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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
denn sonst würde die Unterbindung der Carotiden, welche die Spannung
des Blutes im Kopfe wesentlich mindern muss, nicht ohne Einfluss auf
die Absonderungsgeschwindigkeit der Lymphe geblieben sein. Dagegen
scheint die Vermuthung von Donders*), dass sich an der Lymph-
bildung ein elektrischer Diffusionsstrom betheilige, durch die Versuche
von Krause eine Bestätigung erfahren zu wollen. Ebenso scheint es
festzustehen, dass man die alte Ansicht, die Lymphe sei ein verdünntes
Blutplasma, verwerfen muss, denn obwohl beide Stoffe mancherlei Aehn-
lichkeiten bieten, so sind doch die aus den Gefässen getretenen Blut-
bestandtheile nur zum Theil unverändert geblieben, wie dies namentlich
aus der Anwesenheit des Zuckers und der caseinartigen Substanz hervor-
geht. Endlich gewinnt es auch den Anschein, als ob die Flüssigkeit
bei ihrem Durchtritt durch die Lymphdrüsen nicht die Veränderun-
gen erführe, welche man dort vorauszusetzen pflegt. Die Flüssigkeit,
welche aus den Gefässwurzeln anlangt, kommt allerdings hier von Neuem
in Berührung mit den Blutgefässen, welche in die Drüsenräume hinein-
ragen, aber sie bleibt in einer nur sehr kurz dauernden Berührung mit
ihnen, da der Drüsenraum von geringer Längenausdehnung ist und die
Menge von Lymphe, welche täglich durch ihn strömt, sehr bedeutend
ist. -- Die Bildungsstätte der Körperchen sind die Drüsen, denn die in
sie eindringende Lymphe führt wenig oder gar keine und die ausdringende
sehr viel Körperchen. Die Feststellung dieser Thatsache hat sehr zahl-
reiche anatomische Angaben über die Formfolge bei der Entstehung der
Lymphkörperchen beseitigt, die sämmtlich von der Voraussetzung aus-
gingen, dass die Lymphkörperchen frei schwimmend in der Flüssigkeit
sich entwickelten. Noch mehr, es wird sogar zweifelhaft, ob die Lymph-
körperchen die Vorstufen der Blutkörperchen sind, und namentlich, ob
die in der Lymphe gefundenen Blutscheiben dort entstanden sind oder
nicht vielmehr durch Extravasation aus den Blutgefässen in die Drüsen
eingedrungen und der Lymphe beigemengt sind. Im Widerspruche zu
dieser Vermuthung steht allerdings die Angabe von Gubler, dass die
gefärbten Lymphzellen weniger umfangreich als die rothen Blutkörperchen
seien, ohne dabei verschrumpft zu sein.

4. Lymphstrom. Die spannenden und bewegenden Kräfte, welche
der strömenden Lymphe zukommen, sind jedenfalls unbedeutend. Für
die Spannung der Lymphe hat dieses Noll erwiesen durch das Mano-
meter, welches er bei Hunden und Katzen in den Halsstamm einsetzte.
In diesen Versuchen schwankte die Spannung zwischen 10 bis 30 MM.
Wasserdruck. Die Giltigkeit dieses Verhaltens kann auch für den Lymph-
strom des Menschen behauptet werden, weil die Wandungen der Gefässe
bei gleichem Durchmesser ihres Lichten von einer ähnlichen Dicke sind,

*) Henle's und Pfeufer's Zeitschrift. N. F. IV. 239.

Aufsaugung durch die Lymphgefässe.
denn sonst würde die Unterbindung der Carotiden, welche die Spannung
des Blutes im Kopfe wesentlich mindern muss, nicht ohne Einfluss auf
die Absonderungsgeschwindigkeit der Lymphe geblieben sein. Dagegen
scheint die Vermuthung von Donders*), dass sich an der Lymph-
bildung ein elektrischer Diffusionsstrom betheilige, durch die Versuche
von Krause eine Bestätigung erfahren zu wollen. Ebenso scheint es
festzustehen, dass man die alte Ansicht, die Lymphe sei ein verdünntes
Blutplasma, verwerfen muss, denn obwohl beide Stoffe mancherlei Aehn-
lichkeiten bieten, so sind doch die aus den Gefässen getretenen Blut-
bestandtheile nur zum Theil unverändert geblieben, wie dies namentlich
aus der Anwesenheit des Zuckers und der caseinartigen Substanz hervor-
geht. Endlich gewinnt es auch den Anschein, als ob die Flüssigkeit
bei ihrem Durchtritt durch die Lymphdrüsen nicht die Veränderun-
gen erführe, welche man dort vorauszusetzen pflegt. Die Flüssigkeit,
welche aus den Gefässwurzeln anlangt, kommt allerdings hier von Neuem
in Berührung mit den Blutgefässen, welche in die Drüsenräume hinein-
ragen, aber sie bleibt in einer nur sehr kurz dauernden Berührung mit
ihnen, da der Drüsenraum von geringer Längenausdehnung ist und die
Menge von Lymphe, welche täglich durch ihn strömt, sehr bedeutend
ist. — Die Bildungsstätte der Körperchen sind die Drüsen, denn die in
sie eindringende Lymphe führt wenig oder gar keine und die ausdringende
sehr viel Körperchen. Die Feststellung dieser Thatsache hat sehr zahl-
reiche anatomische Angaben über die Formfolge bei der Entstehung der
Lymphkörperchen beseitigt, die sämmtlich von der Voraussetzung aus-
gingen, dass die Lymphkörperchen frei schwimmend in der Flüssigkeit
sich entwickelten. Noch mehr, es wird sogar zweifelhaft, ob die Lymph-
körperchen die Vorstufen der Blutkörperchen sind, und namentlich, ob
die in der Lymphe gefundenen Blutscheiben dort entstanden sind oder
nicht vielmehr durch Extravasation aus den Blutgefässen in die Drüsen
eingedrungen und der Lymphe beigemengt sind. Im Widerspruche zu
dieser Vermuthung steht allerdings die Angabe von Gubler, dass die
gefärbten Lymphzellen weniger umfangreich als die rothen Blutkörperchen
seien, ohne dabei verschrumpft zu sein.

4. Lymphstrom. Die spannenden und bewegenden Kräfte, welche
der strömenden Lymphe zukommen, sind jedenfalls unbedeutend. Für
die Spannung der Lymphe hat dieses Noll erwiesen durch das Mano-
meter, welches er bei Hunden und Katzen in den Halsstamm einsetzte.
In diesen Versuchen schwankte die Spannung zwischen 10 bis 30 MM.
Wasserdruck. Die Giltigkeit dieses Verhaltens kann auch für den Lymph-
strom des Menschen behauptet werden, weil die Wandungen der Gefässe
bei gleichem Durchmesser ihres Lichten von einer ähnlichen Dicke sind,

*) Henle’s und Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. IV. 239.
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[372/0388] Aufsaugung durch die Lymphgefässe. denn sonst würde die Unterbindung der Carotiden, welche die Spannung des Blutes im Kopfe wesentlich mindern muss, nicht ohne Einfluss auf die Absonderungsgeschwindigkeit der Lymphe geblieben sein. Dagegen scheint die Vermuthung von Donders *), dass sich an der Lymph- bildung ein elektrischer Diffusionsstrom betheilige, durch die Versuche von Krause eine Bestätigung erfahren zu wollen. Ebenso scheint es festzustehen, dass man die alte Ansicht, die Lymphe sei ein verdünntes Blutplasma, verwerfen muss, denn obwohl beide Stoffe mancherlei Aehn- lichkeiten bieten, so sind doch die aus den Gefässen getretenen Blut- bestandtheile nur zum Theil unverändert geblieben, wie dies namentlich aus der Anwesenheit des Zuckers und der caseinartigen Substanz hervor- geht. Endlich gewinnt es auch den Anschein, als ob die Flüssigkeit bei ihrem Durchtritt durch die Lymphdrüsen nicht die Veränderun- gen erführe, welche man dort vorauszusetzen pflegt. Die Flüssigkeit, welche aus den Gefässwurzeln anlangt, kommt allerdings hier von Neuem in Berührung mit den Blutgefässen, welche in die Drüsenräume hinein- ragen, aber sie bleibt in einer nur sehr kurz dauernden Berührung mit ihnen, da der Drüsenraum von geringer Längenausdehnung ist und die Menge von Lymphe, welche täglich durch ihn strömt, sehr bedeutend ist. — Die Bildungsstätte der Körperchen sind die Drüsen, denn die in sie eindringende Lymphe führt wenig oder gar keine und die ausdringende sehr viel Körperchen. Die Feststellung dieser Thatsache hat sehr zahl- reiche anatomische Angaben über die Formfolge bei der Entstehung der Lymphkörperchen beseitigt, die sämmtlich von der Voraussetzung aus- gingen, dass die Lymphkörperchen frei schwimmend in der Flüssigkeit sich entwickelten. Noch mehr, es wird sogar zweifelhaft, ob die Lymph- körperchen die Vorstufen der Blutkörperchen sind, und namentlich, ob die in der Lymphe gefundenen Blutscheiben dort entstanden sind oder nicht vielmehr durch Extravasation aus den Blutgefässen in die Drüsen eingedrungen und der Lymphe beigemengt sind. Im Widerspruche zu dieser Vermuthung steht allerdings die Angabe von Gubler, dass die gefärbten Lymphzellen weniger umfangreich als die rothen Blutkörperchen seien, ohne dabei verschrumpft zu sein. 4. Lymphstrom. Die spannenden und bewegenden Kräfte, welche der strömenden Lymphe zukommen, sind jedenfalls unbedeutend. Für die Spannung der Lymphe hat dieses Noll erwiesen durch das Mano- meter, welches er bei Hunden und Katzen in den Halsstamm einsetzte. In diesen Versuchen schwankte die Spannung zwischen 10 bis 30 MM. Wasserdruck. Die Giltigkeit dieses Verhaltens kann auch für den Lymph- strom des Menschen behauptet werden, weil die Wandungen der Gefässe bei gleichem Durchmesser ihres Lichten von einer ähnlichen Dicke sind, *) Henle’s und Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. IV. 239.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/388>, abgerufen am 22.11.2024.