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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Berührung der Luft inner- und ausserhalb des Bluts.
nicht ohne Weiteres vor sich geht, so lange der Sauerstoff und die koh-
lenstoffhaltigen Atome vorhanden sind, sondern dass viele complexe
Atome erst vorbereitet werden müssen durch vorgängige Spaltungen,
welche abhängig sind von Bedingungen, die mit der Zeit variiren. So
müssen von dem Eiweissstoff Leucin, Tyrosin, Kreatin, Taurin, Hypo-
xanthin u. A., von den neutralen Fetten Glyzerin abgespalten werden,
bevor der Rest der Oxydation anheimfällt. Diese Spaltungen sind aber
abhängig von sehr inconstanten Ereignissen in den Muskeln, in einzelnen
Drüsen u. s. w. Endlich wissen wir, dass einzelne und namentlich das
verbreitete Gewebe der Muskeln bald sauer und bald alkalisch reagirt,
und daraus geht hervor, dass sie verschiedene Mengen von CO2 zur
Ueberführung in das Blut disponibel halten werden, selbst wenn die Er-
zeugung derselben in stets gleicher Lebhaftigkeit vor sich ginge. Wenn die
saure Reaktion durch das eintretende Uebergewicht einfach kohlensauren
oder basisch phosphorsauren Natrons in die basische umschlägt, so muss
ein Theil von der jeweilig gebildeten CO2 in den Muskeln zurückgehalten
werden, welcher, wenn die saure Reaktion wiederkehrt, ausgetrieben
wird. -- Die Beobachtung bestätigt nun im Allgemeinen die Forderun-
gen der Theorie, indem sie darthut, dass mit den Nahrungsmitteln und
den Zuständen unserer Organe die Aushauchung der CO2 und die ihr
entsprechende Sauerstoffbindung sehr wesentlich veränderlich ist. Aber
hier hat die Beobachtung noch das Meiste zu leisten, da es ihr noch
bevorsteht, zu ermitteln, wie die Zusammensetzung und Spannung der
Luftarten in den Gewebsflüssigkeiten beschaffen sei. Ohne eine Kennt-
niss der Atmosphären in den Geweben, derjenigen, in welche das Blut
der Aortencapillaren eingebettet ist, wird uns niemals der ganze Ath-
mungsprozess klar werden, wären uns auch noch so bekannt die Beziehun-
gen zwischen der Luft in den Lungencapillaren und in der irdischen At-
mosphäre. Denn von diesen beiden Vorgängen, von denen der erste O
aus- und CO2 in das Blut, der andere umgekehrt CO2 aus- und O in
das Blut führt, ist es der erstere, welcher in den gewöhnlichen Ver-
hältnissen den zweiten vollkommen beherrscht und bestimmt.

Wir brauchen kaum zu erwähnen, dass das abdunstende Wasser
mit den Speisen geradewegs wieder eingeführt wird, dass es aber auch,
zum freilich geringsten Theil, durch Oxydation wasserstoffhaltiger Atom-
complexe entsteht.

Berührung zwischen den Luftarten der Erd- und Blut-
atmosphäre
.

Geschwindigkeit und der Umfang des Austausches der Gasarten
hängt, alles andere gleichgesetzt, ab von der Fläche und von der Zeit,
in der die Berührung geschieht. Der Einfluss der ersten Bedingungen
bedarf gar keiner Erwägung; rücksichtlich des letzteren erwähnen wir
dagegen, dass es zur Unterhaltung der Athmung keineswegs genügt,

Ludwig, Physiologie. II. 20

Berührung der Luft inner- und ausserhalb des Bluts.
nicht ohne Weiteres vor sich geht, so lange der Sauerstoff und die koh-
lenstoffhaltigen Atome vorhanden sind, sondern dass viele complexe
Atome erst vorbereitet werden müssen durch vorgängige Spaltungen,
welche abhängig sind von Bedingungen, die mit der Zeit variiren. So
müssen von dem Eiweissstoff Leucin, Tyrosin, Kreatin, Taurin, Hypo-
xanthin u. A., von den neutralen Fetten Glyzerin abgespalten werden,
bevor der Rest der Oxydation anheimfällt. Diese Spaltungen sind aber
abhängig von sehr inconstanten Ereignissen in den Muskeln, in einzelnen
Drüsen u. s. w. Endlich wissen wir, dass einzelne und namentlich das
verbreitete Gewebe der Muskeln bald sauer und bald alkalisch reagirt,
und daraus geht hervor, dass sie verschiedene Mengen von CO2 zur
Ueberführung in das Blut disponibel halten werden, selbst wenn die Er-
zeugung derselben in stets gleicher Lebhaftigkeit vor sich ginge. Wenn die
saure Reaktion durch das eintretende Uebergewicht einfach kohlensauren
oder basisch phosphorsauren Natrons in die basische umschlägt, so muss
ein Theil von der jeweilig gebildeten CO2 in den Muskeln zurückgehalten
werden, welcher, wenn die saure Reaktion wiederkehrt, ausgetrieben
wird. — Die Beobachtung bestätigt nun im Allgemeinen die Forderun-
gen der Theorie, indem sie darthut, dass mit den Nahrungsmitteln und
den Zuständen unserer Organe die Aushauchung der CO2 und die ihr
entsprechende Sauerstoffbindung sehr wesentlich veränderlich ist. Aber
hier hat die Beobachtung noch das Meiste zu leisten, da es ihr noch
bevorsteht, zu ermitteln, wie die Zusammensetzung und Spannung der
Luftarten in den Gewebsflüssigkeiten beschaffen sei. Ohne eine Kennt-
niss der Atmosphären in den Geweben, derjenigen, in welche das Blut
der Aortencapillaren eingebettet ist, wird uns niemals der ganze Ath-
mungsprozess klar werden, wären uns auch noch so bekannt die Beziehun-
gen zwischen der Luft in den Lungencapillaren und in der irdischen At-
mosphäre. Denn von diesen beiden Vorgängen, von denen der erste O
aus- und CO2 in das Blut, der andere umgekehrt CO2 aus- und O in
das Blut führt, ist es der erstere, welcher in den gewöhnlichen Ver-
hältnissen den zweiten vollkommen beherrscht und bestimmt.

Wir brauchen kaum zu erwähnen, dass das abdunstende Wasser
mit den Speisen geradewegs wieder eingeführt wird, dass es aber auch,
zum freilich geringsten Theil, durch Oxydation wasserstoffhaltiger Atom-
complexe entsteht.

Berührung zwischen den Luftarten der Erd- und Blut-
atmosphäre
.

Geschwindigkeit und der Umfang des Austausches der Gasarten
hängt, alles andere gleichgesetzt, ab von der Fläche und von der Zeit,
in der die Berührung geschieht. Der Einfluss der ersten Bedingungen
bedarf gar keiner Erwägung; rücksichtlich des letzteren erwähnen wir
dagegen, dass es zur Unterhaltung der Athmung keineswegs genügt,

Ludwig, Physiologie. II. 20
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[305/0321] Berührung der Luft inner- und ausserhalb des Bluts. nicht ohne Weiteres vor sich geht, so lange der Sauerstoff und die koh- lenstoffhaltigen Atome vorhanden sind, sondern dass viele complexe Atome erst vorbereitet werden müssen durch vorgängige Spaltungen, welche abhängig sind von Bedingungen, die mit der Zeit variiren. So müssen von dem Eiweissstoff Leucin, Tyrosin, Kreatin, Taurin, Hypo- xanthin u. A., von den neutralen Fetten Glyzerin abgespalten werden, bevor der Rest der Oxydation anheimfällt. Diese Spaltungen sind aber abhängig von sehr inconstanten Ereignissen in den Muskeln, in einzelnen Drüsen u. s. w. Endlich wissen wir, dass einzelne und namentlich das verbreitete Gewebe der Muskeln bald sauer und bald alkalisch reagirt, und daraus geht hervor, dass sie verschiedene Mengen von CO2 zur Ueberführung in das Blut disponibel halten werden, selbst wenn die Er- zeugung derselben in stets gleicher Lebhaftigkeit vor sich ginge. Wenn die saure Reaktion durch das eintretende Uebergewicht einfach kohlensauren oder basisch phosphorsauren Natrons in die basische umschlägt, so muss ein Theil von der jeweilig gebildeten CO2 in den Muskeln zurückgehalten werden, welcher, wenn die saure Reaktion wiederkehrt, ausgetrieben wird. — Die Beobachtung bestätigt nun im Allgemeinen die Forderun- gen der Theorie, indem sie darthut, dass mit den Nahrungsmitteln und den Zuständen unserer Organe die Aushauchung der CO2 und die ihr entsprechende Sauerstoffbindung sehr wesentlich veränderlich ist. Aber hier hat die Beobachtung noch das Meiste zu leisten, da es ihr noch bevorsteht, zu ermitteln, wie die Zusammensetzung und Spannung der Luftarten in den Gewebsflüssigkeiten beschaffen sei. Ohne eine Kennt- niss der Atmosphären in den Geweben, derjenigen, in welche das Blut der Aortencapillaren eingebettet ist, wird uns niemals der ganze Ath- mungsprozess klar werden, wären uns auch noch so bekannt die Beziehun- gen zwischen der Luft in den Lungencapillaren und in der irdischen At- mosphäre. Denn von diesen beiden Vorgängen, von denen der erste O aus- und CO2 in das Blut, der andere umgekehrt CO2 aus- und O in das Blut führt, ist es der erstere, welcher in den gewöhnlichen Ver- hältnissen den zweiten vollkommen beherrscht und bestimmt. Wir brauchen kaum zu erwähnen, dass das abdunstende Wasser mit den Speisen geradewegs wieder eingeführt wird, dass es aber auch, zum freilich geringsten Theil, durch Oxydation wasserstoffhaltiger Atom- complexe entsteht. Berührung zwischen den Luftarten der Erd- und Blut- atmosphäre. Geschwindigkeit und der Umfang des Austausches der Gasarten hängt, alles andere gleichgesetzt, ab von der Fläche und von der Zeit, in der die Berührung geschieht. Der Einfluss der ersten Bedingungen bedarf gar keiner Erwägung; rücksichtlich des letzteren erwähnen wir dagegen, dass es zur Unterhaltung der Athmung keineswegs genügt, Ludwig, Physiologie. II. 20

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/321>, abgerufen am 22.11.2024.