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Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883.

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Entwickelung der Principien der Statik.
allein sie ist nicht geläufig und populär genug, um eine
erhebliche Rolle zu spielen. An das Vorhandensein der
Luft wird im gewöhnlichen Leben fast gar nicht ge-
dacht.

Obgleich die Alten, wie aus Vitruv's Beschreibungen
zu ersehen ist, Instrumente hatten, welche auf der Ver-
dichtung der Luft beruhten (wie die sogenannten
Wasserorgeln), obgleich die Erfindung der Windbüchse
bis auf Ktesibius zurückgeführt wird, und dieses In-
strument auch Guericke bekannt war, so waren doch
noch im 17. Jahrhundert die Vorstellungen über die
Natur der Luft höchst sonderbare und ungeklärte. Wir
dürfen uns daher nicht wundern über die geistige Be-
wegung, welche die ersten bedeutendem Versuche in
dieser Richtung hervorgebracht haben. Wir begreifen
die begeisterte Beschreibung, die Pascal von den Boyle'-
schen Luftpumpenexperimenten gibt, wenn wir uns leb-
haft in die damalige Zeit zurückversetzen. Was konnte
auch wunderbarer sein als die plötzliche Erkenntniss,
dass ein Ding, welches wir nicht sehen, kaum fühlen,
und fast gar nicht beachten, uns immer und überall
umgibt, alles durchdringt, dass es die wichtigste Be-
dingung des Lebens, Brennens und gewaltiger mecha-
nischer Vorgänge ist. Vielleicht zum ersten mal bei
dieser Gelegenheit wurde es durch einen grossen Er-
folg klar, dass die Naturwissenschaft nicht auf die
Untersuchung des Handgreiflichen, grob Sinnenfälligen
beschränkt sei.

2. Zu Galilei's Zeit erklärte man die Saugwirkung,
die Wirkung der Spritzen und Pumpen durch den so-
genannten horror vacui, den Abscheu der Natur vor
dem leeren Raume. Die Natur sollte die Eigenschaft
haben, die Entstehung des leeren Raumes dadurch zu
verhindern, dass sie das erste beliebige nächstliegende
Ding zur sofortigen Ausfüllung eines solchen sich bil-
denden leeren Raumes verwendete. Abgesehen von dem
unberechtigten speculativen Element in dieser Ansicht,
muss man zugeben, dass sie die Vorgänge bis zu einer

Entwickelung der Principien der Statik.
allein sie ist nicht geläufig und populär genug, um eine
erhebliche Rolle zu spielen. An das Vorhandensein der
Luft wird im gewöhnlichen Leben fast gar nicht ge-
dacht.

Obgleich die Alten, wie aus Vitruv’s Beschreibungen
zu ersehen ist, Instrumente hatten, welche auf der Ver-
dichtung der Luft beruhten (wie die sogenannten
Wasserorgeln), obgleich die Erfindung der Windbüchse
bis auf Ktesibius zurückgeführt wird, und dieses In-
strument auch Guericke bekannt war, so waren doch
noch im 17. Jahrhundert die Vorstellungen über die
Natur der Luft höchst sonderbare und ungeklärte. Wir
dürfen uns daher nicht wundern über die geistige Be-
wegung, welche die ersten bedeutendem Versuche in
dieser Richtung hervorgebracht haben. Wir begreifen
die begeisterte Beschreibung, die Pascal von den Boyle’-
schen Luftpumpenexperimenten gibt, wenn wir uns leb-
haft in die damalige Zeit zurückversetzen. Was konnte
auch wunderbarer sein als die plötzliche Erkenntniss,
dass ein Ding, welches wir nicht sehen, kaum fühlen,
und fast gar nicht beachten, uns immer und überall
umgibt, alles durchdringt, dass es die wichtigste Be-
dingung des Lebens, Brennens und gewaltiger mecha-
nischer Vorgänge ist. Vielleicht zum ersten mal bei
dieser Gelegenheit wurde es durch einen grossen Er-
folg klar, dass die Naturwissenschaft nicht auf die
Untersuchung des Handgreiflichen, grob Sinnenfälligen
beschränkt sei.

2. Zu Galilei’s Zeit erklärte man die Saugwirkung,
die Wirkung der Spritzen und Pumpen durch den so-
genannten horror vacui, den Abscheu der Natur vor
dem leeren Raume. Die Natur sollte die Eigenschaft
haben, die Entstehung des leeren Raumes dadurch zu
verhindern, dass sie das erste beliebige nächstliegende
Ding zur sofortigen Ausfüllung eines solchen sich bil-
denden leeren Raumes verwendete. Abgesehen von dem
unberechtigten speculativen Element in dieser Ansicht,
muss man zugeben, dass sie die Vorgänge bis zu einer

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[103/0115] Entwickelung der Principien der Statik. allein sie ist nicht geläufig und populär genug, um eine erhebliche Rolle zu spielen. An das Vorhandensein der Luft wird im gewöhnlichen Leben fast gar nicht ge- dacht. Obgleich die Alten, wie aus Vitruv’s Beschreibungen zu ersehen ist, Instrumente hatten, welche auf der Ver- dichtung der Luft beruhten (wie die sogenannten Wasserorgeln), obgleich die Erfindung der Windbüchse bis auf Ktesibius zurückgeführt wird, und dieses In- strument auch Guericke bekannt war, so waren doch noch im 17. Jahrhundert die Vorstellungen über die Natur der Luft höchst sonderbare und ungeklärte. Wir dürfen uns daher nicht wundern über die geistige Be- wegung, welche die ersten bedeutendem Versuche in dieser Richtung hervorgebracht haben. Wir begreifen die begeisterte Beschreibung, die Pascal von den Boyle’- schen Luftpumpenexperimenten gibt, wenn wir uns leb- haft in die damalige Zeit zurückversetzen. Was konnte auch wunderbarer sein als die plötzliche Erkenntniss, dass ein Ding, welches wir nicht sehen, kaum fühlen, und fast gar nicht beachten, uns immer und überall umgibt, alles durchdringt, dass es die wichtigste Be- dingung des Lebens, Brennens und gewaltiger mecha- nischer Vorgänge ist. Vielleicht zum ersten mal bei dieser Gelegenheit wurde es durch einen grossen Er- folg klar, dass die Naturwissenschaft nicht auf die Untersuchung des Handgreiflichen, grob Sinnenfälligen beschränkt sei. 2. Zu Galilei’s Zeit erklärte man die Saugwirkung, die Wirkung der Spritzen und Pumpen durch den so- genannten horror vacui, den Abscheu der Natur vor dem leeren Raume. Die Natur sollte die Eigenschaft haben, die Entstehung des leeren Raumes dadurch zu verhindern, dass sie das erste beliebige nächstliegende Ding zur sofortigen Ausfüllung eines solchen sich bil- denden leeren Raumes verwendete. Abgesehen von dem unberechtigten speculativen Element in dieser Ansicht, muss man zugeben, dass sie die Vorgänge bis zu einer

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Zitationshilfe: Mach, Ernst: Die Mechanik in ihrer Entwicklung. Leipzig, 1883, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mach_mechanik_1883/115>, abgerufen am 02.05.2024.