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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
gegengesetzte Ansicht, welche R. Wagner*) vertritt, die nemlich, dass
die Erregung des Sympathicus eine Verlangsamung erzeugen kann, ist
weder durch Weinmann, noch durch Heidenhain auf dem Wege
des Versuchs bestätigt worden.

Die älteren Versuche, welche in der Absicht angestellt wurden, um
den Beweis zu liefern, dass mit der Bewegung des Hirns, Rückenmarkes,
oder des sympathischen Grenzstranges die Herzbewegung beschleunigt,
oder mit Zerstörung der erwähnten Theile verlangsamt, resp. vernichtet
werde, leiden an so vielfachen Fehlern, dass es vollkommen unmöglich
ist, ihnen noch irgend welchen Einfluss auf die Bildung eines Urtheils
zu gestatten. Zunächst übersah man meist, dass das blosgelegte Herz
eines absterbenden, mangelhaft oder gar nicht mehr athmenden Thieres
aus Gründen, die zunächst in der veränderten Zusammensetzung des
einströmenden Bluts liegen, in sehr unregelmässiger Weise schlägt. Volk-
mann
**) hat hierauf zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt. -- Da nun auch
ausserdem den Vivisectoren bis auf Ed. Weber und Budge die besondere
Art des Einflusses, welche der n. vagus auf das Herz übt, entgangen war,
so befanden sie sich ausser Stande, zu entscheiden: ob die Veränderung,
welche nach Erregung oder Zerstörung einzelner Theile des Hirns,
Rückenmarkes oder des peripherischen Nervensystems eintritt, die Folge
einer direkten Beziehung zwischen jenen Theilen und dem Herzen waren,
oder ob sie es nur mit einer Veränderung zu thun hatten, welche an den
Ursprungsstellen des n. vagus auf irgend welchem Umweg erzeugt war.

Eine ausführlichere Besprechung der älteren Versuche von Hum-
boldt, Legallois, Brachet
u. s. w. siehe bei Joh. Müller und
Longet***).

Ueber die Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
-- Da die Orte des Hirns, aus welchen der n. vagus seinen Ursprung
nimmt, durch Seelenzustände, Reflexe oder Veränderungen in der Blut-
zusammensetzung in vielfach abgestufte Erregung kommen können, da
die wechselnde Zusammensetzung des Bluts, die Bewegung des Brust-
kastens, der verschiedene Widerstand des vom und zum Herzen strömen-
den Blutes u. s. w. mannigfache Grade der Erregung und Erregbarkeit
des Herzens selbst bedingen können, so lässt sich voraussehen, dass die
Zahl der Schläge, welche das Herz des lebenden Menschen in gegebener
Zeit vollführt, keine sich gleichbleibende sein wird. Eine sorgsamere
Beobachtung der Herzschläge des lebenden Menschen hat nun in der
That nicht allein die Schwankungen in den Zahlen der Pulsschläge er-
wiesen, sondern auch diese zu gewissen Lebensverhältnissen in Bezie-

*) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1854. 5121.
**) Müllers Archiv. 1845.
***) Longet, Traite de physiolog. II. Bd. deux. p. 192. 211. 374. -- Anatomie et physiologie au
system. nerveux. II. 597.

Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
gegengesetzte Ansicht, welche R. Wagner*) vertritt, die nemlich, dass
die Erregung des Sympathicus eine Verlangsamung erzeugen kann, ist
weder durch Weinmann, noch durch Heidenhain auf dem Wege
des Versuchs bestätigt worden.

Die älteren Versuche, welche in der Absicht angestellt wurden, um
den Beweis zu liefern, dass mit der Bewegung des Hirns, Rückenmarkes,
oder des sympathischen Grenzstranges die Herzbewegung beschleunigt,
oder mit Zerstörung der erwähnten Theile verlangsamt, resp. vernichtet
werde, leiden an so vielfachen Fehlern, dass es vollkommen unmöglich
ist, ihnen noch irgend welchen Einfluss auf die Bildung eines Urtheils
zu gestatten. Zunächst übersah man meist, dass das blosgelegte Herz
eines absterbenden, mangelhaft oder gar nicht mehr athmenden Thieres
aus Gründen, die zunächst in der veränderten Zusammensetzung des
einströmenden Bluts liegen, in sehr unregelmässiger Weise schlägt. Volk-
mann
**) hat hierauf zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt. — Da nun auch
ausserdem den Vivisectoren bis auf Ed. Weber und Budge die besondere
Art des Einflusses, welche der n. vagus auf das Herz übt, entgangen war,
so befanden sie sich ausser Stande, zu entscheiden: ob die Veränderung,
welche nach Erregung oder Zerstörung einzelner Theile des Hirns,
Rückenmarkes oder des peripherischen Nervensystems eintritt, die Folge
einer direkten Beziehung zwischen jenen Theilen und dem Herzen waren,
oder ob sie es nur mit einer Veränderung zu thun hatten, welche an den
Ursprungsstellen des n. vagus auf irgend welchem Umweg erzeugt war.

Eine ausführlichere Besprechung der älteren Versuche von Hum-
boldt, Legallois, Brachet
u. s. w. siehe bei Joh. Müller und
Longet***).

Ueber die Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen.
— Da die Orte des Hirns, aus welchen der n. vagus seinen Ursprung
nimmt, durch Seelenzustände, Reflexe oder Veränderungen in der Blut-
zusammensetzung in vielfach abgestufte Erregung kommen können, da
die wechselnde Zusammensetzung des Bluts, die Bewegung des Brust-
kastens, der verschiedene Widerstand des vom und zum Herzen strömen-
den Blutes u. s. w. mannigfache Grade der Erregung und Erregbarkeit
des Herzens selbst bedingen können, so lässt sich voraussehen, dass die
Zahl der Schläge, welche das Herz des lebenden Menschen in gegebener
Zeit vollführt, keine sich gleichbleibende sein wird. Eine sorgsamere
Beobachtung der Herzschläge des lebenden Menschen hat nun in der
That nicht allein die Schwankungen in den Zahlen der Pulsschläge er-
wiesen, sondern auch diese zu gewissen Lebensverhältnissen in Bezie-

*) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1854. 5121.
**) Müllers Archiv. 1845.
***) Longet, Traite de physiolog. II. Bd. deux. p. 192. 211. 374. — Anatomie et physiologie au
system. nerveux. II. 597.
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[70/0086] Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen. gegengesetzte Ansicht, welche R. Wagner *) vertritt, die nemlich, dass die Erregung des Sympathicus eine Verlangsamung erzeugen kann, ist weder durch Weinmann, noch durch Heidenhain auf dem Wege des Versuchs bestätigt worden. Die älteren Versuche, welche in der Absicht angestellt wurden, um den Beweis zu liefern, dass mit der Bewegung des Hirns, Rückenmarkes, oder des sympathischen Grenzstranges die Herzbewegung beschleunigt, oder mit Zerstörung der erwähnten Theile verlangsamt, resp. vernichtet werde, leiden an so vielfachen Fehlern, dass es vollkommen unmöglich ist, ihnen noch irgend welchen Einfluss auf die Bildung eines Urtheils zu gestatten. Zunächst übersah man meist, dass das blosgelegte Herz eines absterbenden, mangelhaft oder gar nicht mehr athmenden Thieres aus Gründen, die zunächst in der veränderten Zusammensetzung des einströmenden Bluts liegen, in sehr unregelmässiger Weise schlägt. Volk- mann **) hat hierauf zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt. — Da nun auch ausserdem den Vivisectoren bis auf Ed. Weber und Budge die besondere Art des Einflusses, welche der n. vagus auf das Herz übt, entgangen war, so befanden sie sich ausser Stande, zu entscheiden: ob die Veränderung, welche nach Erregung oder Zerstörung einzelner Theile des Hirns, Rückenmarkes oder des peripherischen Nervensystems eintritt, die Folge einer direkten Beziehung zwischen jenen Theilen und dem Herzen waren, oder ob sie es nur mit einer Veränderung zu thun hatten, welche an den Ursprungsstellen des n. vagus auf irgend welchem Umweg erzeugt war. Eine ausführlichere Besprechung der älteren Versuche von Hum- boldt, Legallois, Brachet u. s. w. siehe bei Joh. Müller und Longet ***). Ueber die Häufigkeit des Herzschlags beim Menschen. — Da die Orte des Hirns, aus welchen der n. vagus seinen Ursprung nimmt, durch Seelenzustände, Reflexe oder Veränderungen in der Blut- zusammensetzung in vielfach abgestufte Erregung kommen können, da die wechselnde Zusammensetzung des Bluts, die Bewegung des Brust- kastens, der verschiedene Widerstand des vom und zum Herzen strömen- den Blutes u. s. w. mannigfache Grade der Erregung und Erregbarkeit des Herzens selbst bedingen können, so lässt sich voraussehen, dass die Zahl der Schläge, welche das Herz des lebenden Menschen in gegebener Zeit vollführt, keine sich gleichbleibende sein wird. Eine sorgsamere Beobachtung der Herzschläge des lebenden Menschen hat nun in der That nicht allein die Schwankungen in den Zahlen der Pulsschläge er- wiesen, sondern auch diese zu gewissen Lebensverhältnissen in Bezie- *) Göttinger gelehrte Anzeigen. 1854. 5121. **) Müllers Archiv. 1845. ***) Longet, Traite de physiolog. II. Bd. deux. p. 192. 211. 374. — Anatomie et physiologie au system. nerveux. II. 597.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/86>, abgerufen am 23.04.2024.