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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Leber; chemische Bestandtheile.
kommener Nahrungsentziehung, auch wenn man die Thiere bei Fett und
Wasser verhungern lässt, nimmt der Zuckergehalt allmählig ab, so dass
noch 10 bis 14 Tage nach Verfluss der letzten Mahlzeit die Leber zucker-
haltig gefunden wird. Gewöhnlich verschwindet derselbe erst einige Stun-
den vor dem Tod. -- Daraus geht hervor, dass die Leber des gesunden
Menschen und sogar die des Fötus immer Zucker enthält. -- Durch-
schneidet man bei einem Thier die n. vagi, so schwindet schon nach
24 Stunden aller Zucker aus der Leber; erregt man das Central- (mit
dem Hirn zusammenhängende) Ende des durchschnittenen Nerven, so
wird der Zucker in solcher Menge gebildet, dass er selbst in den Harn
übergeht. -- Welchem Ort der Leber der Zucker angehört, ist nicht mit
Sicherheit anzugeben; da das Pfortaderblut zuckerfrei ist, so muss er in
der Leber und, wie man vermuthet, in den Leberzellen gebildet sein. --
Alles, was wir von diesen bemerkenswerthen Erscheinungen kennen, ver-
danken wir einem glücklichen Griff und den ausdauernden Bemühungen
von Cl. Bernard. -- b) Gallensäuren *). Sie finden sich jeder Zeit
in der Leberflüssigkeit; da sie nun im Pfortader- und Lebervenenblut
der Säugethiere fehlen (Lehmann) und bei Fröschen dort selbst dann
nicht beobachtet werden, wenn sie noch 21 Tage nach Ausschneidung
ihrer Leber gelebt haben (Moleschott), so sind sie unzweifelhaft als
eine chemische Neubildung der Leber anzusehen. Die mikrochemische
Reaktion hat sie auch schon längst als einen Bestandtheil des Leber-
zelleninhalts nachgewiesen. -- c) Die Fette und d) Gallenfarbstoffe
der Leberflüssigkeit leitet der Mikrochemiker aus den Leberzellen ab. --
e) Milchsäure soll nach Bibra ein Bestandtheil der Leberflüssigkeit
sein. -- f) und g) Leucin und Tyrosin, die bekannten Umsetzungs-
produkte eiweissartiger Körper, kommen in der Leber und insbesondere
typhöser Individuen vor. Diese interessante Entdeckung verdanken wir Fre-
richs
u. Städeler **). -- h) Bernard fand nach reichlichem Genuss von
Zucker einen eigenthümlichen nicht näher bezeichneten Stoff in der Leber.

Quantitative Analysen der ganzen Leber siehe bei Bibra ***).

3. Zusammensetzung des Leberbluts. Mit Hinweisung auf p. 23
dieses Bandes heben wir hier nur das Eigenthümliche unserer Blutarten
hervor. -- Das Pfortaderblut ist bis dahin in seiner qualitativen Zusam-
mensetzung wenig abweichend von dem der andern Venen gefunden wor-
den. Dieses gilt selbst für das Blut, welches zur Zeit der Verdauung in
den ausgedehnten Wurzeln der Pfortader vom Darminhalt umspült worden
ist. Nur einmal fand Bernard bei einem Pferd, das reichlich mit Rohr-
zucker gefüttert war, diesen Stoff in dem Pfortaderblute. Wenn man diese
Erfahrungen nicht auf die Mangelhaftigkeit der analytischen Hilfsmittel

*) Moleschott, Archiv für physiolog. Heilkunde. XI. Bd. 479. -- Henle, Allgemeine Anatomie,
1841. 903.
**) Müller's Archiv. 1854.
***) Chemische Fragmente über Leber und Galle. Braunschweig 1849.

Leber; chemische Bestandtheile.
kommener Nahrungsentziehung, auch wenn man die Thiere bei Fett und
Wasser verhungern lässt, nimmt der Zuckergehalt allmählig ab, so dass
noch 10 bis 14 Tage nach Verfluss der letzten Mahlzeit die Leber zucker-
haltig gefunden wird. Gewöhnlich verschwindet derselbe erst einige Stun-
den vor dem Tod. — Daraus geht hervor, dass die Leber des gesunden
Menschen und sogar die des Fötus immer Zucker enthält. — Durch-
schneidet man bei einem Thier die n. vagi, so schwindet schon nach
24 Stunden aller Zucker aus der Leber; erregt man das Central- (mit
dem Hirn zusammenhängende) Ende des durchschnittenen Nerven, so
wird der Zucker in solcher Menge gebildet, dass er selbst in den Harn
übergeht. — Welchem Ort der Leber der Zucker angehört, ist nicht mit
Sicherheit anzugeben; da das Pfortaderblut zuckerfrei ist, so muss er in
der Leber und, wie man vermuthet, in den Leberzellen gebildet sein. —
Alles, was wir von diesen bemerkenswerthen Erscheinungen kennen, ver-
danken wir einem glücklichen Griff und den ausdauernden Bemühungen
von Cl. Bernard. — b) Gallensäuren *). Sie finden sich jeder Zeit
in der Leberflüssigkeit; da sie nun im Pfortader- und Lebervenenblut
der Säugethiere fehlen (Lehmann) und bei Fröschen dort selbst dann
nicht beobachtet werden, wenn sie noch 21 Tage nach Ausschneidung
ihrer Leber gelebt haben (Moleschott), so sind sie unzweifelhaft als
eine chemische Neubildung der Leber anzusehen. Die mikrochemische
Reaktion hat sie auch schon längst als einen Bestandtheil des Leber-
zelleninhalts nachgewiesen. — c) Die Fette und d) Gallenfarbstoffe
der Leberflüssigkeit leitet der Mikrochemiker aus den Leberzellen ab. —
e) Milchsäure soll nach Bibra ein Bestandtheil der Leberflüssigkeit
sein. — f) und g) Leucin und Tyrosin, die bekannten Umsetzungs-
produkte eiweissartiger Körper, kommen in der Leber und insbesondere
typhöser Individuen vor. Diese interessante Entdeckung verdanken wir Fre-
richs
u. Städeler **). — h) Bernard fand nach reichlichem Genuss von
Zucker einen eigenthümlichen nicht näher bezeichneten Stoff in der Leber.

Quantitative Analysen der ganzen Leber siehe bei Bibra ***).

3. Zusammensetzung des Leberbluts. Mit Hinweisung auf p. 23
dieses Bandes heben wir hier nur das Eigenthümliche unserer Blutarten
hervor. — Das Pfortaderblut ist bis dahin in seiner qualitativen Zusam-
mensetzung wenig abweichend von dem der andern Venen gefunden wor-
den. Dieses gilt selbst für das Blut, welches zur Zeit der Verdauung in
den ausgedehnten Wurzeln der Pfortader vom Darminhalt umspült worden
ist. Nur einmal fand Bernard bei einem Pferd, das reichlich mit Rohr-
zucker gefüttert war, diesen Stoff in dem Pfortaderblute. Wenn man diese
Erfahrungen nicht auf die Mangelhaftigkeit der analytischen Hilfsmittel

*) Moleschott, Archiv für physiolog. Heilkunde. XI. Bd. 479. — Henle, Allgemeine Anatomie,
1841. 903.
**) Müller’s Archiv. 1854.
***) Chemische Fragmente über Leber und Galle. Braunschweig 1849.
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[219/0235] Leber; chemische Bestandtheile. kommener Nahrungsentziehung, auch wenn man die Thiere bei Fett und Wasser verhungern lässt, nimmt der Zuckergehalt allmählig ab, so dass noch 10 bis 14 Tage nach Verfluss der letzten Mahlzeit die Leber zucker- haltig gefunden wird. Gewöhnlich verschwindet derselbe erst einige Stun- den vor dem Tod. — Daraus geht hervor, dass die Leber des gesunden Menschen und sogar die des Fötus immer Zucker enthält. — Durch- schneidet man bei einem Thier die n. vagi, so schwindet schon nach 24 Stunden aller Zucker aus der Leber; erregt man das Central- (mit dem Hirn zusammenhängende) Ende des durchschnittenen Nerven, so wird der Zucker in solcher Menge gebildet, dass er selbst in den Harn übergeht. — Welchem Ort der Leber der Zucker angehört, ist nicht mit Sicherheit anzugeben; da das Pfortaderblut zuckerfrei ist, so muss er in der Leber und, wie man vermuthet, in den Leberzellen gebildet sein. — Alles, was wir von diesen bemerkenswerthen Erscheinungen kennen, ver- danken wir einem glücklichen Griff und den ausdauernden Bemühungen von Cl. Bernard. — b) Gallensäuren *). Sie finden sich jeder Zeit in der Leberflüssigkeit; da sie nun im Pfortader- und Lebervenenblut der Säugethiere fehlen (Lehmann) und bei Fröschen dort selbst dann nicht beobachtet werden, wenn sie noch 21 Tage nach Ausschneidung ihrer Leber gelebt haben (Moleschott), so sind sie unzweifelhaft als eine chemische Neubildung der Leber anzusehen. Die mikrochemische Reaktion hat sie auch schon längst als einen Bestandtheil des Leber- zelleninhalts nachgewiesen. — c) Die Fette und d) Gallenfarbstoffe der Leberflüssigkeit leitet der Mikrochemiker aus den Leberzellen ab. — e) Milchsäure soll nach Bibra ein Bestandtheil der Leberflüssigkeit sein. — f) und g) Leucin und Tyrosin, die bekannten Umsetzungs- produkte eiweissartiger Körper, kommen in der Leber und insbesondere typhöser Individuen vor. Diese interessante Entdeckung verdanken wir Fre- richs u. Städeler **). — h) Bernard fand nach reichlichem Genuss von Zucker einen eigenthümlichen nicht näher bezeichneten Stoff in der Leber. Quantitative Analysen der ganzen Leber siehe bei Bibra ***). 3. Zusammensetzung des Leberbluts. Mit Hinweisung auf p. 23 dieses Bandes heben wir hier nur das Eigenthümliche unserer Blutarten hervor. — Das Pfortaderblut ist bis dahin in seiner qualitativen Zusam- mensetzung wenig abweichend von dem der andern Venen gefunden wor- den. Dieses gilt selbst für das Blut, welches zur Zeit der Verdauung in den ausgedehnten Wurzeln der Pfortader vom Darminhalt umspült worden ist. Nur einmal fand Bernard bei einem Pferd, das reichlich mit Rohr- zucker gefüttert war, diesen Stoff in dem Pfortaderblute. Wenn man diese Erfahrungen nicht auf die Mangelhaftigkeit der analytischen Hilfsmittel *) Moleschott, Archiv für physiolog. Heilkunde. XI. Bd. 479. — Henle, Allgemeine Anatomie, 1841. 903. **) Müller’s Archiv. 1854. ***) Chemische Fragmente über Leber und Galle. Braunschweig 1849.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/235>, abgerufen am 25.04.2024.