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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Entwickelung der Principien der Statik.
fahrungen, den am meisten erprobten Regeln einge-
räumt. Unter den Erfahrungen nehmen wieder die
instinctiven, welche ohne alles persönliche Zuthun
lediglich durch die Wucht und die Häufung der auf
den Menschen eindringenden Thatsachen entstehen, eine
Sonderstellung ein, was wieder ganz gerechtfertigt ist,
wo es sich eben um das Ausschliessen der subjectiven
Willkür und des persönlichen Irrthums handelt.

Archimedes beweist in der angedeuteten Art sein
Hebelgesetz, Stevin sein Gesetz des schiefen Druckes,
Daniel Bernoulli das Kräftenparallelogramm, Lagrange
das Princip der virtuellen Verschiebungen. Nur Galilei
ist sich bei letzterm Satz vollkommen klar darüber,
dass seine neue Beobachtung und Bemerkung jeder an-
dern ältern ebenbürtig sei, dass sie aus derselben
Erfahrungsquelle stamme. Er versucht gar keinen Be-
weis. Archimedes verwendet bei seinem Beweis Kennt-
nisse über den Schwerpunkt, die er wol selbst mit
Hülfe des Hebelsatzes schon abgeleitet hat, die ihm
aber wahrscheinlich auch von anderer Seite her als alte
Erfahrungen so geläufig waren, dass er nicht mehr an
denselben zweifelte, ja ihre Verwendung bei dem Be-
weis vielleicht nicht einmal bemerkte. Auf die in-
stiuctiven Elemente in den Betrachtungen von Archi-
medes und Stevin ist gehörigen Orts schon ausführlich
eingegangen worden.

4. Es ist ganz in der Ordnung, dass bei Gelegen-
heit einer neuen Entdeckung alle Mittel herangezogen
werden, welche zur Prüfung einer neuen Regel dienen
können. Wenn aber die Regel nach Verlauf einer ent-
sprechenden Zeit genügend oft direct erprobt worden
ist, geziemt es der Wissenschaft zu erkennen, dass ein
anderer Beweis ganz unnöthig geworden ist, dass es
keinen Sinn hat, eine Regel für mehr gesichert zu hal-
ten, indem man sie auf andere stützt, welche (nur etwas
früher) auf ganz demselben Wege der Beobachtung ge-
wonnen worden sind, dass eine besonnene und erprobte
Beobachtung so gut ist als eine andere. Wir können

Entwickelung der Principien der Statik.
fahrungen, den am meisten erprobten Regeln einge-
räumt. Unter den Erfahrungen nehmen wieder die
instinctiven, welche ohne alles persönliche Zuthun
lediglich durch die Wucht und die Häufung der auf
den Menschen eindringenden Thatsachen entstehen, eine
Sonderstellung ein, was wieder ganz gerechtfertigt ist,
wo es sich eben um das Ausschliessen der subjectiven
Willkür und des persönlichen Irrthums handelt.

Archimedes beweist in der angedeuteten Art sein
Hebelgesetz, Stevin sein Gesetz des schiefen Druckes,
Daniel Bernoulli das Kräftenparallelogramm, Lagrange
das Princip der virtuellen Verschiebungen. Nur Galilei
ist sich bei letzterm Satz vollkommen klar darüber,
dass seine neue Beobachtung und Bemerkung jeder an-
dern ältern ebenbürtig sei, dass sie aus derselben
Erfahrungsquelle stamme. Er versucht gar keinen Be-
weis. Archimedes verwendet bei seinem Beweis Kennt-
nisse über den Schwerpunkt, die er wol selbst mit
Hülfe des Hebelsatzes schon abgeleitet hat, die ihm
aber wahrscheinlich auch von anderer Seite her als alte
Erfahrungen so geläufig waren, dass er nicht mehr an
denselben zweifelte, ja ihre Verwendung bei dem Be-
weis vielleicht nicht einmal bemerkte. Auf die in-
stiuctiven Elemente in den Betrachtungen von Archi-
medes und Stevin ist gehörigen Orts schon ausführlich
eingegangen worden.

4. Es ist ganz in der Ordnung, dass bei Gelegen-
heit einer neuen Entdeckung alle Mittel herangezogen
werden, welche zur Prüfung einer neuen Regel dienen
können. Wenn aber die Regel nach Verlauf einer ent-
sprechenden Zeit genügend oft direct erprobt worden
ist, geziemt es der Wissenschaft zu erkennen, dass ein
anderer Beweis ganz unnöthig geworden ist, dass es
keinen Sinn hat, eine Regel für mehr gesichert zu hal-
ten, indem man sie auf andere stützt, welche (nur etwas
früher) auf ganz demselben Wege der Beobachtung ge-
wonnen worden sind, dass eine besonnene und erprobte
Beobachtung so gut ist als eine andere. Wir können

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[75/0087] Entwickelung der Principien der Statik. fahrungen, den am meisten erprobten Regeln einge- räumt. Unter den Erfahrungen nehmen wieder die instinctiven, welche ohne alles persönliche Zuthun lediglich durch die Wucht und die Häufung der auf den Menschen eindringenden Thatsachen entstehen, eine Sonderstellung ein, was wieder ganz gerechtfertigt ist, wo es sich eben um das Ausschliessen der subjectiven Willkür und des persönlichen Irrthums handelt. Archimedes beweist in der angedeuteten Art sein Hebelgesetz, Stevin sein Gesetz des schiefen Druckes, Daniel Bernoulli das Kräftenparallelogramm, Lagrange das Princip der virtuellen Verschiebungen. Nur Galilei ist sich bei letzterm Satz vollkommen klar darüber, dass seine neue Beobachtung und Bemerkung jeder an- dern ältern ebenbürtig sei, dass sie aus derselben Erfahrungsquelle stamme. Er versucht gar keinen Be- weis. Archimedes verwendet bei seinem Beweis Kennt- nisse über den Schwerpunkt, die er wol selbst mit Hülfe des Hebelsatzes schon abgeleitet hat, die ihm aber wahrscheinlich auch von anderer Seite her als alte Erfahrungen so geläufig waren, dass er nicht mehr an denselben zweifelte, ja ihre Verwendung bei dem Be- weis vielleicht nicht einmal bemerkte. Auf die in- stiuctiven Elemente in den Betrachtungen von Archi- medes und Stevin ist gehörigen Orts schon ausführlich eingegangen worden. 4. Es ist ganz in der Ordnung, dass bei Gelegen- heit einer neuen Entdeckung alle Mittel herangezogen werden, welche zur Prüfung einer neuen Regel dienen können. Wenn aber die Regel nach Verlauf einer ent- sprechenden Zeit genügend oft direct erprobt worden ist, geziemt es der Wissenschaft zu erkennen, dass ein anderer Beweis ganz unnöthig geworden ist, dass es keinen Sinn hat, eine Regel für mehr gesichert zu hal- ten, indem man sie auf andere stützt, welche (nur etwas früher) auf ganz demselben Wege der Beobachtung ge- wonnen worden sind, dass eine besonnene und erprobte Beobachtung so gut ist als eine andere. Wir können

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/87>, abgerufen am 28.04.2024.