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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Veränderungen des Aggregatzustandes in den Säften.
Eiweiss und alle Fette, welche einmal die Blutgefässe verlassen hätten,
auch nothwendig eine Beute des Umsatzes würden, so dass die Atome,
welche dieses Eiweiss zusammensetzten, nicht eher wieder in das Blut
zurückkehren könnten, bis sie sich zu Zersetzungsprodukten erster oder
zweiter Ordnung umgestaltet hätten. Diese Annahme würde aber mit
der Erfahrung nicht übereinstimmen, dass aus allen Organen, und ins-
besondere aus deren Bindegewebsräumen, eigenthümliche Kanäle, die
Lymphgefässe, entspringen, welche neben andern Stoffen auch Eiweiss
und Fett aus den Geweben in das Blut zurückleiten.

b. Veränderungen im Aggregatzustande der ausge-
schiedenen Säfte
. Die flüssigen Bestandtheile der Säfte nehmen je
nach ihrer Natur und den Umständen, in die sie gelangen, den gasför-
migen oder den festen Aggregatzustand an. Die erstere Umformung er-
folgt unter den einfachen Bedingungen, die wir jedesmal bei einer Ver-
dunstung auftreten sehen. Da diese aller Orten und namentlich auch
wiederholt schon in diesem Werke mitgetheilt sind und noch mitgetheilt
werden sollen, insofern sie sich eigenthümlich gestalten, so wird ihnen
hier keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Anders verhält es sich
aber mit dem Festwerden des Flüssigen.

Der feste Aggregatzustand, wo er auch entstehen mag, führt im thie-
rischen Körper jedesmal zur Bildung eigenthümlicher Formen. So weit
dieselben mit unseren Vergrösserungsgläsern zerlegt werden können, sind
dieselben so beschaffen, dass sie aus allgemein wiederkehrenden Massen-
anordnungen, die man gemeinhin als Korn, Faser und Haut bezeichnet,
aufgebaut sind. Körner, Fasern und Häute sind nemlich, entweder jedes
für sich oder in Verbindung mit einander und zugleich mit Flüssigkeit,
benutzt zur Herstellung eigenthümlich begrenzter Gebilde, der Zellen,
Röhren, Fasernetze u. s. w., welche immer noch von mikroskopischer
Grösse von den Anatomen als Elementarformen der Organe oder als Ge-
webselemente bezeichnet werden. Solche Elementarformen gruppiren sich
endlich in sehr verschiedenartiger Weise zu Organen.

Wir wenden unsere Blicke zuerst zu den Elementarformen; indem
wir dieses thun, gewahren wir zunächst, dass einer jeden derselben eine
besondere Lebensgeschichte zukommt, deren sichtbarster Inhalt zunächst
darin besteht, dass sich ein jedes Gewebselement aus der Flüssigkeit
allmählig hervorbildet und sich dann unter stetiger, wenn auch oft sehr
langsamer, Veränderung seiner Form wieder auflöst; zu dieser Erfah-
rung über das Auftreten der Gewebselemente fügt der Chemiker die Be-
obachtung, dass mit der Form sich auch gleichzeitig die Mischung ändert.

Indem die Anatomen bis vor Kurzem gänzlich absehen mussten von
den Einzelheiten des Mechanismus, der diese Bildungen und Umwand-
lungen einleitet, bedienten sie sich genereller Bezeichnungen für denselben,
und setzten ihn, was weniger vorsichtig war, entweder in die Flüssig-

Veränderungen des Aggregatzustandes in den Säften.
Eiweiss und alle Fette, welche einmal die Blutgefässe verlassen hätten,
auch nothwendig eine Beute des Umsatzes würden, so dass die Atome,
welche dieses Eiweiss zusammensetzten, nicht eher wieder in das Blut
zurückkehren könnten, bis sie sich zu Zersetzungsprodukten erster oder
zweiter Ordnung umgestaltet hätten. Diese Annahme würde aber mit
der Erfahrung nicht übereinstimmen, dass aus allen Organen, und ins-
besondere aus deren Bindegewebsräumen, eigenthümliche Kanäle, die
Lymphgefässe, entspringen, welche neben andern Stoffen auch Eiweiss
und Fett aus den Geweben in das Blut zurückleiten.

b. Veränderungen im Aggregatzustande der ausge-
schiedenen Säfte
. Die flüssigen Bestandtheile der Säfte nehmen je
nach ihrer Natur und den Umständen, in die sie gelangen, den gasför-
migen oder den festen Aggregatzustand an. Die erstere Umformung er-
folgt unter den einfachen Bedingungen, die wir jedesmal bei einer Ver-
dunstung auftreten sehen. Da diese aller Orten und namentlich auch
wiederholt schon in diesem Werke mitgetheilt sind und noch mitgetheilt
werden sollen, insofern sie sich eigenthümlich gestalten, so wird ihnen
hier keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Anders verhält es sich
aber mit dem Festwerden des Flüssigen.

Der feste Aggregatzustand, wo er auch entstehen mag, führt im thie-
rischen Körper jedesmal zur Bildung eigenthümlicher Formen. So weit
dieselben mit unseren Vergrösserungsgläsern zerlegt werden können, sind
dieselben so beschaffen, dass sie aus allgemein wiederkehrenden Massen-
anordnungen, die man gemeinhin als Korn, Faser und Haut bezeichnet,
aufgebaut sind. Körner, Fasern und Häute sind nemlich, entweder jedes
für sich oder in Verbindung mit einander und zugleich mit Flüssigkeit,
benutzt zur Herstellung eigenthümlich begrenzter Gebilde, der Zellen,
Röhren, Fasernetze u. s. w., welche immer noch von mikroskopischer
Grösse von den Anatomen als Elementarformen der Organe oder als Ge-
webselemente bezeichnet werden. Solche Elementarformen gruppiren sich
endlich in sehr verschiedenartiger Weise zu Organen.

Wir wenden unsere Blicke zuerst zu den Elementarformen; indem
wir dieses thun, gewahren wir zunächst, dass einer jeden derselben eine
besondere Lebensgeschichte zukommt, deren sichtbarster Inhalt zunächst
darin besteht, dass sich ein jedes Gewebselement aus der Flüssigkeit
allmählig hervorbildet und sich dann unter stetiger, wenn auch oft sehr
langsamer, Veränderung seiner Form wieder auflöst; zu dieser Erfah-
rung über das Auftreten der Gewebselemente fügt der Chemiker die Be-
obachtung, dass mit der Form sich auch gleichzeitig die Mischung ändert.

Indem die Anatomen bis vor Kurzem gänzlich absehen mussten von
den Einzelheiten des Mechanismus, der diese Bildungen und Umwand-
lungen einleitet, bedienten sie sich genereller Bezeichnungen für denselben,
und setzten ihn, was weniger vorsichtig war, entweder in die Flüssig-

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[154/0170] Veränderungen des Aggregatzustandes in den Säften. Eiweiss und alle Fette, welche einmal die Blutgefässe verlassen hätten, auch nothwendig eine Beute des Umsatzes würden, so dass die Atome, welche dieses Eiweiss zusammensetzten, nicht eher wieder in das Blut zurückkehren könnten, bis sie sich zu Zersetzungsprodukten erster oder zweiter Ordnung umgestaltet hätten. Diese Annahme würde aber mit der Erfahrung nicht übereinstimmen, dass aus allen Organen, und ins- besondere aus deren Bindegewebsräumen, eigenthümliche Kanäle, die Lymphgefässe, entspringen, welche neben andern Stoffen auch Eiweiss und Fett aus den Geweben in das Blut zurückleiten. b. Veränderungen im Aggregatzustande der ausge- schiedenen Säfte. Die flüssigen Bestandtheile der Säfte nehmen je nach ihrer Natur und den Umständen, in die sie gelangen, den gasför- migen oder den festen Aggregatzustand an. Die erstere Umformung er- folgt unter den einfachen Bedingungen, die wir jedesmal bei einer Ver- dunstung auftreten sehen. Da diese aller Orten und namentlich auch wiederholt schon in diesem Werke mitgetheilt sind und noch mitgetheilt werden sollen, insofern sie sich eigenthümlich gestalten, so wird ihnen hier keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt. Anders verhält es sich aber mit dem Festwerden des Flüssigen. Der feste Aggregatzustand, wo er auch entstehen mag, führt im thie- rischen Körper jedesmal zur Bildung eigenthümlicher Formen. So weit dieselben mit unseren Vergrösserungsgläsern zerlegt werden können, sind dieselben so beschaffen, dass sie aus allgemein wiederkehrenden Massen- anordnungen, die man gemeinhin als Korn, Faser und Haut bezeichnet, aufgebaut sind. Körner, Fasern und Häute sind nemlich, entweder jedes für sich oder in Verbindung mit einander und zugleich mit Flüssigkeit, benutzt zur Herstellung eigenthümlich begrenzter Gebilde, der Zellen, Röhren, Fasernetze u. s. w., welche immer noch von mikroskopischer Grösse von den Anatomen als Elementarformen der Organe oder als Ge- webselemente bezeichnet werden. Solche Elementarformen gruppiren sich endlich in sehr verschiedenartiger Weise zu Organen. Wir wenden unsere Blicke zuerst zu den Elementarformen; indem wir dieses thun, gewahren wir zunächst, dass einer jeden derselben eine besondere Lebensgeschichte zukommt, deren sichtbarster Inhalt zunächst darin besteht, dass sich ein jedes Gewebselement aus der Flüssigkeit allmählig hervorbildet und sich dann unter stetiger, wenn auch oft sehr langsamer, Veränderung seiner Form wieder auflöst; zu dieser Erfah- rung über das Auftreten der Gewebselemente fügt der Chemiker die Be- obachtung, dass mit der Form sich auch gleichzeitig die Mischung ändert. Indem die Anatomen bis vor Kurzem gänzlich absehen mussten von den Einzelheiten des Mechanismus, der diese Bildungen und Umwand- lungen einleitet, bedienten sie sich genereller Bezeichnungen für denselben, und setzten ihn, was weniger vorsichtig war, entweder in die Flüssig-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/170>, abgerufen am 26.04.2024.