scheinungen bei weiterer Abkürzung plötzlich in neue übergehen, so würde die Vorstellung der Schwingung nichts mehr nützen, weil dieselbe kein Mittel mehr bieten würde, die neuen Erfahrungen durch die frühern zu ergänzen.
Wenn wir zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen uns unwahrnehmbare Empfindungen und Ge- danken, ähnlich den unserigen, hinzudenken, so hat diese Vorstellung einen ökonomischen Werth, indem sie uns die Erfahrung verständlich macht, d. h. ergänzt und erspart. Diese Vorstellung wird nur deshalb nicht als eine grosse wissenschaftliche Entdeckung betrachtet. weil sie sich so mächtig aufdrängt, dass jedes Kind sie findet. Man verfährt ganz ähnlich, wenn man sich einen eben hinter einer Säule verschwundenen bewegten Körper, oder einen eben nicht sichtbaren Kometen mit allen seinen vorher beobachteten Eigenschaften in seiner Bahn fortbewegt denkt, um durch das Wiedererscheinen nicht überrascht zu werden. Man füllt die Erfahrungs- lücken durch die Vorstellungen aus, welche eben die Erfahrung an die Hand gegeben hat.
9. Nicht jede bestehende wissenschaftliche Theorie ergibt sich so natürlich und ungekünstelt. Wenn z. B. chemische, elektrische, optische Erscheinungen durch Atome erklärt werden, so hat sich die Hülfsvorstellung der Atome nicht nach dem Princip der Continuität er- geben, sie ist vielmehr für diesen Zweck eigens er- funden. Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge. Ja, den Atomen werden zum Theil Eigenschaften zugeschrieben, welche allen bisher beobachteten widersprechen. Mögen die Atomtheorien immerhin geeignet sein, eine Reihe von Thatsachen darzustellen, die Naturforscher, welche New- ton's Regeln des Philosophirens sich zu Herzen ge- nommen haben, werden diese Theorien nur als provi- sorische Hülfsmittel gelten lassen, und einen Ersatz durch eine natürlichere Anschauung anstreben.
Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche
Die formelle Entwickelung der Mechanik.
scheinungen bei weiterer Abkürzung plötzlich in neue übergehen, so würde die Vorstellung der Schwingung nichts mehr nützen, weil dieselbe kein Mittel mehr bieten würde, die neuen Erfahrungen durch die frühern zu ergänzen.
Wenn wir zu den wahrnehmbaren Handlungen der Menschen uns unwahrnehmbare Empfindungen und Ge- danken, ähnlich den unserigen, hinzudenken, so hat diese Vorstellung einen ökonomischen Werth, indem sie uns die Erfahrung verständlich macht, d. h. ergänzt und erspart. Diese Vorstellung wird nur deshalb nicht als eine grosse wissenschaftliche Entdeckung betrachtet. weil sie sich so mächtig aufdrängt, dass jedes Kind sie findet. Man verfährt ganz ähnlich, wenn man sich einen eben hinter einer Säule verschwundenen bewegten Körper, oder einen eben nicht sichtbaren Kometen mit allen seinen vorher beobachteten Eigenschaften in seiner Bahn fortbewegt denkt, um durch das Wiedererscheinen nicht überrascht zu werden. Man füllt die Erfahrungs- lücken durch die Vorstellungen aus, welche eben die Erfahrung an die Hand gegeben hat.
9. Nicht jede bestehende wissenschaftliche Theorie ergibt sich so natürlich und ungekünstelt. Wenn z. B. chemische, elektrische, optische Erscheinungen durch Atome erklärt werden, so hat sich die Hülfsvorstellung der Atome nicht nach dem Princip der Continuität er- geben, sie ist vielmehr für diesen Zweck eigens er- funden. Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie sind wie alle Substanzen Gedankendinge. Ja, den Atomen werden zum Theil Eigenschaften zugeschrieben, welche allen bisher beobachteten widersprechen. Mögen die Atomtheorien immerhin geeignet sein, eine Reihe von Thatsachen darzustellen, die Naturforscher, welche New- ton’s Regeln des Philosophirens sich zu Herzen ge- nommen haben, werden diese Theorien nur als provi- sorische Hülfsmittel gelten lassen, und einen Ersatz durch eine natürlichere Anschauung anstreben.
Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0475"n="463"/><fwplace="top"type="header">Die formelle Entwickelung der Mechanik.</fw><lb/>
scheinungen bei weiterer Abkürzung plötzlich in <hirendition="#g">neue</hi><lb/>
übergehen, so würde die Vorstellung der Schwingung<lb/>
nichts mehr <hirendition="#g">nützen</hi>, weil dieselbe kein Mittel mehr<lb/>
bieten würde, die neuen Erfahrungen durch die frühern<lb/>
zu <hirendition="#g">ergänzen</hi>.</p><lb/><p>Wenn wir zu den wahrnehmbaren Handlungen der<lb/>
Menschen uns unwahrnehmbare Empfindungen und Ge-<lb/>
danken, ähnlich den unserigen, hinzudenken, so hat<lb/>
diese Vorstellung einen ökonomischen Werth, indem sie<lb/>
uns die Erfahrung verständlich macht, d. h. ergänzt<lb/>
und erspart. Diese Vorstellung wird nur deshalb nicht<lb/>
als eine grosse wissenschaftliche Entdeckung betrachtet.<lb/>
weil sie sich so mächtig aufdrängt, dass jedes Kind sie<lb/>
findet. Man verfährt ganz ähnlich, wenn man sich<lb/>
einen eben hinter einer Säule verschwundenen bewegten<lb/>
Körper, oder einen eben nicht sichtbaren Kometen mit<lb/>
allen seinen vorher beobachteten Eigenschaften in seiner<lb/>
Bahn fortbewegt denkt, um durch das Wiedererscheinen<lb/>
nicht überrascht zu werden. Man füllt die Erfahrungs-<lb/>
lücken durch die Vorstellungen aus, welche eben die<lb/>
Erfahrung an die Hand gegeben hat.</p><lb/><p>9. Nicht jede bestehende wissenschaftliche Theorie<lb/>
ergibt sich so natürlich und <hirendition="#g">ungekünstelt</hi>. Wenn z. B.<lb/>
chemische, elektrische, optische Erscheinungen durch<lb/>
Atome erklärt werden, so hat sich die Hülfsvorstellung<lb/>
der Atome nicht nach dem Princip der Continuität er-<lb/>
geben, sie ist vielmehr für diesen Zweck eigens er-<lb/>
funden. Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie<lb/>
sind wie alle Substanzen Gedankendinge. Ja, den Atomen<lb/>
werden zum Theil Eigenschaften zugeschrieben, welche<lb/>
allen bisher beobachteten widersprechen. Mögen die<lb/>
Atomtheorien immerhin geeignet sein, eine Reihe von<lb/>
Thatsachen darzustellen, die Naturforscher, welche New-<lb/>
ton’s Regeln des Philosophirens sich zu Herzen ge-<lb/>
nommen haben, werden diese Theorien nur als <hirendition="#g">provi-<lb/>
sorische</hi> Hülfsmittel gelten lassen, und einen Ersatz<lb/>
durch eine natürlichere Anschauung anstreben.</p><lb/><p>Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[463/0475]
Die formelle Entwickelung der Mechanik.
scheinungen bei weiterer Abkürzung plötzlich in neue
übergehen, so würde die Vorstellung der Schwingung
nichts mehr nützen, weil dieselbe kein Mittel mehr
bieten würde, die neuen Erfahrungen durch die frühern
zu ergänzen.
Wenn wir zu den wahrnehmbaren Handlungen der
Menschen uns unwahrnehmbare Empfindungen und Ge-
danken, ähnlich den unserigen, hinzudenken, so hat
diese Vorstellung einen ökonomischen Werth, indem sie
uns die Erfahrung verständlich macht, d. h. ergänzt
und erspart. Diese Vorstellung wird nur deshalb nicht
als eine grosse wissenschaftliche Entdeckung betrachtet.
weil sie sich so mächtig aufdrängt, dass jedes Kind sie
findet. Man verfährt ganz ähnlich, wenn man sich
einen eben hinter einer Säule verschwundenen bewegten
Körper, oder einen eben nicht sichtbaren Kometen mit
allen seinen vorher beobachteten Eigenschaften in seiner
Bahn fortbewegt denkt, um durch das Wiedererscheinen
nicht überrascht zu werden. Man füllt die Erfahrungs-
lücken durch die Vorstellungen aus, welche eben die
Erfahrung an die Hand gegeben hat.
9. Nicht jede bestehende wissenschaftliche Theorie
ergibt sich so natürlich und ungekünstelt. Wenn z. B.
chemische, elektrische, optische Erscheinungen durch
Atome erklärt werden, so hat sich die Hülfsvorstellung
der Atome nicht nach dem Princip der Continuität er-
geben, sie ist vielmehr für diesen Zweck eigens er-
funden. Atome können wir nirgends wahrnehmen, sie
sind wie alle Substanzen Gedankendinge. Ja, den Atomen
werden zum Theil Eigenschaften zugeschrieben, welche
allen bisher beobachteten widersprechen. Mögen die
Atomtheorien immerhin geeignet sein, eine Reihe von
Thatsachen darzustellen, die Naturforscher, welche New-
ton’s Regeln des Philosophirens sich zu Herzen ge-
nommen haben, werden diese Theorien nur als provi-
sorische Hülfsmittel gelten lassen, und einen Ersatz
durch eine natürlichere Anschauung anstreben.
Die Atomtheorie hat in der Physik eine ähnliche
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/475>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.