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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Knochen.
Fötalleben verknöchert, auch sogleich wieder verschwindet. -- Die Ver-
knöcherung in dem Theil des ursprünglichen Knorpelskeletts, welcher
auch noch nach der Geburt unverkalkt zurückblieb, in den sog. perma-
nenten Knorpeln, geht theilweise ähnlich vor sich, zum Theil aber be-
ginnt auch die Infiltration der Erde zuerst in den Wandungen der ein-
geschachtelten Zellen, welche dann als harte Kapseln vereinzelt in der
weichen Zwischenmasse gelegen sind. -- Ueber die Entstehung der Strah-
lenkörperchen des Knochens ist man noch im Unklaren. Die grössere
Zahl der Anatomen neigt sich, ohne Uebergangsstufen gesehen zu haben,
der Ansicht zu, dass die Höhlenreste der eingeschachtelten Zellen dem
mittleren Theil des Strahlenkörpers entsprächen und dass die von ihnen
abgehenden Ausläufer durch eine den Knochen treffende Auflösung er-
zeugt würden; andere, und insbesondere Bruch, sind der Meinung, dass
im Primordialskelett niemals die Zellenhöhlen mit Ausläufern versehen
wurden.

Die Formfolge, welche beobachtet wurde in den Zusätzen, welche
das Primordialskelet beim Knochenwachsthum zum sog. ständigen Kno-
chengerüste empfängt, ist eine verschiedenartige. Wir betrachten zuerst
den Fall, in welchem innerhalb eines Knochens die Verknöcherung von
zwei entfernten Orten begonnen hat und gegen einander so weit vorge-
schritten ist, wie z. B. im Mittelstück und den Enden der Röhrenkno-
chen, dass die beiden Knochenstücke nur noch durch ein dünnes Knor-
pelblatt getrennt werden. Hier geht in dem Knorpel fortwährend eine
Neubildung von Knorpelzellen vor sich in der Art, dass die Knorpelhöh-
len (die einschliessenden Zellen) sich immer mehr nach der Richtung
der Längenachse des Knochens ausdehnen, während zugleich in dem ver-
grösserten Raume neue Zellen entstehen. Diese röhrenförmigen Mutter-
zellen würden demnach den reihenweise gestellten Knorpelhöhlen des
primordialen Skelets entsprechen. Indem sich aber die Zelle nach der
einen, von dem Verknöcherungsrand abgewendeten Seite verlängert, ver-
kalken ihre Wandungen nach der dem Knochenrand zugekehrten, und
kaum sind sie verknöchert, so beginnt auch schon wieder der Auf-
lösungsakt, durch welchen die Markhöhlen erzeugt werden. Der ganze
Vorgang schliesst sich also sehr innig an die Verknöcherung des primor-
dialen Skelets an. -- Ganz eigenthümlich gestaltet sich aber die Sache
an den Orten, an welchen der Primordialknochen mit dem Periost zu-
sammentrifft, wie z. B. an der Peripherie eines Röhrenknochens. Alle
Beobachter stimmen darin überein, dass auf die innere Fläche des Pe-
riosts zuerst eine weiche, aus Zellen- und strukturloser Zwischenmasse
bestehende Ablagerung geschehe, die so bald verknöchere, dass beide Vor-
gänge nahezu gleichen Schritt halten; es ist also jederzeit nur wenig
von dem verknöcherungsfähigen, weichen Material vorhanden. Die Ver-
knöcherung beginnt auch hier um die Gefässe herum, welche vom Periost

Knochen.
Fötalleben verknöchert, auch sogleich wieder verschwindet. — Die Ver-
knöcherung in dem Theil des ursprünglichen Knorpelskeletts, welcher
auch noch nach der Geburt unverkalkt zurückblieb, in den sog. perma-
nenten Knorpeln, geht theilweise ähnlich vor sich, zum Theil aber be-
ginnt auch die Infiltration der Erde zuerst in den Wandungen der ein-
geschachtelten Zellen, welche dann als harte Kapseln vereinzelt in der
weichen Zwischenmasse gelegen sind. — Ueber die Entstehung der Strah-
lenkörperchen des Knochens ist man noch im Unklaren. Die grössere
Zahl der Anatomen neigt sich, ohne Uebergangsstufen gesehen zu haben,
der Ansicht zu, dass die Höhlenreste der eingeschachtelten Zellen dem
mittleren Theil des Strahlenkörpers entsprächen und dass die von ihnen
abgehenden Ausläufer durch eine den Knochen treffende Auflösung er-
zeugt würden; andere, und insbesondere Bruch, sind der Meinung, dass
im Primordialskelett niemals die Zellenhöhlen mit Ausläufern versehen
wurden.

Die Formfolge, welche beobachtet wurde in den Zusätzen, welche
das Primordialskelet beim Knochenwachsthum zum sog. ständigen Kno-
chengerüste empfängt, ist eine verschiedenartige. Wir betrachten zuerst
den Fall, in welchem innerhalb eines Knochens die Verknöcherung von
zwei entfernten Orten begonnen hat und gegen einander so weit vorge-
schritten ist, wie z. B. im Mittelstück und den Enden der Röhrenkno-
chen, dass die beiden Knochenstücke nur noch durch ein dünnes Knor-
pelblatt getrennt werden. Hier geht in dem Knorpel fortwährend eine
Neubildung von Knorpelzellen vor sich in der Art, dass die Knorpelhöh-
len (die einschliessenden Zellen) sich immer mehr nach der Richtung
der Längenachse des Knochens ausdehnen, während zugleich in dem ver-
grösserten Raume neue Zellen entstehen. Diese röhrenförmigen Mutter-
zellen würden demnach den reihenweise gestellten Knorpelhöhlen des
primordialen Skelets entsprechen. Indem sich aber die Zelle nach der
einen, von dem Verknöcherungsrand abgewendeten Seite verlängert, ver-
kalken ihre Wandungen nach der dem Knochenrand zugekehrten, und
kaum sind sie verknöchert, so beginnt auch schon wieder der Auf-
lösungsakt, durch welchen die Markhöhlen erzeugt werden. Der ganze
Vorgang schliesst sich also sehr innig an die Verknöcherung des primor-
dialen Skelets an. — Ganz eigenthümlich gestaltet sich aber die Sache
an den Orten, an welchen der Primordialknochen mit dem Periost zu-
sammentrifft, wie z. B. an der Peripherie eines Röhrenknochens. Alle
Beobachter stimmen darin überein, dass auf die innere Fläche des Pe-
riosts zuerst eine weiche, aus Zellen- und strukturloser Zwischenmasse
bestehende Ablagerung geschehe, die so bald verknöchere, dass beide Vor-
gänge nahezu gleichen Schritt halten; es ist also jederzeit nur wenig
von dem verknöcherungsfähigen, weichen Material vorhanden. Die Ver-
knöcherung beginnt auch hier um die Gefässe herum, welche vom Periost

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[196/0212] Knochen. Fötalleben verknöchert, auch sogleich wieder verschwindet. — Die Ver- knöcherung in dem Theil des ursprünglichen Knorpelskeletts, welcher auch noch nach der Geburt unverkalkt zurückblieb, in den sog. perma- nenten Knorpeln, geht theilweise ähnlich vor sich, zum Theil aber be- ginnt auch die Infiltration der Erde zuerst in den Wandungen der ein- geschachtelten Zellen, welche dann als harte Kapseln vereinzelt in der weichen Zwischenmasse gelegen sind. — Ueber die Entstehung der Strah- lenkörperchen des Knochens ist man noch im Unklaren. Die grössere Zahl der Anatomen neigt sich, ohne Uebergangsstufen gesehen zu haben, der Ansicht zu, dass die Höhlenreste der eingeschachtelten Zellen dem mittleren Theil des Strahlenkörpers entsprächen und dass die von ihnen abgehenden Ausläufer durch eine den Knochen treffende Auflösung er- zeugt würden; andere, und insbesondere Bruch, sind der Meinung, dass im Primordialskelett niemals die Zellenhöhlen mit Ausläufern versehen wurden. Die Formfolge, welche beobachtet wurde in den Zusätzen, welche das Primordialskelet beim Knochenwachsthum zum sog. ständigen Kno- chengerüste empfängt, ist eine verschiedenartige. Wir betrachten zuerst den Fall, in welchem innerhalb eines Knochens die Verknöcherung von zwei entfernten Orten begonnen hat und gegen einander so weit vorge- schritten ist, wie z. B. im Mittelstück und den Enden der Röhrenkno- chen, dass die beiden Knochenstücke nur noch durch ein dünnes Knor- pelblatt getrennt werden. Hier geht in dem Knorpel fortwährend eine Neubildung von Knorpelzellen vor sich in der Art, dass die Knorpelhöh- len (die einschliessenden Zellen) sich immer mehr nach der Richtung der Längenachse des Knochens ausdehnen, während zugleich in dem ver- grösserten Raume neue Zellen entstehen. Diese röhrenförmigen Mutter- zellen würden demnach den reihenweise gestellten Knorpelhöhlen des primordialen Skelets entsprechen. Indem sich aber die Zelle nach der einen, von dem Verknöcherungsrand abgewendeten Seite verlängert, ver- kalken ihre Wandungen nach der dem Knochenrand zugekehrten, und kaum sind sie verknöchert, so beginnt auch schon wieder der Auf- lösungsakt, durch welchen die Markhöhlen erzeugt werden. Der ganze Vorgang schliesst sich also sehr innig an die Verknöcherung des primor- dialen Skelets an. — Ganz eigenthümlich gestaltet sich aber die Sache an den Orten, an welchen der Primordialknochen mit dem Periost zu- sammentrifft, wie z. B. an der Peripherie eines Röhrenknochens. Alle Beobachter stimmen darin überein, dass auf die innere Fläche des Pe- riosts zuerst eine weiche, aus Zellen- und strukturloser Zwischenmasse bestehende Ablagerung geschehe, die so bald verknöchere, dass beide Vor- gänge nahezu gleichen Schritt halten; es ist also jederzeit nur wenig von dem verknöcherungsfähigen, weichen Material vorhanden. Die Ver- knöcherung beginnt auch hier um die Gefässe herum, welche vom Periost

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/212>, abgerufen am 28.03.2024.