Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Bindegewebe.
Partien abwechseln. In diesen Zwischenräumen (oder Lücken) lie-
gen in der strukturlosen Grundlage Zellen und auch Kernfasern oder
Kernfasernetze, welche auch unter dem Namen Bindegewebskörperchen
und Saftzellen gehen. Dieser letzte Name deutet darauf hin, dass die
Arme jener Netze, wie dieses Donders und Virchow vermuthen,
hohl sind.

2. Chemische Beschaffenheit. Die Formbestandtheile des Bindegewe-
bes sind im Leben mit einer Feuchtigkeit durchtränkt, und ausserdem
liegt in den Lücken zwischen den Blättern und Faserbündeln Feuchtig-
keit eingeschlossen. Ihre Zusammensetzung ist unbekannt. -- Die festen
organischen Bestandtheile bieten, mit Alkohol, Aether und Wasser gerei-
nigt, die prozentische Zusammensetzung des Leims dar (Scherer und
Winkler). Wenn man aus dieser Thatsache schliesst, dass sich das
Bindegewebe beim Kochen ohne Veränderung seiner Zusammensetzung
in Leim auflöse, so ist damit nur ausgesprochen, dass die Analyse dieses
Körpers in sehr weiter Fehlergrenze nur das Richtige trifft. Ohne dieses
müsste man nemlich gerade das entgegengesetzte behaupten, weil Binde-
gewebe selbst da, wo es am reinsten vorkommt, einen noch sehr bedeu-
tenden Antheil anders zusammengesetzter Gewebe enthält, welche sich
beim Kochen nachweisslich nicht auflösen. Zellinsky *) fand den unlös-
lichen Rückstand der 4 -- 6 Tage lang gekochten Sehnen zu 4 -- 5 pCt.

Man hat sich erlaubt, auf die chemische Beschaffenheit der Bindegewebsflüssig-
keit zu schliessen aus derjenigen, welche beim Zellgewebsödem das Binde-
gewebe erfüllt, oder gar aus dem Safte, welcher in Folge von Entzündungen aus
den Gefässen des Bindegewebes austritt **). Diese letzte Annahme verdient keine Be-
rücksichtigung. Die Oedem erzeugende Flüssigkeit, welche nach Schmidt stark
alkalisch reagirt, besteht in 100 Theilen aus 0,36 pCt. organischer Bestandtheile
(die vorzugsweise Eiweiss aber keinen Faserstoff enthalten), aus 0,77 Salzen und
98,[ - 1 Zeichen fehlt]7 Wasser. -- Die Annahme einer Uebereinstimmung zwischen dieser und der
normalen Zellgewebsfeuchtigkeit dürfte darum gewagt erscheinen, weil, so weit wir
wissen, ein Oedem nur eintritt, wenn eine wesentliche Veränderung in der Zusammen-
setzung des Bluts vor sich gegangen, oder wenn der Strom in den Blutgefässen des
Bindegewebs in Folge einer Hemmung desselben in den Venen unter einer erhöhten
Spannung fliesst. -- Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Lymphgefässe, und nament-
lich ehe sie in die Drüse eintreten, den Saft der Zellgewebslücken enthalten, wel-
chem wir, gestützt auf die Quellungserscheinungen, nicht ohne Weiteres dieselbe
Zusammensetzung zuschreiben dürfen mit demjenigen, der die feste Masse selbst durch-
feuchtet.

3. Ernährungserscheinungen. Das leimgebende Bindegewebe entsteht
unzweifelhaft aus eiweissartigen Stoffen, denn es enthält das Blut (oder
die Eistoffe) keinen Leim, und die Analogie in der Zusammensetzung
und der chemischen Constitution bürgt dafür, dass der Leim ein um-
gewandeltes Eiweiss ist. Hiermit befindet sich die Thatsache wenigstens

*) Henle's Jahresbericht für allgem. Anatomie für 1853. p. 28.
**) C. Schmidt, Charakteristik der epidem. Cholera. Mitau 1850. 123.
12*

Bindegewebe.
Partien abwechseln. In diesen Zwischenräumen (oder Lücken) lie-
gen in der strukturlosen Grundlage Zellen und auch Kernfasern oder
Kernfasernetze, welche auch unter dem Namen Bindegewebskörperchen
und Saftzellen gehen. Dieser letzte Name deutet darauf hin, dass die
Arme jener Netze, wie dieses Donders und Virchow vermuthen,
hohl sind.

2. Chemische Beschaffenheit. Die Formbestandtheile des Bindegewe-
bes sind im Leben mit einer Feuchtigkeit durchtränkt, und ausserdem
liegt in den Lücken zwischen den Blättern und Faserbündeln Feuchtig-
keit eingeschlossen. Ihre Zusammensetzung ist unbekannt. — Die festen
organischen Bestandtheile bieten, mit Alkohol, Aether und Wasser gerei-
nigt, die prozentische Zusammensetzung des Leims dar (Scherer und
Winkler). Wenn man aus dieser Thatsache schliesst, dass sich das
Bindegewebe beim Kochen ohne Veränderung seiner Zusammensetzung
in Leim auflöse, so ist damit nur ausgesprochen, dass die Analyse dieses
Körpers in sehr weiter Fehlergrenze nur das Richtige trifft. Ohne dieses
müsste man nemlich gerade das entgegengesetzte behaupten, weil Binde-
gewebe selbst da, wo es am reinsten vorkommt, einen noch sehr bedeu-
tenden Antheil anders zusammengesetzter Gewebe enthält, welche sich
beim Kochen nachweisslich nicht auflösen. Zellinsky *) fand den unlös-
lichen Rückstand der 46 Tage lang gekochten Sehnen zu 45 pCt.

Man hat sich erlaubt, auf die chemische Beschaffenheit der Bindegewebsflüssig-
keit zu schliessen aus derjenigen, welche beim Zellgewebsödem das Binde-
gewebe erfüllt, oder gar aus dem Safte, welcher in Folge von Entzündungen aus
den Gefässen des Bindegewebes austritt **). Diese letzte Annahme verdient keine Be-
rücksichtigung. Die Oedem erzeugende Flüssigkeit, welche nach Schmidt stark
alkalisch reagirt, besteht in 100 Theilen aus 0,36 pCt. organischer Bestandtheile
(die vorzugsweise Eiweiss aber keinen Faserstoff enthalten), aus 0,77 Salzen und
98,[ – 1 Zeichen fehlt]7 Wasser. — Die Annahme einer Uebereinstimmung zwischen dieser und der
normalen Zellgewebsfeuchtigkeit dürfte darum gewagt erscheinen, weil, so weit wir
wissen, ein Oedem nur eintritt, wenn eine wesentliche Veränderung in der Zusammen-
setzung des Bluts vor sich gegangen, oder wenn der Strom in den Blutgefässen des
Bindegewebs in Folge einer Hemmung desselben in den Venen unter einer erhöhten
Spannung fliesst. — Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Lymphgefässe, und nament-
lich ehe sie in die Drüse eintreten, den Saft der Zellgewebslücken enthalten, wel-
chem wir, gestützt auf die Quellungserscheinungen, nicht ohne Weiteres dieselbe
Zusammensetzung zuschreiben dürfen mit demjenigen, der die feste Masse selbst durch-
feuchtet.

3. Ernährungserscheinungen. Das leimgebende Bindegewebe entsteht
unzweifelhaft aus eiweissartigen Stoffen, denn es enthält das Blut (oder
die Eistoffe) keinen Leim, und die Analogie in der Zusammensetzung
und der chemischen Constitution bürgt dafür, dass der Leim ein um-
gewandeltes Eiweiss ist. Hiermit befindet sich die Thatsache wenigstens

*) Henle’s Jahresbericht für allgem. Anatomie für 1853. p. 28.
**) C. Schmidt, Charakteristik der epidem. Cholera. Mitau 1850. 123.
12*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0195" n="179"/><fw place="top" type="header">Bindegewebe.</fw><lb/>
Partien abwechseln. In diesen Zwischenräumen (oder Lücken) lie-<lb/>
gen in der strukturlosen Grundlage Zellen und auch Kernfasern oder<lb/>
Kernfasernetze, welche auch unter dem Namen Bindegewebskörperchen<lb/>
und Saftzellen gehen. Dieser letzte Name deutet darauf hin, dass die<lb/>
Arme jener Netze, wie dieses <hi rendition="#g">Donders</hi> und <hi rendition="#g">Virchow</hi> vermuthen,<lb/>
hohl sind.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#b">2.</hi> Chemische Beschaffenheit. Die Formbestandtheile des Bindegewe-<lb/>
bes sind im Leben mit einer Feuchtigkeit durchtränkt, und ausserdem<lb/>
liegt in den Lücken zwischen den Blättern und Faserbündeln Feuchtig-<lb/>
keit eingeschlossen. Ihre Zusammensetzung ist unbekannt. &#x2014; Die festen<lb/>
organischen Bestandtheile bieten, mit Alkohol, Aether und Wasser gerei-<lb/>
nigt, die prozentische Zusammensetzung des Leims dar (<hi rendition="#g">Scherer</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Winkler</hi>). Wenn man aus dieser Thatsache schliesst, dass sich das<lb/>
Bindegewebe beim Kochen ohne Veränderung seiner Zusammensetzung<lb/>
in Leim auflöse, so ist damit nur ausgesprochen, dass die Analyse dieses<lb/>
Körpers in sehr weiter Fehlergrenze nur das Richtige trifft. Ohne dieses<lb/>
müsste man nemlich gerade das entgegengesetzte behaupten, weil Binde-<lb/>
gewebe selbst da, wo es am reinsten vorkommt, einen noch sehr bedeu-<lb/>
tenden Antheil anders zusammengesetzter Gewebe enthält, welche sich<lb/>
beim Kochen nachweisslich nicht auflösen. <hi rendition="#g">Zellinsky</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Henle</hi>&#x2019;s Jahresbericht für allgem. Anatomie für 1853. p. 28.</note> fand den unlös-<lb/>
lichen Rückstand der <hi rendition="#b">4</hi> &#x2014; <hi rendition="#b">6</hi> Tage lang gekochten Sehnen zu <hi rendition="#b">4</hi> &#x2014; <hi rendition="#b">5</hi> pCt.</p><lb/>
            <p>Man hat sich erlaubt, auf die chemische Beschaffenheit der Bindegewebsflüssig-<lb/>
keit zu schliessen aus derjenigen, welche beim Zellgewebsödem das Binde-<lb/>
gewebe erfüllt, oder gar aus dem Safte, welcher in Folge von Entzündungen aus<lb/>
den Gefässen des Bindegewebes austritt <note place="foot" n="**)">C. <hi rendition="#g">Schmidt</hi>, Charakteristik der epidem. Cholera. Mitau 1850. 123.</note>. Diese letzte Annahme verdient keine Be-<lb/>
rücksichtigung. Die Oedem erzeugende Flüssigkeit, welche nach <hi rendition="#g">Schmidt</hi> stark<lb/>
alkalisch reagirt, besteht in 100 Theilen aus 0,36 pCt. organischer Bestandtheile<lb/>
(die vorzugsweise Eiweiss aber keinen Faserstoff enthalten), aus 0,77 Salzen und<lb/>
98,<gap unit="chars" quantity="1"/>7 Wasser. &#x2014; Die Annahme einer Uebereinstimmung zwischen dieser und der<lb/>
normalen Zellgewebsfeuchtigkeit dürfte darum gewagt erscheinen, weil, so weit wir<lb/>
wissen, ein Oedem nur eintritt, wenn eine wesentliche Veränderung in der Zusammen-<lb/>
setzung des Bluts vor sich gegangen, oder wenn der Strom in den Blutgefässen des<lb/>
Bindegewebs in Folge einer Hemmung desselben in den Venen unter einer erhöhten<lb/>
Spannung fliesst. &#x2014; Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Lymphgefässe, und nament-<lb/>
lich ehe sie in die Drüse eintreten, den Saft der Zellgewebslücken enthalten, wel-<lb/>
chem wir, gestützt auf die Quellungserscheinungen, nicht ohne Weiteres dieselbe<lb/>
Zusammensetzung zuschreiben dürfen mit demjenigen, der die feste Masse selbst durch-<lb/>
feuchtet.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#b">3.</hi> Ernährungserscheinungen. Das leimgebende Bindegewebe entsteht<lb/>
unzweifelhaft aus eiweissartigen Stoffen, denn es enthält das Blut (oder<lb/>
die Eistoffe) keinen Leim, und die Analogie in der Zusammensetzung<lb/>
und der chemischen Constitution bürgt dafür, dass der Leim ein um-<lb/>
gewandeltes Eiweiss ist. Hiermit befindet sich die Thatsache wenigstens<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#b">12*</hi></fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0195] Bindegewebe. Partien abwechseln. In diesen Zwischenräumen (oder Lücken) lie- gen in der strukturlosen Grundlage Zellen und auch Kernfasern oder Kernfasernetze, welche auch unter dem Namen Bindegewebskörperchen und Saftzellen gehen. Dieser letzte Name deutet darauf hin, dass die Arme jener Netze, wie dieses Donders und Virchow vermuthen, hohl sind. 2. Chemische Beschaffenheit. Die Formbestandtheile des Bindegewe- bes sind im Leben mit einer Feuchtigkeit durchtränkt, und ausserdem liegt in den Lücken zwischen den Blättern und Faserbündeln Feuchtig- keit eingeschlossen. Ihre Zusammensetzung ist unbekannt. — Die festen organischen Bestandtheile bieten, mit Alkohol, Aether und Wasser gerei- nigt, die prozentische Zusammensetzung des Leims dar (Scherer und Winkler). Wenn man aus dieser Thatsache schliesst, dass sich das Bindegewebe beim Kochen ohne Veränderung seiner Zusammensetzung in Leim auflöse, so ist damit nur ausgesprochen, dass die Analyse dieses Körpers in sehr weiter Fehlergrenze nur das Richtige trifft. Ohne dieses müsste man nemlich gerade das entgegengesetzte behaupten, weil Binde- gewebe selbst da, wo es am reinsten vorkommt, einen noch sehr bedeu- tenden Antheil anders zusammengesetzter Gewebe enthält, welche sich beim Kochen nachweisslich nicht auflösen. Zellinsky *) fand den unlös- lichen Rückstand der 4 — 6 Tage lang gekochten Sehnen zu 4 — 5 pCt. Man hat sich erlaubt, auf die chemische Beschaffenheit der Bindegewebsflüssig- keit zu schliessen aus derjenigen, welche beim Zellgewebsödem das Binde- gewebe erfüllt, oder gar aus dem Safte, welcher in Folge von Entzündungen aus den Gefässen des Bindegewebes austritt **). Diese letzte Annahme verdient keine Be- rücksichtigung. Die Oedem erzeugende Flüssigkeit, welche nach Schmidt stark alkalisch reagirt, besteht in 100 Theilen aus 0,36 pCt. organischer Bestandtheile (die vorzugsweise Eiweiss aber keinen Faserstoff enthalten), aus 0,77 Salzen und 98,_7 Wasser. — Die Annahme einer Uebereinstimmung zwischen dieser und der normalen Zellgewebsfeuchtigkeit dürfte darum gewagt erscheinen, weil, so weit wir wissen, ein Oedem nur eintritt, wenn eine wesentliche Veränderung in der Zusammen- setzung des Bluts vor sich gegangen, oder wenn der Strom in den Blutgefässen des Bindegewebs in Folge einer Hemmung desselben in den Venen unter einer erhöhten Spannung fliesst. — Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Lymphgefässe, und nament- lich ehe sie in die Drüse eintreten, den Saft der Zellgewebslücken enthalten, wel- chem wir, gestützt auf die Quellungserscheinungen, nicht ohne Weiteres dieselbe Zusammensetzung zuschreiben dürfen mit demjenigen, der die feste Masse selbst durch- feuchtet. 3. Ernährungserscheinungen. Das leimgebende Bindegewebe entsteht unzweifelhaft aus eiweissartigen Stoffen, denn es enthält das Blut (oder die Eistoffe) keinen Leim, und die Analogie in der Zusammensetzung und der chemischen Constitution bürgt dafür, dass der Leim ein um- gewandeltes Eiweiss ist. Hiermit befindet sich die Thatsache wenigstens *) Henle’s Jahresbericht für allgem. Anatomie für 1853. p. 28. **) C. Schmidt, Charakteristik der epidem. Cholera. Mitau 1850. 123. 12*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/195
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/195>, abgerufen am 23.11.2024.