-
fältig bewahren, ihr die gehörige Richtung und Aus-
bildung geben und mir dadurch die Erfüllung aller
meiner weiblichen Pflichten erleichtern!
Ja, die Schamhaftigkeit ſoll eine Freundin der
Tugend und die ältere Schweſter der Unſchuld ſeyn.
Zu dieſer Abſicht haſt du dieſelbe meinen übrigen Trie-
ben beygeſellt und ihr gleichſam die Aufſicht darüber
anvertrauet. Es iſt dein Wille, daß ſie ganz vor-
züglich die Begleiterin meiner Jugend und in dem
gegenwärtigen Stande meine Führerin ſeyn ſoll. Ih-
re Stimme muß mich warnen und belehren und auf-
muntern und zurechte weiſen; ihr Zuruf muß meine
Kraft und meinen Muth ſtärken; das Gefühl ihrer
Gegenwart muß meinen Tugendeifer beleben und an-
fachen. Ich kann und darf dieſer Empfindung der
Schaamhaftigkeit ſicher und ohne Gefahr folgen, weil
ſie mich nur das Gute, das Schöne, das Edle thun,
und alles Schlechte und Niedrige und Schändliche
vermeiden heißt.
Und wie ſehr gereichet mir nicht die holde Schaam
zur Zierde! Wie allgemein wird ſie nicht von mei-
nem Geſchlechte und beſonders von meinem jungfräu-
lichen Stande gefordert! Sie iſt das Erdreich, in
welchem meine Tugend, meine Unſchuld, meine Ehre
gedeihen und feſte Wurzel faſſen müſſen. Wenn ich
von ihr begleitet in der Welt erſcheine, wenn ſie aus
meinem Auge ſpricht und aus meinem Blicke hervor-
leuchtet,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Marezoll, Johann Gottlob: Andachtsbuch für das weibliche Geschlecht vorzüglich für den aufgeklärten Theil desselben. Bd. 2. Leipzig, 1788, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/marezoll_andachtsbuch02_1788/122>, abgerufen am 23.06.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.