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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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tern; denn offenbar wird in dem erstern Fall der Abfluss beschränkt,
in dem letztern begünstigt und somit die Spannung in dem einen stei-
gen, in dem andern aber sinken müssen.

Bei den wichtigen Folgen, die eine veränderte Spannung des Bluts
in den Capillaren für die Absonderungserscheinungen und den Wärme-
verlust mit sich führt, ist es von Bedeutung, dass gerade die den Capil-
laren zunächst gelegenen Arterien und Venen mit Muskelfasern begabt
sind, mit deren Zusammenziehung und Erschlaffung der Durchmesser
dieser Gefässe beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist; hierdurch
ist ein regulatorischer Apparat gegeben, der den Stromlauf in der einen
oder andern Capillarenabtheilung bis zu einem gewissen Grade unabhän-
gig von allen übrigen erhalten kann; und in Wirklichkeit deutet manche
Erscheinung darauf hin, dass er diese Aufgabe auch erfüllt. Die Unter-
suchung dieses Apparates in den verschiedenen Gefässprovinzen ist darum
eine der nächsten Aufgaben für den Bearbeiter des Kreislaufs, denn bis
jetzt wissen wir über denselben nur 1) dass er während des Lebens
wirksam wird, indem plötzlich eine ganz beschränkte Hautstelle erblasst
oder erröthet, ein Zustand, der ebenso rasch verschwindet, als er aufge-
treten war. Die Oertlichkeit der Erscheinung lehnt den Einwand ab, dass
die Veränderung der Gefässfülle Folge einer allgemeinen Kreislaufsverän-
derung sein möchte; und das plötzliche Entstehen und Verschwinden
beweist, dass die Erscheinung nicht von einer örtlichen Verstopfung der
Gefässlumina durch Faserstoff, Blutkörperchen u. s. w. herrühren kann.
2) In einzelnen Regionen, insbesondere in der Haut, stehen die Mus-
keln nachweislich unter dem Nerveneinfluss, hierauf deutet bei Menschen
das Erröthen und Erblassen der Haut des Kopfes und Halses in Folge
leidenschaftlicher Erregung; die verbreitete Gänsehaut, welche nach lo-
kaler, sensibler Affektion eintritt. Die Nerven, die zu diesen Gefässen
treten, sind nur erst an der Gesichtshaut bekannt; sie verlaufen nach
den Versuchen von Bernard und Budge aus dem untern Halsmark
durch den Grenzstrang an die Kopfgefässe. -- Nach dieser Mittheilung
darf man nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass trotz mannigfacher
besonders darauf gerichteter Versuche keine andern, den Gefässdurch-
messer verändernden Nerven entdeckt worden sind. -- 3) Neben der
Nervenerregung werden namentlich die Gefässmuskeln verkürzt durch eine
geringe Erniedrigung ihrer Temperatur und durch elektrische Schläge,
während sie durch eine geringe Steigerung derselben erschlaffen.

d. Die steigende oder abnehmende Widerstandsfähigkeit der Gewebe,
in welchen die Capillaren verlaufen, ändert nothwendig den Durchmesser
ihres Querschnitts und dem entsprechend nach bekannten Grundsätzen
ihren Strom. Beispiele für diese Verhalten liefert die Gänsehaut, Ver-
lust der Epidermis, Erschlaffungen der Haut, Wasserergüsse in das Binde-
gewebe u. s. w.

Durchmesserveränderungen kleiner Arterien und Venen.
tern; denn offenbar wird in dem erstern Fall der Abfluss beschränkt,
in dem letztern begünstigt und somit die Spannung in dem einen stei-
gen, in dem andern aber sinken müssen.

Bei den wichtigen Folgen, die eine veränderte Spannung des Bluts
in den Capillaren für die Absonderungserscheinungen und den Wärme-
verlust mit sich führt, ist es von Bedeutung, dass gerade die den Capil-
laren zunächst gelegenen Arterien und Venen mit Muskelfasern begabt
sind, mit deren Zusammenziehung und Erschlaffung der Durchmesser
dieser Gefässe beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist; hierdurch
ist ein regulatorischer Apparat gegeben, der den Stromlauf in der einen
oder andern Capillarenabtheilung bis zu einem gewissen Grade unabhän-
gig von allen übrigen erhalten kann; und in Wirklichkeit deutet manche
Erscheinung darauf hin, dass er diese Aufgabe auch erfüllt. Die Unter-
suchung dieses Apparates in den verschiedenen Gefässprovinzen ist darum
eine der nächsten Aufgaben für den Bearbeiter des Kreislaufs, denn bis
jetzt wissen wir über denselben nur 1) dass er während des Lebens
wirksam wird, indem plötzlich eine ganz beschränkte Hautstelle erblasst
oder erröthet, ein Zustand, der ebenso rasch verschwindet, als er aufge-
treten war. Die Oertlichkeit der Erscheinung lehnt den Einwand ab, dass
die Veränderung der Gefässfülle Folge einer allgemeinen Kreislaufsverän-
derung sein möchte; und das plötzliche Entstehen und Verschwinden
beweist, dass die Erscheinung nicht von einer örtlichen Verstopfung der
Gefässlumina durch Faserstoff, Blutkörperchen u. s. w. herrühren kann.
2) In einzelnen Regionen, insbesondere in der Haut, stehen die Mus-
keln nachweislich unter dem Nerveneinfluss, hierauf deutet bei Menschen
das Erröthen und Erblassen der Haut des Kopfes und Halses in Folge
leidenschaftlicher Erregung; die verbreitete Gänsehaut, welche nach lo-
kaler, sensibler Affektion eintritt. Die Nerven, die zu diesen Gefässen
treten, sind nur erst an der Gesichtshaut bekannt; sie verlaufen nach
den Versuchen von Bernard und Budge aus dem untern Halsmark
durch den Grenzstrang an die Kopfgefässe. — Nach dieser Mittheilung
darf man nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass trotz mannigfacher
besonders darauf gerichteter Versuche keine andern, den Gefässdurch-
messer verändernden Nerven entdeckt worden sind. — 3) Neben der
Nervenerregung werden namentlich die Gefässmuskeln verkürzt durch eine
geringe Erniedrigung ihrer Temperatur und durch elektrische Schläge,
während sie durch eine geringe Steigerung derselben erschlaffen.

d. Die steigende oder abnehmende Widerstandsfähigkeit der Gewebe,
in welchen die Capillaren verlaufen, ändert nothwendig den Durchmesser
ihres Querschnitts und dem entsprechend nach bekannten Grundsätzen
ihren Strom. Beispiele für diese Verhalten liefert die Gänsehaut, Ver-
lust der Epidermis, Erschlaffungen der Haut, Wasserergüsse in das Binde-
gewebe u. s. w.

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[123/0139] Durchmesserveränderungen kleiner Arterien und Venen. tern; denn offenbar wird in dem erstern Fall der Abfluss beschränkt, in dem letztern begünstigt und somit die Spannung in dem einen stei- gen, in dem andern aber sinken müssen. Bei den wichtigen Folgen, die eine veränderte Spannung des Bluts in den Capillaren für die Absonderungserscheinungen und den Wärme- verlust mit sich führt, ist es von Bedeutung, dass gerade die den Capil- laren zunächst gelegenen Arterien und Venen mit Muskelfasern begabt sind, mit deren Zusammenziehung und Erschlaffung der Durchmesser dieser Gefässe beträchtlichen Schwankungen unterworfen ist; hierdurch ist ein regulatorischer Apparat gegeben, der den Stromlauf in der einen oder andern Capillarenabtheilung bis zu einem gewissen Grade unabhän- gig von allen übrigen erhalten kann; und in Wirklichkeit deutet manche Erscheinung darauf hin, dass er diese Aufgabe auch erfüllt. Die Unter- suchung dieses Apparates in den verschiedenen Gefässprovinzen ist darum eine der nächsten Aufgaben für den Bearbeiter des Kreislaufs, denn bis jetzt wissen wir über denselben nur 1) dass er während des Lebens wirksam wird, indem plötzlich eine ganz beschränkte Hautstelle erblasst oder erröthet, ein Zustand, der ebenso rasch verschwindet, als er aufge- treten war. Die Oertlichkeit der Erscheinung lehnt den Einwand ab, dass die Veränderung der Gefässfülle Folge einer allgemeinen Kreislaufsverän- derung sein möchte; und das plötzliche Entstehen und Verschwinden beweist, dass die Erscheinung nicht von einer örtlichen Verstopfung der Gefässlumina durch Faserstoff, Blutkörperchen u. s. w. herrühren kann. 2) In einzelnen Regionen, insbesondere in der Haut, stehen die Mus- keln nachweislich unter dem Nerveneinfluss, hierauf deutet bei Menschen das Erröthen und Erblassen der Haut des Kopfes und Halses in Folge leidenschaftlicher Erregung; die verbreitete Gänsehaut, welche nach lo- kaler, sensibler Affektion eintritt. Die Nerven, die zu diesen Gefässen treten, sind nur erst an der Gesichtshaut bekannt; sie verlaufen nach den Versuchen von Bernard und Budge aus dem untern Halsmark durch den Grenzstrang an die Kopfgefässe. — Nach dieser Mittheilung darf man nicht vergessen, darauf hinzuweisen, dass trotz mannigfacher besonders darauf gerichteter Versuche keine andern, den Gefässdurch- messer verändernden Nerven entdeckt worden sind. — 3) Neben der Nervenerregung werden namentlich die Gefässmuskeln verkürzt durch eine geringe Erniedrigung ihrer Temperatur und durch elektrische Schläge, während sie durch eine geringe Steigerung derselben erschlaffen. d. Die steigende oder abnehmende Widerstandsfähigkeit der Gewebe, in welchen die Capillaren verlaufen, ändert nothwendig den Durchmesser ihres Querschnitts und dem entsprechend nach bekannten Grundsätzen ihren Strom. Beispiele für diese Verhalten liefert die Gänsehaut, Ver- lust der Epidermis, Erschlaffungen der Haut, Wasserergüsse in das Binde- gewebe u. s. w.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/139>, abgerufen am 28.03.2024.