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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Aufgenommene Stoffe.
lus zu begegnen, oder man hat sie noch im Harne angetroffen, nachdem
man die Chylusgefässe zerstörte, welche aus einem abgegrenzten, mit den be-
zeichneten Stoffen gefüllten Darmstücke hervorgehen. Endlich verlangt die
Theorie das Zugeständniss, dass ein Theil der schwefelsauren Salze des
Darminhaltes in das Blut einströmt, weil jene für gewöhnlich dem Blute
fehlen oder, wenn sie vorhanden, sogleich durch den Harn wieder aus-
geschieden werden. -- Eine ähnliche Bewandniss muss es aber mit dem
Wasser haben, da das Blut meist mehr feste Bestandtheile aufgelöst ent-
hält, als der flüssige Speisebrei. -- Vom Blute zum Darme muss gerinnba-
res Eiweiss gehen, weil der Chymus weniger davon aufgelöst enthält, als
das Blut; diese Voraussage wird bestätigt durch die Erfahrung, dass Eiweiss
in das Wasser austritt, welches in eine abgeschnürte und in die Unterleibs-
höhle zurückgebrachte Dünndarmschlinge eingesprützt wurde (Knapp).

Insofern das Blut und der Chymus ihre Bestandtheile nur durch Diffusion aus-
tauschen können, muss man es für unmöglich halten, dass die Fette aus dem Darm-
kanale in das Blutgefässwerk eindringen können. Nichts destoweniger sind Bruch *)
und Lehmann **) dieser Meinung. Der letztere gründet dieselbe auf den grösseren
Fettgehalt des Pfortaderblutes, der ihm anderen Venen gegenüber zukommt. Die Unan-
tastbarkeit der Thatsache vorausgesetzt, beweist sie noch nicht, dass das Fett noth-
wendig aus dem Darmkanale stammen müsse. -- Bruch beruft sich auf ein beson-
deres Ansehen der Capillargefässe in der Dünndarmschleimhaut, welches auch Virchow,
Brücke
***), Zenker, Funke u. A. angetroffen haben; sie sind nemlich zuweilen
mit einer weisslichen, dem Fette sehr änlich aussehenden Materie ganz oder theil-
weise angefüllt. Brücke hat aber durch chemische Reaktionen gezeigt, dass der
weissliche Inhalt keinenfalls zu den Fetten gestellt werden kann, und Virchow +)
darauf hingewiesen, dass er zum Theil wenigstens aus Leucin bestehe.

Auf die Diffusionen im Darmkanale sind die schon früher (p. 364.)
hervorgehobenen Bemerkungen anwendbar. Dagegen würde es ein grosses
Missverständniss verrathen, wenn man auf die Strömung im Darme ohne
Weiteres die Zahlen der Diffusionsgeschwindigkeit und des endosmoti-
schen Aequivalentes in Anwendung bringen wollte, welche unter ganz
anderen Bedingungen von Graham, Jolly, C. Ludwig, A. Fick,
Cloetta
u. s. w. aufgefunden wurden.

C. Ueber die Aufnahme der einzelnen Chymusbestandtheile durch
Blut- und Chylusgefässe zugleich.

Das praktische Bedürfniss verlangt endlich noch Aufschluss, wie
sich die Aufsaugung der einzelnen Nahrungsstoffe gestaltet, gleichgiltig,
ob sie durch das Blut- oder Chylussystem geschehen ist. Diese Frage
kann, mehrfach variirt, von der Erfahrung gelöst werden, wie es in der
That für einzelne Stoffe annähernd geschehen oder wenigstens versucht ist.

1. Die relative Menge der einfachen Nahrungsstoffe, welche der ge-
sammte Darmkanal in einer gegebenen Zeit aufnimmt, ist theils durch

*) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. IV. 285.
**) Physiolog. Chemie. III. Bd. 327.
***) Wiener Sitzungsberichte. XII. 682.
+) Archiv f. pathol. Anatomie. VIII. 355.

Aufgenommene Stoffe.
lus zu begegnen, oder man hat sie noch im Harne angetroffen, nachdem
man die Chylusgefässe zerstörte, welche aus einem abgegrenzten, mit den be-
zeichneten Stoffen gefüllten Darmstücke hervorgehen. Endlich verlangt die
Theorie das Zugeständniss, dass ein Theil der schwefelsauren Salze des
Darminhaltes in das Blut einströmt, weil jene für gewöhnlich dem Blute
fehlen oder, wenn sie vorhanden, sogleich durch den Harn wieder aus-
geschieden werden. — Eine ähnliche Bewandniss muss es aber mit dem
Wasser haben, da das Blut meist mehr feste Bestandtheile aufgelöst ent-
hält, als der flüssige Speisebrei. — Vom Blute zum Darme muss gerinnba-
res Eiweiss gehen, weil der Chymus weniger davon aufgelöst enthält, als
das Blut; diese Voraussage wird bestätigt durch die Erfahrung, dass Eiweiss
in das Wasser austritt, welches in eine abgeschnürte und in die Unterleibs-
höhle zurückgebrachte Dünndarmschlinge eingesprützt wurde (Knapp).

Insofern das Blut und der Chymus ihre Bestandtheile nur durch Diffusion aus-
tauschen können, muss man es für unmöglich halten, dass die Fette aus dem Darm-
kanale in das Blutgefässwerk eindringen können. Nichts destoweniger sind Bruch *)
und Lehmann **) dieser Meinung. Der letztere gründet dieselbe auf den grösseren
Fettgehalt des Pfortaderblutes, der ihm anderen Venen gegenüber zukommt. Die Unan-
tastbarkeit der Thatsache vorausgesetzt, beweist sie noch nicht, dass das Fett noth-
wendig aus dem Darmkanale stammen müsse. — Bruch beruft sich auf ein beson-
deres Ansehen der Capillargefässe in der Dünndarmschleimhaut, welches auch Virchow,
Brücke
***), Zenker, Funke u. A. angetroffen haben; sie sind nemlich zuweilen
mit einer weisslichen, dem Fette sehr änlich aussehenden Materie ganz oder theil-
weise angefüllt. Brücke hat aber durch chemische Reaktionen gezeigt, dass der
weissliche Inhalt keinenfalls zu den Fetten gestellt werden kann, und Virchow †)
darauf hingewiesen, dass er zum Theil wenigstens aus Leucin bestehe.

Auf die Diffusionen im Darmkanale sind die schon früher (p. 364.)
hervorgehobenen Bemerkungen anwendbar. Dagegen würde es ein grosses
Missverständniss verrathen, wenn man auf die Strömung im Darme ohne
Weiteres die Zahlen der Diffusionsgeschwindigkeit und des endosmoti-
schen Aequivalentes in Anwendung bringen wollte, welche unter ganz
anderen Bedingungen von Graham, Jolly, C. Ludwig, A. Fick,
Cloëtta
u. s. w. aufgefunden wurden.

C. Ueber die Aufnahme der einzelnen Chymusbestandtheile durch
Blut- und Chylusgefässe zugleich.

Das praktische Bedürfniss verlangt endlich noch Aufschluss, wie
sich die Aufsaugung der einzelnen Nahrungsstoffe gestaltet, gleichgiltig,
ob sie durch das Blut- oder Chylussystem geschehen ist. Diese Frage
kann, mehrfach variirt, von der Erfahrung gelöst werden, wie es in der
That für einzelne Stoffe annähernd geschehen oder wenigstens versucht ist.

1. Die relative Menge der einfachen Nahrungsstoffe, welche der ge-
sammte Darmkanal in einer gegebenen Zeit aufnimmt, ist theils durch

*) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. IV. 285.
**) Physiolog. Chemie. III. Bd. 327.
***) Wiener Sitzungsberichte. XII. 682.
†) Archiv f. pathol. Anatomie. VIII. 355.
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[427/0443] Aufgenommene Stoffe. lus zu begegnen, oder man hat sie noch im Harne angetroffen, nachdem man die Chylusgefässe zerstörte, welche aus einem abgegrenzten, mit den be- zeichneten Stoffen gefüllten Darmstücke hervorgehen. Endlich verlangt die Theorie das Zugeständniss, dass ein Theil der schwefelsauren Salze des Darminhaltes in das Blut einströmt, weil jene für gewöhnlich dem Blute fehlen oder, wenn sie vorhanden, sogleich durch den Harn wieder aus- geschieden werden. — Eine ähnliche Bewandniss muss es aber mit dem Wasser haben, da das Blut meist mehr feste Bestandtheile aufgelöst ent- hält, als der flüssige Speisebrei. — Vom Blute zum Darme muss gerinnba- res Eiweiss gehen, weil der Chymus weniger davon aufgelöst enthält, als das Blut; diese Voraussage wird bestätigt durch die Erfahrung, dass Eiweiss in das Wasser austritt, welches in eine abgeschnürte und in die Unterleibs- höhle zurückgebrachte Dünndarmschlinge eingesprützt wurde (Knapp). Insofern das Blut und der Chymus ihre Bestandtheile nur durch Diffusion aus- tauschen können, muss man es für unmöglich halten, dass die Fette aus dem Darm- kanale in das Blutgefässwerk eindringen können. Nichts destoweniger sind Bruch *) und Lehmann **) dieser Meinung. Der letztere gründet dieselbe auf den grösseren Fettgehalt des Pfortaderblutes, der ihm anderen Venen gegenüber zukommt. Die Unan- tastbarkeit der Thatsache vorausgesetzt, beweist sie noch nicht, dass das Fett noth- wendig aus dem Darmkanale stammen müsse. — Bruch beruft sich auf ein beson- deres Ansehen der Capillargefässe in der Dünndarmschleimhaut, welches auch Virchow, Brücke ***), Zenker, Funke u. A. angetroffen haben; sie sind nemlich zuweilen mit einer weisslichen, dem Fette sehr änlich aussehenden Materie ganz oder theil- weise angefüllt. Brücke hat aber durch chemische Reaktionen gezeigt, dass der weissliche Inhalt keinenfalls zu den Fetten gestellt werden kann, und Virchow †) darauf hingewiesen, dass er zum Theil wenigstens aus Leucin bestehe. Auf die Diffusionen im Darmkanale sind die schon früher (p. 364.) hervorgehobenen Bemerkungen anwendbar. Dagegen würde es ein grosses Missverständniss verrathen, wenn man auf die Strömung im Darme ohne Weiteres die Zahlen der Diffusionsgeschwindigkeit und des endosmoti- schen Aequivalentes in Anwendung bringen wollte, welche unter ganz anderen Bedingungen von Graham, Jolly, C. Ludwig, A. Fick, Cloëtta u. s. w. aufgefunden wurden. C. Ueber die Aufnahme der einzelnen Chymusbestandtheile durch Blut- und Chylusgefässe zugleich. Das praktische Bedürfniss verlangt endlich noch Aufschluss, wie sich die Aufsaugung der einzelnen Nahrungsstoffe gestaltet, gleichgiltig, ob sie durch das Blut- oder Chylussystem geschehen ist. Diese Frage kann, mehrfach variirt, von der Erfahrung gelöst werden, wie es in der That für einzelne Stoffe annähernd geschehen oder wenigstens versucht ist. 1. Die relative Menge der einfachen Nahrungsstoffe, welche der ge- sammte Darmkanal in einer gegebenen Zeit aufnimmt, ist theils durch *) Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie. IV. 285. **) Physiolog. Chemie. III. Bd. 327. ***) Wiener Sitzungsberichte. XII. 682. †) Archiv f. pathol. Anatomie. VIII. 355.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 427. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/443>, abgerufen am 07.05.2024.