Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

Bildung der Zelle.
sammen, dass sie einen mit Flüssigkeit erfüllten Hohlraum umschliessen;
wenn sie verschmelzen, so ist eine Zelle fertig. -- 4) Fertig gebildete
Zellen sind vorhanden, um welche auf der innern und äussern Oberfläche
Niederschläge aus der umgebenden Flüssigkeit geschehen, die an der
Wand der vorhandenen Zelle entweder gar nicht oder nur an wenigen
Punkten haften. -- 5) Zwei gegenüberstehende Wandungen einer Zelle
nähern sich einander, bis sie auf dem Querschnitt die Form einer 8 an-
nehmen; trennt sich der eingeschnürte Theil, so sind aus einer zwei Zel-
len gebildet worden.

Diese anatomischen Erfahrungen decken uns nun in der That nichts
anderes auf, als Mechanismen, wie man sie sich nicht naheliegender hätte
denken können, wenn man eine Zelle innerhalb einer Flüssigkeit hätte
bilden wollen; sie sind in der That zum grössten Theile so einfach, um
nicht zu sagen gewöhnlich, dass man unter Berücksichtigung des Scharf-
sinns und der Feinheit in allen übrigen Werken der Natur geneigt sein
konnte, sie für Erfindungen menschlicher Einbildungskraft zu halten.

Gesetzt nun aber, diese Mechanismen bestehen wirklich, so müssen,
damit in ihnen die Veranlassung zur Zellenbildung gefunden werden kann,
noch eine Reihe chemischer Bedingungen hinzu treten, welche entweder die
Fällung einer elastischen Haut ermöglichen, oder die Substanz der zu-
sammengeballten Körnchen veränderen. Wir müssen eingestehen, dass uns
eine Aufklärung über dieselben in jedem einzelnen Fall noch vollkommen
fehlt. Dieses genügt aber nicht, um ihr Bestehen für unmöglich, ja nicht
einmal, um es für unwahrscheinlich zu halten. Denn jene Mechanismen
sind in Flüssigkeiten enthalten, deren aufgelöste Bestandtheile in stetigen
Umwandlungen begriffen sind, welche sich sehr häufig mit Veränderungen
des Aggregatzustandes paaren. Die hieraus fliessende Wahrscheinlichkeit
wird aber noch wesentlich erhöht durch den Umstand, dass die Zellen-
bildung gewöhnlich, wo nicht immer, an Orten vorgeht, an denen zwei
verschiedene Flüssigkeiten durch eine Haut getrennt sind, welche nur
sehr allmählig die Vermischung beider zulässt. Bei dieser Auffassung
der Dinge gewinnt auch die Erfahrung Bedeutung, dass in Flüssigkeiten,
in denen man ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Entstehung
von Zellen erwarten sollte, diese doch nur dann eintritt, wenn andere
noch in Veränderung begriffene Zellen in sie gelangen. Denn mit der
Einführung dieser letzteren ist eben die Möglichkeit einer eigenthümlichen
chemischen Umwandlung von beschränkten Herden aus gegeben.

Die anatomische Erfahrung lehrt nun weiter, dass die einmal ent-
standene Zelle nicht unter allen Umständen ihre erste Form bewahrt,
sondern dass sie dieselbe unter gewissen Bedingungen verändert, wie
dieses namentlich unter dem Einfluss bestimmt vorgezeichneter Tempera-
turgrade und einer ebenso bestimmten chemischen Zusammensetzung der

Ludwig, Physiologie. II. 11

Bildung der Zelle.
sammen, dass sie einen mit Flüssigkeit erfüllten Hohlraum umschliessen;
wenn sie verschmelzen, so ist eine Zelle fertig. — 4) Fertig gebildete
Zellen sind vorhanden, um welche auf der innern und äussern Oberfläche
Niederschläge aus der umgebenden Flüssigkeit geschehen, die an der
Wand der vorhandenen Zelle entweder gar nicht oder nur an wenigen
Punkten haften. — 5) Zwei gegenüberstehende Wandungen einer Zelle
nähern sich einander, bis sie auf dem Querschnitt die Form einer 8 an-
nehmen; trennt sich der eingeschnürte Theil, so sind aus einer zwei Zel-
len gebildet worden.

Diese anatomischen Erfahrungen decken uns nun in der That nichts
anderes auf, als Mechanismen, wie man sie sich nicht naheliegender hätte
denken können, wenn man eine Zelle innerhalb einer Flüssigkeit hätte
bilden wollen; sie sind in der That zum grössten Theile so einfach, um
nicht zu sagen gewöhnlich, dass man unter Berücksichtigung des Scharf-
sinns und der Feinheit in allen übrigen Werken der Natur geneigt sein
konnte, sie für Erfindungen menschlicher Einbildungskraft zu halten.

Gesetzt nun aber, diese Mechanismen bestehen wirklich, so müssen,
damit in ihnen die Veranlassung zur Zellenbildung gefunden werden kann,
noch eine Reihe chemischer Bedingungen hinzu treten, welche entweder die
Fällung einer elastischen Haut ermöglichen, oder die Substanz der zu-
sammengeballten Körnchen veränderen. Wir müssen eingestehen, dass uns
eine Aufklärung über dieselben in jedem einzelnen Fall noch vollkommen
fehlt. Dieses genügt aber nicht, um ihr Bestehen für unmöglich, ja nicht
einmal, um es für unwahrscheinlich zu halten. Denn jene Mechanismen
sind in Flüssigkeiten enthalten, deren aufgelöste Bestandtheile in stetigen
Umwandlungen begriffen sind, welche sich sehr häufig mit Veränderungen
des Aggregatzustandes paaren. Die hieraus fliessende Wahrscheinlichkeit
wird aber noch wesentlich erhöht durch den Umstand, dass die Zellen-
bildung gewöhnlich, wo nicht immer, an Orten vorgeht, an denen zwei
verschiedene Flüssigkeiten durch eine Haut getrennt sind, welche nur
sehr allmählig die Vermischung beider zulässt. Bei dieser Auffassung
der Dinge gewinnt auch die Erfahrung Bedeutung, dass in Flüssigkeiten,
in denen man ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Entstehung
von Zellen erwarten sollte, diese doch nur dann eintritt, wenn andere
noch in Veränderung begriffene Zellen in sie gelangen. Denn mit der
Einführung dieser letzteren ist eben die Möglichkeit einer eigenthümlichen
chemischen Umwandlung von beschränkten Herden aus gegeben.

Die anatomische Erfahrung lehrt nun weiter, dass die einmal ent-
standene Zelle nicht unter allen Umständen ihre erste Form bewahrt,
sondern dass sie dieselbe unter gewissen Bedingungen verändert, wie
dieses namentlich unter dem Einfluss bestimmt vorgezeichneter Tempera-
turgrade und einer ebenso bestimmten chemischen Zusammensetzung der

Ludwig, Physiologie. II. 11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="161"/><fw place="top" type="header">Bildung der Zelle.</fw><lb/>
sammen, dass sie einen mit Flüssigkeit erfüllten Hohlraum umschliessen;<lb/>
wenn sie verschmelzen, so ist eine Zelle fertig. &#x2014; <hi rendition="#b">4</hi>) Fertig gebildete<lb/>
Zellen sind vorhanden, um welche auf der innern und äussern Oberfläche<lb/>
Niederschläge aus der umgebenden Flüssigkeit geschehen, die an der<lb/>
Wand der vorhandenen Zelle entweder gar nicht oder nur an wenigen<lb/>
Punkten haften. &#x2014; <hi rendition="#b">5</hi>) Zwei gegenüberstehende Wandungen einer Zelle<lb/>
nähern sich einander, bis sie auf dem Querschnitt die Form einer 8 an-<lb/>
nehmen; trennt sich der eingeschnürte Theil, so sind aus einer zwei Zel-<lb/>
len gebildet worden.</p><lb/>
          <p>Diese anatomischen Erfahrungen decken uns nun in der That nichts<lb/>
anderes auf, als Mechanismen, wie man sie sich nicht naheliegender hätte<lb/>
denken können, wenn man eine Zelle innerhalb einer Flüssigkeit hätte<lb/>
bilden wollen; sie sind in der That zum grössten Theile so einfach, um<lb/>
nicht zu sagen gewöhnlich, dass man unter Berücksichtigung des Scharf-<lb/>
sinns und der Feinheit in allen übrigen Werken der Natur geneigt sein<lb/>
konnte, sie für Erfindungen menschlicher Einbildungskraft zu halten.</p><lb/>
          <p>Gesetzt nun aber, diese Mechanismen bestehen wirklich, so müssen,<lb/>
damit in ihnen die Veranlassung zur Zellenbildung gefunden werden kann,<lb/>
noch eine Reihe chemischer Bedingungen hinzu treten, welche entweder die<lb/>
Fällung einer elastischen Haut ermöglichen, oder die Substanz der zu-<lb/>
sammengeballten Körnchen veränderen. Wir müssen eingestehen, dass uns<lb/>
eine Aufklärung über dieselben in jedem einzelnen Fall noch vollkommen<lb/>
fehlt. Dieses genügt aber nicht, um ihr Bestehen für unmöglich, ja nicht<lb/>
einmal, um es für unwahrscheinlich zu halten. Denn jene Mechanismen<lb/>
sind in Flüssigkeiten enthalten, deren aufgelöste Bestandtheile in stetigen<lb/>
Umwandlungen begriffen sind, welche sich sehr häufig mit Veränderungen<lb/>
des Aggregatzustandes paaren. Die hieraus fliessende Wahrscheinlichkeit<lb/>
wird aber noch wesentlich erhöht durch den Umstand, dass die Zellen-<lb/>
bildung gewöhnlich, wo nicht immer, an Orten vorgeht, an denen zwei<lb/>
verschiedene Flüssigkeiten durch eine Haut getrennt sind, welche nur<lb/>
sehr allmählig die Vermischung beider zulässt. Bei dieser Auffassung<lb/>
der Dinge gewinnt auch die Erfahrung Bedeutung, dass in Flüssigkeiten,<lb/>
in denen man ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Entstehung<lb/>
von Zellen erwarten sollte, diese doch nur dann eintritt, wenn andere<lb/>
noch in Veränderung begriffene Zellen in sie gelangen. Denn mit der<lb/>
Einführung dieser letzteren ist eben die Möglichkeit einer eigenthümlichen<lb/>
chemischen Umwandlung von beschränkten Herden aus gegeben.</p><lb/>
          <p>Die anatomische Erfahrung lehrt nun weiter, dass die einmal ent-<lb/>
standene Zelle nicht unter allen Umständen ihre erste Form bewahrt,<lb/>
sondern dass sie dieselbe unter gewissen Bedingungen verändert, wie<lb/>
dieses namentlich unter dem Einfluss bestimmt vorgezeichneter Tempera-<lb/>
turgrade und einer ebenso bestimmten chemischen Zusammensetzung der<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Ludwig, Physiologie. II. <hi rendition="#b">11</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[161/0177] Bildung der Zelle. sammen, dass sie einen mit Flüssigkeit erfüllten Hohlraum umschliessen; wenn sie verschmelzen, so ist eine Zelle fertig. — 4) Fertig gebildete Zellen sind vorhanden, um welche auf der innern und äussern Oberfläche Niederschläge aus der umgebenden Flüssigkeit geschehen, die an der Wand der vorhandenen Zelle entweder gar nicht oder nur an wenigen Punkten haften. — 5) Zwei gegenüberstehende Wandungen einer Zelle nähern sich einander, bis sie auf dem Querschnitt die Form einer 8 an- nehmen; trennt sich der eingeschnürte Theil, so sind aus einer zwei Zel- len gebildet worden. Diese anatomischen Erfahrungen decken uns nun in der That nichts anderes auf, als Mechanismen, wie man sie sich nicht naheliegender hätte denken können, wenn man eine Zelle innerhalb einer Flüssigkeit hätte bilden wollen; sie sind in der That zum grössten Theile so einfach, um nicht zu sagen gewöhnlich, dass man unter Berücksichtigung des Scharf- sinns und der Feinheit in allen übrigen Werken der Natur geneigt sein konnte, sie für Erfindungen menschlicher Einbildungskraft zu halten. Gesetzt nun aber, diese Mechanismen bestehen wirklich, so müssen, damit in ihnen die Veranlassung zur Zellenbildung gefunden werden kann, noch eine Reihe chemischer Bedingungen hinzu treten, welche entweder die Fällung einer elastischen Haut ermöglichen, oder die Substanz der zu- sammengeballten Körnchen veränderen. Wir müssen eingestehen, dass uns eine Aufklärung über dieselben in jedem einzelnen Fall noch vollkommen fehlt. Dieses genügt aber nicht, um ihr Bestehen für unmöglich, ja nicht einmal, um es für unwahrscheinlich zu halten. Denn jene Mechanismen sind in Flüssigkeiten enthalten, deren aufgelöste Bestandtheile in stetigen Umwandlungen begriffen sind, welche sich sehr häufig mit Veränderungen des Aggregatzustandes paaren. Die hieraus fliessende Wahrscheinlichkeit wird aber noch wesentlich erhöht durch den Umstand, dass die Zellen- bildung gewöhnlich, wo nicht immer, an Orten vorgeht, an denen zwei verschiedene Flüssigkeiten durch eine Haut getrennt sind, welche nur sehr allmählig die Vermischung beider zulässt. Bei dieser Auffassung der Dinge gewinnt auch die Erfahrung Bedeutung, dass in Flüssigkeiten, in denen man ihrer chemischen Zusammensetzung nach eine Entstehung von Zellen erwarten sollte, diese doch nur dann eintritt, wenn andere noch in Veränderung begriffene Zellen in sie gelangen. Denn mit der Einführung dieser letzteren ist eben die Möglichkeit einer eigenthümlichen chemischen Umwandlung von beschränkten Herden aus gegeben. Die anatomische Erfahrung lehrt nun weiter, dass die einmal ent- standene Zelle nicht unter allen Umständen ihre erste Form bewahrt, sondern dass sie dieselbe unter gewissen Bedingungen verändert, wie dieses namentlich unter dem Einfluss bestimmt vorgezeichneter Tempera- turgrade und einer ebenso bestimmten chemischen Zusammensetzung der Ludwig, Physiologie. II. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/177
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/177>, abgerufen am 25.04.2024.