Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Viertes Kapitel.
allein zu entscheiden haben, werden wir uns hoffent-
lich zum Wohle der Menschheit langsam, allmählich aber
sicher, jenem Ideale einer einheitlichen Weltan-
schauung nähern, welches allein verträglich ist mit der
Oekonomie eines gesunden Gemüthes.

3. Die analytische Mechanik.

1. Newton's Mechanik ist eine rein geometrische.
Er entwickelt seine Sätze von gewissen Annahmen aus-
gehend mit Hülfe von Constructionen an der Figur.
Der Gang ist häufig so künstlich, dass, wie schon Laplace
bemerkt hat, eine Auffindung der Sätze auf diesem
Wege nicht wahrscheinlich ist. Man erkennt auch, dass
die Newton'schen Darstellungen nicht ebenso aufrichtig
sind, als jene von Galilei und Huyghens. Die Methode
Newton's wird, sowie jene der alten Geometer, auch als
die synthetische bezeichnet.

Zieht man aus gegebenen Voraussetzungen eine
Folgerung, so nennt man diesen Vorgang synthetisch.
Sucht man umgekehrt zu einem Satz oder zu den
Eigenschaften einer Figur die Bedingungen auf, so geht
man analytisch vor. Das letztere Verfahren ist haupt-
sächlich erst durch Anwendung der Algebra auf die
Geometrie in ausgedehntern Gebrauch gekommen. Es
ist deshalb üblich geworden, das rechnende Verfahren
überhaupt das analytische zu nennen. Was heute analy-
tische Mechanik im Gegensatze zur Newton'schen Mecha-
nik heisst, ist genau genommen rechnende Mechanik.

2. Der Grund zur analytischen Mechanik ist von Euler
gelegt worden (Mechanica, sive motus scientia analytice
exposita, Petrop. 1736). Während aber Euler's Ver-
fahren noch dadurch an die alte geometrische Methode
erinnert, dass er alle Kräfte bei krummlinigen Be-
wegungen in Tangential- und Normalkräfte zerlegt,
begründet Maclaurin (A complete system of fluxions,
Edinb. 1742) einen wesentlichen Fortschritt. Er nimmt
alle Zerlegungen nach drei unveränderlichen Richtungen

Viertes Kapitel.
allein zu entscheiden haben, werden wir uns hoffent-
lich zum Wohle der Menschheit langsam, allmählich aber
sicher, jenem Ideale einer einheitlichen Weltan-
schauung nähern, welches allein verträglich ist mit der
Oekonomie eines gesunden Gemüthes.

3. Die analytische Mechanik.

1. Newton’s Mechanik ist eine rein geometrische.
Er entwickelt seine Sätze von gewissen Annahmen aus-
gehend mit Hülfe von Constructionen an der Figur.
Der Gang ist häufig so künstlich, dass, wie schon Laplace
bemerkt hat, eine Auffindung der Sätze auf diesem
Wege nicht wahrscheinlich ist. Man erkennt auch, dass
die Newton’schen Darstellungen nicht ebenso aufrichtig
sind, als jene von Galilei und Huyghens. Die Methode
Newton’s wird, sowie jene der alten Geometer, auch als
die synthetische bezeichnet.

Zieht man aus gegebenen Voraussetzungen eine
Folgerung, so nennt man diesen Vorgang synthetisch.
Sucht man umgekehrt zu einem Satz oder zu den
Eigenschaften einer Figur die Bedingungen auf, so geht
man analytisch vor. Das letztere Verfahren ist haupt-
sächlich erst durch Anwendung der Algebra auf die
Geometrie in ausgedehntern Gebrauch gekommen. Es
ist deshalb üblich geworden, das rechnende Verfahren
überhaupt das analytische zu nennen. Was heute analy-
tische Mechanik im Gegensatze zur Newton’schen Mecha-
nik heisst, ist genau genommen rechnende Mechanik.

2. Der Grund zur analytischen Mechanik ist von Euler
gelegt worden (Mechanica, sive motus scientia analytice
exposita, Petrop. 1736). Während aber Euler’s Ver-
fahren noch dadurch an die alte geometrische Methode
erinnert, dass er alle Kräfte bei krummlinigen Be-
wegungen in Tangential- und Normalkräfte zerlegt,
begründet Maclaurin (A complete system of fluxions,
Edinb. 1742) einen wesentlichen Fortschritt. Er nimmt
alle Zerlegungen nach drei unveränderlichen Richtungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0450" n="438"/><fw place="top" type="header">Viertes Kapitel.</fw><lb/><hi rendition="#g">allein</hi> zu entscheiden haben, werden wir uns hoffent-<lb/>
lich zum Wohle der Menschheit langsam, allmählich aber<lb/>
sicher, jenem Ideale einer <hi rendition="#g">einheitlichen</hi> Weltan-<lb/>
schauung nähern, welches allein verträglich ist mit der<lb/>
Oekonomie eines gesunden Gemüthes.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#i">3. Die analytische Mechanik.</hi> </head><lb/>
          <p>1. Newton&#x2019;s Mechanik ist eine rein <hi rendition="#g">geometrische</hi>.<lb/>
Er entwickelt seine Sätze von gewissen Annahmen aus-<lb/>
gehend mit Hülfe von Constructionen an der Figur.<lb/>
Der Gang ist häufig so künstlich, dass, wie schon Laplace<lb/>
bemerkt hat, eine Auffindung der Sätze auf diesem<lb/>
Wege nicht wahrscheinlich ist. Man erkennt auch, dass<lb/>
die Newton&#x2019;schen Darstellungen nicht ebenso aufrichtig<lb/>
sind, als jene von Galilei und Huyghens. Die Methode<lb/>
Newton&#x2019;s wird, sowie jene der alten Geometer, auch als<lb/>
die <hi rendition="#g">synthetische</hi> bezeichnet.</p><lb/>
          <p>Zieht man aus gegebenen Voraussetzungen eine<lb/>
Folgerung, so nennt man diesen Vorgang <hi rendition="#g">synthetisch</hi>.<lb/>
Sucht man umgekehrt zu einem Satz oder zu den<lb/>
Eigenschaften einer Figur die Bedingungen auf, so geht<lb/>
man <hi rendition="#g">analytisch</hi> vor. Das letztere Verfahren ist haupt-<lb/>
sächlich erst durch Anwendung der Algebra auf die<lb/>
Geometrie in ausgedehntern Gebrauch gekommen. Es<lb/>
ist deshalb üblich geworden, das rechnende Verfahren<lb/>
überhaupt das analytische zu nennen. Was heute analy-<lb/>
tische Mechanik im Gegensatze zur Newton&#x2019;schen Mecha-<lb/>
nik heisst, ist genau genommen <hi rendition="#g">rechnende</hi> Mechanik.</p><lb/>
          <p>2. Der Grund zur analytischen Mechanik ist von Euler<lb/>
gelegt worden (Mechanica, sive motus scientia analytice<lb/>
exposita, Petrop. 1736). Während aber Euler&#x2019;s Ver-<lb/>
fahren noch dadurch an die alte geometrische Methode<lb/>
erinnert, dass er alle Kräfte bei krummlinigen Be-<lb/>
wegungen in Tangential- und Normalkräfte zerlegt,<lb/>
begründet Maclaurin (A complete system of fluxions,<lb/>
Edinb. 1742) einen wesentlichen Fortschritt. Er nimmt<lb/>
alle Zerlegungen nach drei unveränderlichen Richtungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[438/0450] Viertes Kapitel. allein zu entscheiden haben, werden wir uns hoffent- lich zum Wohle der Menschheit langsam, allmählich aber sicher, jenem Ideale einer einheitlichen Weltan- schauung nähern, welches allein verträglich ist mit der Oekonomie eines gesunden Gemüthes. 3. Die analytische Mechanik. 1. Newton’s Mechanik ist eine rein geometrische. Er entwickelt seine Sätze von gewissen Annahmen aus- gehend mit Hülfe von Constructionen an der Figur. Der Gang ist häufig so künstlich, dass, wie schon Laplace bemerkt hat, eine Auffindung der Sätze auf diesem Wege nicht wahrscheinlich ist. Man erkennt auch, dass die Newton’schen Darstellungen nicht ebenso aufrichtig sind, als jene von Galilei und Huyghens. Die Methode Newton’s wird, sowie jene der alten Geometer, auch als die synthetische bezeichnet. Zieht man aus gegebenen Voraussetzungen eine Folgerung, so nennt man diesen Vorgang synthetisch. Sucht man umgekehrt zu einem Satz oder zu den Eigenschaften einer Figur die Bedingungen auf, so geht man analytisch vor. Das letztere Verfahren ist haupt- sächlich erst durch Anwendung der Algebra auf die Geometrie in ausgedehntern Gebrauch gekommen. Es ist deshalb üblich geworden, das rechnende Verfahren überhaupt das analytische zu nennen. Was heute analy- tische Mechanik im Gegensatze zur Newton’schen Mecha- nik heisst, ist genau genommen rechnende Mechanik. 2. Der Grund zur analytischen Mechanik ist von Euler gelegt worden (Mechanica, sive motus scientia analytice exposita, Petrop. 1736). Während aber Euler’s Ver- fahren noch dadurch an die alte geometrische Methode erinnert, dass er alle Kräfte bei krummlinigen Be- wegungen in Tangential- und Normalkräfte zerlegt, begründet Maclaurin (A complete system of fluxions, Edinb. 1742) einen wesentlichen Fortschritt. Er nimmt alle Zerlegungen nach drei unveränderlichen Richtungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/450
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/450>, abgerufen am 22.05.2024.