Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel.
weiter zu bauen. Er dürfte zum Theil durch die Schwierig-
keit und Neuheit des Gegenstandes seinen Zeitgenossen
gegenüber zu einer grossen Breite und dadurch zu
einer gewissen Zerrissenheit der Darstellung genöthigt
gewesen sein, infolge welcher z. B. ein und dieselbe
Eigenschaft der mechanischen Vorgänge mehrmals for-
mulirt erscheint. Theilweise war er aber nachweislich
über die Bedeutung und namentlich über die Erkennt-
nissquelle seiner Sätze selbst nicht vollkommen klar.
Und auch dies vermag nicht den leisesten Schatten auf
seine geistige Grösse zu werfen. Derjenige, welcher
einen neuen Standpunkt zu erwerben hat, kann den-
selben natürlich nicht von vornherein so sicher inne-
haben, wie jene, welche diesen Standpunkt mühelos von
ihm übernehmen. Er hat genug gethan, wenn er Wahr-
heiten gefunden hat, auf die man weiter bauen kann.
Denn jede neue Folgerung bietet zugleich eine neue
Einsicht, eine neue Controle, eine Erweiterung der
Uebersicht, eine Klärung des Standpunktes. Der Feld-
herr so wenig als der grosse Entdecker kann bei jedem
gewonnenen Posten kleinliche Untersuchungen darüber
anstellen, mit welchem Recht er denselben besitzt. Die
Grösse der zu lösenden Aufgabe lässt hierzu keine Zeit.
Später wird dies anders. Von den beiden folgenden
Jahrhunderten durfte Newton wohl erwarten, dass sie
die Grundlagen des von ihm Geschaffenen weiter unter-
suchen und befestigen würden. In der That können
in Zeiten grösserer wissenschaftlicher Ruhe die Prin-
cipi en ein höheres philosophisches Interesse gewinnen,
als alles, was sich auf dieselben bauen lässt. Dann
treten Fragen auf, wie die hier behandelten, zu deren
Beantwortung hier vielleicht ein kleiner Beitrag geliefert
worden ist. Wir stimmen dem mit Recht hochberühmten
Physiker W. Thomson in der Verehrung und Bewun-
derung Newton's bei. Sir W. Thomson's Ansicht aber,
dass die Newton'schen Aufstellungen auch heute noch
das Beste und Philosophischste seien, was man geben
könne, ist uns schwer verständlich.

Zweites Kapitel.
weiter zu bauen. Er dürfte zum Theil durch die Schwierig-
keit und Neuheit des Gegenstandes seinen Zeitgenossen
gegenüber zu einer grossen Breite und dadurch zu
einer gewissen Zerrissenheit der Darstellung genöthigt
gewesen sein, infolge welcher z. B. ein und dieselbe
Eigenschaft der mechanischen Vorgänge mehrmals for-
mulirt erscheint. Theilweise war er aber nachweislich
über die Bedeutung und namentlich über die Erkennt-
nissquelle seiner Sätze selbst nicht vollkommen klar.
Und auch dies vermag nicht den leisesten Schatten auf
seine geistige Grösse zu werfen. Derjenige, welcher
einen neuen Standpunkt zu erwerben hat, kann den-
selben natürlich nicht von vornherein so sicher inne-
haben, wie jene, welche diesen Standpunkt mühelos von
ihm übernehmen. Er hat genug gethan, wenn er Wahr-
heiten gefunden hat, auf die man weiter bauen kann.
Denn jede neue Folgerung bietet zugleich eine neue
Einsicht, eine neue Controle, eine Erweiterung der
Uebersicht, eine Klärung des Standpunktes. Der Feld-
herr so wenig als der grosse Entdecker kann bei jedem
gewonnenen Posten kleinliche Untersuchungen darüber
anstellen, mit welchem Recht er denselben besitzt. Die
Grösse der zu lösenden Aufgabe lässt hierzu keine Zeit.
Später wird dies anders. Von den beiden folgenden
Jahrhunderten durfte Newton wohl erwarten, dass sie
die Grundlagen des von ihm Geschaffenen weiter unter-
suchen und befestigen würden. In der That können
in Zeiten grösserer wissenschaftlicher Ruhe die Prin-
cipi en ein höheres philosophisches Interesse gewinnen,
als alles, was sich auf dieselben bauen lässt. Dann
treten Fragen auf, wie die hier behandelten, zu deren
Beantwortung hier vielleicht ein kleiner Beitrag geliefert
worden ist. Wir stimmen dem mit Recht hochberühmten
Physiker W. Thomson in der Verehrung und Bewun-
derung Newton’s bei. Sir W. Thomson’s Ansicht aber,
dass die Newton’schen Aufstellungen auch heute noch
das Beste und Philosophischste seien, was man geben
könne, ist uns schwer verständlich.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0240" n="228"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel.</fw><lb/>
weiter zu bauen. Er dürfte zum Theil durch die Schwierig-<lb/>
keit und Neuheit des Gegenstandes seinen Zeitgenossen<lb/>
gegenüber zu einer grossen Breite und dadurch zu<lb/>
einer gewissen Zerrissenheit der Darstellung genöthigt<lb/>
gewesen sein, infolge welcher z. B. ein und dieselbe<lb/>
Eigenschaft der mechanischen Vorgänge mehrmals for-<lb/>
mulirt erscheint. Theilweise war er aber nachweislich<lb/>
über die Bedeutung und namentlich über die Erkennt-<lb/>
nissquelle seiner Sätze selbst nicht vollkommen klar.<lb/>
Und auch dies vermag nicht den leisesten Schatten auf<lb/>
seine geistige Grösse zu werfen. Derjenige, welcher<lb/>
einen neuen Standpunkt zu erwerben hat, kann den-<lb/>
selben natürlich nicht von vornherein so sicher inne-<lb/>
haben, wie jene, welche diesen Standpunkt mühelos von<lb/>
ihm übernehmen. Er hat genug gethan, wenn er Wahr-<lb/>
heiten gefunden hat, auf die man weiter bauen kann.<lb/>
Denn jede neue Folgerung bietet zugleich eine neue<lb/>
Einsicht, eine neue Controle, eine Erweiterung der<lb/>
Uebersicht, eine Klärung des Standpunktes. Der Feld-<lb/>
herr so wenig als der grosse Entdecker kann bei jedem<lb/>
gewonnenen Posten kleinliche Untersuchungen darüber<lb/>
anstellen, mit welchem Recht er denselben besitzt. Die<lb/>
Grösse der zu lösenden Aufgabe lässt hierzu keine Zeit.<lb/>
Später wird dies anders. Von den beiden folgenden<lb/>
Jahrhunderten durfte Newton wohl erwarten, dass sie<lb/>
die Grundlagen des von ihm Geschaffenen weiter unter-<lb/>
suchen und befestigen würden. In der That können<lb/>
in Zeiten grösserer wissenschaftlicher Ruhe die Prin-<lb/>
cipi en ein höheres philosophisches Interesse gewinnen,<lb/>
als alles, was sich auf dieselben bauen lässt. Dann<lb/>
treten Fragen auf, wie die hier behandelten, zu deren<lb/>
Beantwortung hier vielleicht ein kleiner Beitrag geliefert<lb/>
worden ist. Wir stimmen dem mit Recht hochberühmten<lb/>
Physiker W. Thomson in der Verehrung und Bewun-<lb/>
derung Newton&#x2019;s bei. Sir W. Thomson&#x2019;s Ansicht aber,<lb/>
dass die Newton&#x2019;schen Aufstellungen auch heute noch<lb/>
das Beste und Philosophischste seien, was man geben<lb/>
könne, ist uns schwer verständlich.</p>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[228/0240] Zweites Kapitel. weiter zu bauen. Er dürfte zum Theil durch die Schwierig- keit und Neuheit des Gegenstandes seinen Zeitgenossen gegenüber zu einer grossen Breite und dadurch zu einer gewissen Zerrissenheit der Darstellung genöthigt gewesen sein, infolge welcher z. B. ein und dieselbe Eigenschaft der mechanischen Vorgänge mehrmals for- mulirt erscheint. Theilweise war er aber nachweislich über die Bedeutung und namentlich über die Erkennt- nissquelle seiner Sätze selbst nicht vollkommen klar. Und auch dies vermag nicht den leisesten Schatten auf seine geistige Grösse zu werfen. Derjenige, welcher einen neuen Standpunkt zu erwerben hat, kann den- selben natürlich nicht von vornherein so sicher inne- haben, wie jene, welche diesen Standpunkt mühelos von ihm übernehmen. Er hat genug gethan, wenn er Wahr- heiten gefunden hat, auf die man weiter bauen kann. Denn jede neue Folgerung bietet zugleich eine neue Einsicht, eine neue Controle, eine Erweiterung der Uebersicht, eine Klärung des Standpunktes. Der Feld- herr so wenig als der grosse Entdecker kann bei jedem gewonnenen Posten kleinliche Untersuchungen darüber anstellen, mit welchem Recht er denselben besitzt. Die Grösse der zu lösenden Aufgabe lässt hierzu keine Zeit. Später wird dies anders. Von den beiden folgenden Jahrhunderten durfte Newton wohl erwarten, dass sie die Grundlagen des von ihm Geschaffenen weiter unter- suchen und befestigen würden. In der That können in Zeiten grösserer wissenschaftlicher Ruhe die Prin- cipi en ein höheres philosophisches Interesse gewinnen, als alles, was sich auf dieselben bauen lässt. Dann treten Fragen auf, wie die hier behandelten, zu deren Beantwortung hier vielleicht ein kleiner Beitrag geliefert worden ist. Wir stimmen dem mit Recht hochberühmten Physiker W. Thomson in der Verehrung und Bewun- derung Newton’s bei. Sir W. Thomson’s Ansicht aber, dass die Newton’schen Aufstellungen auch heute noch das Beste und Philosophischste seien, was man geben könne, ist uns schwer verständlich.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/240
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/240>, abgerufen am 03.05.2024.