Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

Zweites Kapitel.
der Thatsache, dass die schweren Körper nicht das
Bestreben haben zu steigen, sondern das zu sinken.
Würden wir also annehmen, dass ein Körper auf der
Länge der schiefen Ebene fallend, etwa eine grössere
Geschwindigkeit erlangt als der vertical die Höhe durch-
fallende, so könnten wir denselben mit der erlangten
Geschwindigkeit auf eine andere schiefe oder verticale
Ebene übergehen lassen, auf welcher er zu einer grössern
Verticalhöhe aufsteigen würde. Würde hingegen die
erlangte Geschwindigkeit auf der schiefen Ebene kleiner
sein, so brauchten wir den Process nur umzukehren, um
dasselbe zu erreichen. In beiden Fällen könnte ein
schwerer Körper bei passender Anordnung von schiefen
Ebenen lediglich durch sein eigenes Gewicht fort und
fort in die Höhe getrieben werden, was unserer instinc-
tiven Kenntniss der Natur der schweren Körper durch-
aus widerspricht.

6. Galilei ist wieder nicht blos bei der philosophischen
und logischen Erörterung seiner Annahme stehen geblie-
ben, sondern hat dieselbe mit der Erfahrung verglichen.

Er nimmt ein einfaches Fadenpendel, mit einer
schweren Kugel. Erhebt er dieselbe, das Pendel elon-
girend, bis zu einem gewissen Niveau, zu einer gewissen
Horizontalebene, und lässt er sie dann fallen, so steigt
sie auf der andern Seite zum selben Niveau. Wenn
dies auch nicht genau zutrifft, so erkennt doch Galilei
leicht den Luftwiderstand als Ursache des Zurück-
bleibens. Man ersieht dies schon daraus, dass ein
Korkkügelchen mehr, ein schwererer Körper weniger
zurückbleibt. Allein abgesehen davon erreicht der
Körper wieder dieselbe Höhe. Man kann die Bewegung
des Pendelkörpers auf einem Kreisbogen, als Fall auf
einer Reihe von schiefen Ebenen ungleicher Neigung
betrachten. Leicht können wir nun mit Galilei den
Körper auf einem andern Bogen, einer andern Folge
von schiefen Ebenen aufsteigen lassen. Wir erreichen
dies, indem wir auf einer Seite neben dem vertical
hängenden Faden einen Nagel f oder g einschlagen, der

Zweites Kapitel.
der Thatsache, dass die schweren Körper nicht das
Bestreben haben zu steigen, sondern das zu sinken.
Würden wir also annehmen, dass ein Körper auf der
Länge der schiefen Ebene fallend, etwa eine grössere
Geschwindigkeit erlangt als der vertical die Höhe durch-
fallende, so könnten wir denselben mit der erlangten
Geschwindigkeit auf eine andere schiefe oder verticale
Ebene übergehen lassen, auf welcher er zu einer grössern
Verticalhöhe aufsteigen würde. Würde hingegen die
erlangte Geschwindigkeit auf der schiefen Ebene kleiner
sein, so brauchten wir den Process nur umzukehren, um
dasselbe zu erreichen. In beiden Fällen könnte ein
schwerer Körper bei passender Anordnung von schiefen
Ebenen lediglich durch sein eigenes Gewicht fort und
fort in die Höhe getrieben werden, was unserer instinc-
tiven Kenntniss der Natur der schweren Körper durch-
aus widerspricht.

6. Galilei ist wieder nicht blos bei der philosophischen
und logischen Erörterung seiner Annahme stehen geblie-
ben, sondern hat dieselbe mit der Erfahrung verglichen.

Er nimmt ein einfaches Fadenpendel, mit einer
schweren Kugel. Erhebt er dieselbe, das Pendel elon-
girend, bis zu einem gewissen Niveau, zu einer gewissen
Horizontalebene, und lässt er sie dann fallen, so steigt
sie auf der andern Seite zum selben Niveau. Wenn
dies auch nicht genau zutrifft, so erkennt doch Galilei
leicht den Luftwiderstand als Ursache des Zurück-
bleibens. Man ersieht dies schon daraus, dass ein
Korkkügelchen mehr, ein schwererer Körper weniger
zurückbleibt. Allein abgesehen davon erreicht der
Körper wieder dieselbe Höhe. Man kann die Bewegung
des Pendelkörpers auf einem Kreisbogen, als Fall auf
einer Reihe von schiefen Ebenen ungleicher Neigung
betrachten. Leicht können wir nun mit Galilei den
Körper auf einem andern Bogen, einer andern Folge
von schiefen Ebenen aufsteigen lassen. Wir erreichen
dies, indem wir auf einer Seite neben dem vertical
hängenden Faden einen Nagel f oder g einschlagen, der

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0136" n="124"/><fw place="top" type="header">Zweites Kapitel.</fw><lb/>
der <hi rendition="#g">Thatsache</hi>, dass die schweren Körper nicht das<lb/>
Bestreben haben zu steigen, sondern das zu <hi rendition="#g">sinken</hi>.<lb/>
Würden wir also annehmen, dass ein Körper auf der<lb/>
Länge der schiefen Ebene fallend, etwa eine grössere<lb/>
Geschwindigkeit erlangt als der vertical die Höhe durch-<lb/>
fallende, so könnten wir denselben mit der erlangten<lb/>
Geschwindigkeit auf eine andere schiefe oder verticale<lb/>
Ebene übergehen lassen, auf welcher er zu einer grössern<lb/>
Verticalhöhe aufsteigen würde. Würde hingegen die<lb/>
erlangte Geschwindigkeit auf der schiefen Ebene kleiner<lb/>
sein, so brauchten wir den Process nur umzukehren, um<lb/>
dasselbe zu erreichen. In beiden Fällen könnte ein<lb/>
schwerer Körper bei passender Anordnung von schiefen<lb/>
Ebenen lediglich durch sein eigenes Gewicht fort und<lb/>
fort in die Höhe getrieben werden, was unserer instinc-<lb/>
tiven Kenntniss der Natur der schweren Körper durch-<lb/>
aus widerspricht.</p><lb/>
          <p>6. Galilei ist wieder nicht blos bei der philosophischen<lb/>
und logischen Erörterung seiner Annahme stehen geblie-<lb/>
ben, sondern hat dieselbe mit der Erfahrung verglichen.</p><lb/>
          <p>Er nimmt ein einfaches Fadenpendel, mit einer<lb/>
schweren Kugel. Erhebt er dieselbe, das Pendel elon-<lb/>
girend, bis zu einem gewissen Niveau, zu einer gewissen<lb/>
Horizontalebene, und lässt er sie dann fallen, so steigt<lb/>
sie auf der andern Seite zum selben Niveau. Wenn<lb/>
dies auch nicht <hi rendition="#g">genau</hi> zutrifft, so erkennt doch Galilei<lb/>
leicht den Luftwiderstand als Ursache des Zurück-<lb/>
bleibens. Man ersieht dies schon daraus, dass ein<lb/>
Korkkügelchen mehr, ein schwererer Körper weniger<lb/>
zurückbleibt. Allein abgesehen davon erreicht der<lb/>
Körper wieder dieselbe Höhe. Man kann die Bewegung<lb/>
des Pendelkörpers auf einem Kreisbogen, als Fall auf<lb/>
einer Reihe von schiefen Ebenen ungleicher Neigung<lb/>
betrachten. Leicht können wir nun mit Galilei den<lb/>
Körper auf einem andern Bogen, einer andern Folge<lb/>
von schiefen Ebenen aufsteigen lassen. Wir erreichen<lb/>
dies, indem wir auf einer Seite neben dem vertical<lb/>
hängenden Faden einen Nagel <hi rendition="#i">f</hi> oder <hi rendition="#i">g</hi> einschlagen, der<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[124/0136] Zweites Kapitel. der Thatsache, dass die schweren Körper nicht das Bestreben haben zu steigen, sondern das zu sinken. Würden wir also annehmen, dass ein Körper auf der Länge der schiefen Ebene fallend, etwa eine grössere Geschwindigkeit erlangt als der vertical die Höhe durch- fallende, so könnten wir denselben mit der erlangten Geschwindigkeit auf eine andere schiefe oder verticale Ebene übergehen lassen, auf welcher er zu einer grössern Verticalhöhe aufsteigen würde. Würde hingegen die erlangte Geschwindigkeit auf der schiefen Ebene kleiner sein, so brauchten wir den Process nur umzukehren, um dasselbe zu erreichen. In beiden Fällen könnte ein schwerer Körper bei passender Anordnung von schiefen Ebenen lediglich durch sein eigenes Gewicht fort und fort in die Höhe getrieben werden, was unserer instinc- tiven Kenntniss der Natur der schweren Körper durch- aus widerspricht. 6. Galilei ist wieder nicht blos bei der philosophischen und logischen Erörterung seiner Annahme stehen geblie- ben, sondern hat dieselbe mit der Erfahrung verglichen. Er nimmt ein einfaches Fadenpendel, mit einer schweren Kugel. Erhebt er dieselbe, das Pendel elon- girend, bis zu einem gewissen Niveau, zu einer gewissen Horizontalebene, und lässt er sie dann fallen, so steigt sie auf der andern Seite zum selben Niveau. Wenn dies auch nicht genau zutrifft, so erkennt doch Galilei leicht den Luftwiderstand als Ursache des Zurück- bleibens. Man ersieht dies schon daraus, dass ein Korkkügelchen mehr, ein schwererer Körper weniger zurückbleibt. Allein abgesehen davon erreicht der Körper wieder dieselbe Höhe. Man kann die Bewegung des Pendelkörpers auf einem Kreisbogen, als Fall auf einer Reihe von schiefen Ebenen ungleicher Neigung betrachten. Leicht können wir nun mit Galilei den Körper auf einem andern Bogen, einer andern Folge von schiefen Ebenen aufsteigen lassen. Wir erreichen dies, indem wir auf einer Seite neben dem vertical hängenden Faden einen Nagel f oder g einschlagen, der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/136
Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/136>, abgerufen am 02.05.2024.