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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Verdaulichkeit der Speisen im Magen.
den. -- Aus den Knochen wird die leimgebende Substanz aufgelöst,
während der grösste Theil der Kalksalze als eine krümelige Masse un-
gelöst bleibt; ihr Verhalten im Magensafte gleicht also durchaus nicht
dem in einer verdünnten Säure. -- Das Amylon des Brodes wird in
Dextrin und Zucker umgesetzt, wenn aber, wie häufig, das Brod nicht
ausgebacken ist, so dass es noch rohe, von der Hitze nicht alterirte
Amylonkörner enthält, so werden diese von dem Magen nicht angegrif-
fen; die Eiweissstoffe des Brodes lösen sich. -- Hülsenfrüchte und
Kartoffeln erfahren dieselbe Umwandelung, aber langsamer und meist
auch unvollkommener, weil die holzige Zellenmembran, welche das Amy-
lon und die Eiweissstoffe umschliesst, dem Eindringen der auflösenden
Säfte einen Widerstand entgegensetzt. Die das Amylon der Kartoffeln
umschliessende Zellhaut findet sich häufig, trotzdem dass ihr Inhalt ver-
schwunden ist, noch unverletzt. Da die Kartoffeln vorzugsweise häufig
Stärke enthalten, welche nicht in den aufgequollenen Zustand versetzt
ist, so findet sich oft Tage nach dem letzten Genusse dieser Speise
noch unveränderte Stärke im Magen des Menschen.

Von der Verdaulichkeit der Speisen im Magen. Berück-
sichtigt man bei der Frage nicht die Zeit, sondern nur überhaupt,
ob eine oder die andere Speise im Magen gelöst werden könne, so be-
antwortet sie sich aus dem Vorstehenden von selbst. Wollte man aber
feststellen, welche Gewichtsmengen dieser oder jener Speise in der
Zeiteinheit aufgelöst werden, so würde man offenbar angeben müssen:
die chemische Zusammensetzung, den Aggregatzustand, die Vertheilung
und Mengung der Speisen mit anderen unverdaulichen Stoffen; ferner
den jeweiligen Gehalt des Magensaftes an Speichel, Pepsin, Säure, Was-
ser u. s. w., die Geschwindigkeit der Absonderung, den Wechsel der
Zusammensetzung der Säfte mit der Absonderungszeit und vielleicht noch
manches Andere. Demnach lässt sich über die gestellte Frage nicht
allein für jetzt gar nichts aussagen, sondern es fällt dieselbe demnächst
auch gar nicht in den Bereich des vernünftigen Experimentes, da man
die geforderte Bedingung zur Erzielung der Vergleichbarkeit weder con-
stant, noch messbar variabel machen kann.

Missbräuchlich hat man aber auch unter Verdaulichkeit die Aufent-
haltszeit der Speisen im Magen verstanden, welche in gar keiner Beziehung
zur Auflöslichkeit zu stehen braucht, da ja auch vollkommen unverdauliche
den Magen verlassen. In diesem Sinne nimmt die Verdaulichkeit nur
Rücksicht auf den Druck, unter dem die Speisen in dem Magen liegen,
und den Widerstand des Pförtners. Die Mittheilungen, die über die Ver-
daulichkeit in diesem Sinne gemacht worden, sind bei Frerichs *) nach-
zusehen, welcher sie zuerst auf ihren wahren Werth zurückgeführt hat.

*) l. c. 817.

Verdaulichkeit der Speisen im Magen.
den. — Aus den Knochen wird die leimgebende Substanz aufgelöst,
während der grösste Theil der Kalksalze als eine krümelige Masse un-
gelöst bleibt; ihr Verhalten im Magensafte gleicht also durchaus nicht
dem in einer verdünnten Säure. — Das Amylon des Brodes wird in
Dextrin und Zucker umgesetzt, wenn aber, wie häufig, das Brod nicht
ausgebacken ist, so dass es noch rohe, von der Hitze nicht alterirte
Amylonkörner enthält, so werden diese von dem Magen nicht angegrif-
fen; die Eiweissstoffe des Brodes lösen sich. — Hülsenfrüchte und
Kartoffeln erfahren dieselbe Umwandelung, aber langsamer und meist
auch unvollkommener, weil die holzige Zellenmembran, welche das Amy-
lon und die Eiweissstoffe umschliesst, dem Eindringen der auflösenden
Säfte einen Widerstand entgegensetzt. Die das Amylon der Kartoffeln
umschliessende Zellhaut findet sich häufig, trotzdem dass ihr Inhalt ver-
schwunden ist, noch unverletzt. Da die Kartoffeln vorzugsweise häufig
Stärke enthalten, welche nicht in den aufgequollenen Zustand versetzt
ist, so findet sich oft Tage nach dem letzten Genusse dieser Speise
noch unveränderte Stärke im Magen des Menschen.

Von der Verdaulichkeit der Speisen im Magen. Berück-
sichtigt man bei der Frage nicht die Zeit, sondern nur überhaupt,
ob eine oder die andere Speise im Magen gelöst werden könne, so be-
antwortet sie sich aus dem Vorstehenden von selbst. Wollte man aber
feststellen, welche Gewichtsmengen dieser oder jener Speise in der
Zeiteinheit aufgelöst werden, so würde man offenbar angeben müssen:
die chemische Zusammensetzung, den Aggregatzustand, die Vertheilung
und Mengung der Speisen mit anderen unverdaulichen Stoffen; ferner
den jeweiligen Gehalt des Magensaftes an Speichel, Pepsin, Säure, Was-
ser u. s. w., die Geschwindigkeit der Absonderung, den Wechsel der
Zusammensetzung der Säfte mit der Absonderungszeit und vielleicht noch
manches Andere. Demnach lässt sich über die gestellte Frage nicht
allein für jetzt gar nichts aussagen, sondern es fällt dieselbe demnächst
auch gar nicht in den Bereich des vernünftigen Experimentes, da man
die geforderte Bedingung zur Erzielung der Vergleichbarkeit weder con-
stant, noch messbar variabel machen kann.

Missbräuchlich hat man aber auch unter Verdaulichkeit die Aufent-
haltszeit der Speisen im Magen verstanden, welche in gar keiner Beziehung
zur Auflöslichkeit zu stehen braucht, da ja auch vollkommen unverdauliche
den Magen verlassen. In diesem Sinne nimmt die Verdaulichkeit nur
Rücksicht auf den Druck, unter dem die Speisen in dem Magen liegen,
und den Widerstand des Pförtners. Die Mittheilungen, die über die Ver-
daulichkeit in diesem Sinne gemacht worden, sind bei Frerichs *) nach-
zusehen, welcher sie zuerst auf ihren wahren Werth zurückgeführt hat.

*) l. c. 817.
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[410/0426] Verdaulichkeit der Speisen im Magen. den. — Aus den Knochen wird die leimgebende Substanz aufgelöst, während der grösste Theil der Kalksalze als eine krümelige Masse un- gelöst bleibt; ihr Verhalten im Magensafte gleicht also durchaus nicht dem in einer verdünnten Säure. — Das Amylon des Brodes wird in Dextrin und Zucker umgesetzt, wenn aber, wie häufig, das Brod nicht ausgebacken ist, so dass es noch rohe, von der Hitze nicht alterirte Amylonkörner enthält, so werden diese von dem Magen nicht angegrif- fen; die Eiweissstoffe des Brodes lösen sich. — Hülsenfrüchte und Kartoffeln erfahren dieselbe Umwandelung, aber langsamer und meist auch unvollkommener, weil die holzige Zellenmembran, welche das Amy- lon und die Eiweissstoffe umschliesst, dem Eindringen der auflösenden Säfte einen Widerstand entgegensetzt. Die das Amylon der Kartoffeln umschliessende Zellhaut findet sich häufig, trotzdem dass ihr Inhalt ver- schwunden ist, noch unverletzt. Da die Kartoffeln vorzugsweise häufig Stärke enthalten, welche nicht in den aufgequollenen Zustand versetzt ist, so findet sich oft Tage nach dem letzten Genusse dieser Speise noch unveränderte Stärke im Magen des Menschen. Von der Verdaulichkeit der Speisen im Magen. Berück- sichtigt man bei der Frage nicht die Zeit, sondern nur überhaupt, ob eine oder die andere Speise im Magen gelöst werden könne, so be- antwortet sie sich aus dem Vorstehenden von selbst. Wollte man aber feststellen, welche Gewichtsmengen dieser oder jener Speise in der Zeiteinheit aufgelöst werden, so würde man offenbar angeben müssen: die chemische Zusammensetzung, den Aggregatzustand, die Vertheilung und Mengung der Speisen mit anderen unverdaulichen Stoffen; ferner den jeweiligen Gehalt des Magensaftes an Speichel, Pepsin, Säure, Was- ser u. s. w., die Geschwindigkeit der Absonderung, den Wechsel der Zusammensetzung der Säfte mit der Absonderungszeit und vielleicht noch manches Andere. Demnach lässt sich über die gestellte Frage nicht allein für jetzt gar nichts aussagen, sondern es fällt dieselbe demnächst auch gar nicht in den Bereich des vernünftigen Experimentes, da man die geforderte Bedingung zur Erzielung der Vergleichbarkeit weder con- stant, noch messbar variabel machen kann. Missbräuchlich hat man aber auch unter Verdaulichkeit die Aufent- haltszeit der Speisen im Magen verstanden, welche in gar keiner Beziehung zur Auflöslichkeit zu stehen braucht, da ja auch vollkommen unverdauliche den Magen verlassen. In diesem Sinne nimmt die Verdaulichkeit nur Rücksicht auf den Druck, unter dem die Speisen in dem Magen liegen, und den Widerstand des Pförtners. Die Mittheilungen, die über die Ver- daulichkeit in diesem Sinne gemacht worden, sind bei Frerichs *) nach- zusehen, welcher sie zuerst auf ihren wahren Werth zurückgeführt hat. *) l. c. 817.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/426>, abgerufen am 06.05.2024.