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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856.

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Beobachtete Spannungen in den Arterien.
zukommen; wenn also die Ausdehnung, welche die Arterienwand nach
beiden Richtungen hin erfährt, relativ gleich gross ist, so wird doch die
nach der Länge absolut bedeutender sein.

Poiseuille *) hat in einigen Fällen bei Thieren die Vermehrung der Räum-
lichkeit gemessen, welche ein aliquoter Abschnitt einer Arterie erfährt; leider fehlen
gleichzeitige Druckbestimmungen, so dass das Resultat auf kein allgemeines Interesse
Anspruch machen kann. -- Ueber den Streit, ob die Ausdehnung nach der Länge
allein, oder nach beiden Richtungen erfolge, siehe E. H. Weber **).

Wenn die Erweiterung der Arterien beim Puls die Folge der fort-
schreitenden Wellenbewegung ist, so muss derselbe, wie dieses auch that-
sächlich der Fall, in jedem dem Herzen näher gelegenen Arterienabschnitt
früher erscheinen, als in den entfernteren. Kennt man nun die Zeit,
welche nothwendig, damit das Maximum der Erweiterung von einem Ort
zu einem andern von bekannter Entfernung fortschreitet, so ist damit
die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Welle im Arteriensystem ge-
geben. E. H. Weber ***) hat mit der Tertienuhr eine solche Bestim-
mung an sich ausgeführt und gefunden, dass die Welle in 1 Sekunde
um 11,250 Meter = 34,5 Fuss fortschreitet. Bemerkenswerther Weise
stimmt diese Fortleitungsgeschwindigkeit mit der von ihm am Kautschouk[-]
rohr beobachteten überein. -- Macht man nun die Annahme, dass in einer
Arterie die Wellen von einem zum andern Herzschlag andauern, so muss
die Wellenlänge gefunden werden, wenn man diese Zeit mit der Fort-
leitungsgeschwindigkeit multiplizirt. Aus einer solchen Betrachtung geht
hervor, dass selbst bei einem sehr rasch auf einander folgenden Herz-
schlag die Arterienwelle den menschlichen Körper an Länge sehr über-
trifft.

2. An einer und derselben Gefässstelle erscheint die Widerstands-
fähigkeit der pulsirenden Arterie dem drückenden Finger veränderlich
mit der Blutfülle des ganzen Gefässsystems, mit der Zahl und Kraft der
Athem- und Herzbewegungen, mit dem Eintritt von Stromhemmnissen
im Allgemeinen, oder solchen, die diesseits und jenseits der untersuchten
Stelle gelegen sind.

Den genauen Ausdruck für diese Thatsachen liefert der Druckzeich-
ner; die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf die art. carotis, wenn
nicht das Gegentheil bemerkt wird.

a. Veränderlichkeit des Mitteldrucks eines Blutstroms
mit der Blutfülle
+). Nach einer Injection von erwärmtem und ge-
schlagenem Blut eines Thiers in die Adern eines gleichartigen andern pflegt,
wie Volkmann, Goll u. A. erwiesen haben, die mittlere Spannung des
Stroms in der Carotis zu steigen, während sie abnimmt nach grossen

*) Valentin, Lehrbuch der Physiologie. 2. Auflage. I. p. 448.
**) Hildebrand's Anatomie. III. Bd. p. 73.
***) Leipziger Berichte. Mathematisch-physische Classe. 1851. 196 u. 118.
+) Volkmann, Haemodynamik. p. 464. -- Goll, Henle u. Pfeufer's Zeitschrift. N. F. IV.
p. 78. -- Brunner, l. c.

Beobachtete Spannungen in den Arterien.
zukommen; wenn also die Ausdehnung, welche die Arterienwand nach
beiden Richtungen hin erfährt, relativ gleich gross ist, so wird doch die
nach der Länge absolut bedeutender sein.

Poiseuille *) hat in einigen Fällen bei Thieren die Vermehrung der Räum-
lichkeit gemessen, welche ein aliquoter Abschnitt einer Arterie erfährt; leider fehlen
gleichzeitige Druckbestimmungen, so dass das Resultat auf kein allgemeines Interesse
Anspruch machen kann. — Ueber den Streit, ob die Ausdehnung nach der Länge
allein, oder nach beiden Richtungen erfolge, siehe E. H. Weber **).

Wenn die Erweiterung der Arterien beim Puls die Folge der fort-
schreitenden Wellenbewegung ist, so muss derselbe, wie dieses auch that-
sächlich der Fall, in jedem dem Herzen näher gelegenen Arterienabschnitt
früher erscheinen, als in den entfernteren. Kennt man nun die Zeit,
welche nothwendig, damit das Maximum der Erweiterung von einem Ort
zu einem andern von bekannter Entfernung fortschreitet, so ist damit
die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Welle im Arteriensystem ge-
geben. E. H. Weber ***) hat mit der Tertienuhr eine solche Bestim-
mung an sich ausgeführt und gefunden, dass die Welle in 1 Sekunde
um 11,250 Meter = 34,5 Fuss fortschreitet. Bemerkenswerther Weise
stimmt diese Fortleitungsgeschwindigkeit mit der von ihm am Kautschouk[-]
rohr beobachteten überein. — Macht man nun die Annahme, dass in einer
Arterie die Wellen von einem zum andern Herzschlag andauern, so muss
die Wellenlänge gefunden werden, wenn man diese Zeit mit der Fort-
leitungsgeschwindigkeit multiplizirt. Aus einer solchen Betrachtung geht
hervor, dass selbst bei einem sehr rasch auf einander folgenden Herz-
schlag die Arterienwelle den menschlichen Körper an Länge sehr über-
trifft.

2. An einer und derselben Gefässstelle erscheint die Widerstands-
fähigkeit der pulsirenden Arterie dem drückenden Finger veränderlich
mit der Blutfülle des ganzen Gefässsystems, mit der Zahl und Kraft der
Athem- und Herzbewegungen, mit dem Eintritt von Stromhemmnissen
im Allgemeinen, oder solchen, die diesseits und jenseits der untersuchten
Stelle gelegen sind.

Den genauen Ausdruck für diese Thatsachen liefert der Druckzeich-
ner; die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf die art. carotis, wenn
nicht das Gegentheil bemerkt wird.

a. Veränderlichkeit des Mitteldrucks eines Blutstroms
mit der Blutfülle
†). Nach einer Injection von erwärmtem und ge-
schlagenem Blut eines Thiers in die Adern eines gleichartigen andern pflegt,
wie Volkmann, Goll u. A. erwiesen haben, die mittlere Spannung des
Stroms in der Carotis zu steigen, während sie abnimmt nach grossen

*) Valentin, Lehrbuch der Physiologie. 2. Auflage. I. p. 448.
**) Hildebrand’s Anatomie. III. Bd. p. 73.
***) Leipziger Berichte. Mathematisch-physische Classe. 1851. 196 u. 118.
†) Volkmann, Haemodynamik. p. 464. — Goll, Henle u. Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. IV.
p. 78. — Brunner, l. c.
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[111/0127] Beobachtete Spannungen in den Arterien. zukommen; wenn also die Ausdehnung, welche die Arterienwand nach beiden Richtungen hin erfährt, relativ gleich gross ist, so wird doch die nach der Länge absolut bedeutender sein. Poiseuille *) hat in einigen Fällen bei Thieren die Vermehrung der Räum- lichkeit gemessen, welche ein aliquoter Abschnitt einer Arterie erfährt; leider fehlen gleichzeitige Druckbestimmungen, so dass das Resultat auf kein allgemeines Interesse Anspruch machen kann. — Ueber den Streit, ob die Ausdehnung nach der Länge allein, oder nach beiden Richtungen erfolge, siehe E. H. Weber **). Wenn die Erweiterung der Arterien beim Puls die Folge der fort- schreitenden Wellenbewegung ist, so muss derselbe, wie dieses auch that- sächlich der Fall, in jedem dem Herzen näher gelegenen Arterienabschnitt früher erscheinen, als in den entfernteren. Kennt man nun die Zeit, welche nothwendig, damit das Maximum der Erweiterung von einem Ort zu einem andern von bekannter Entfernung fortschreitet, so ist damit die Geschwindigkeit des Fortschreitens der Welle im Arteriensystem ge- geben. E. H. Weber ***) hat mit der Tertienuhr eine solche Bestim- mung an sich ausgeführt und gefunden, dass die Welle in 1 Sekunde um 11,250 Meter = 34,5 Fuss fortschreitet. Bemerkenswerther Weise stimmt diese Fortleitungsgeschwindigkeit mit der von ihm am Kautschouk- rohr beobachteten überein. — Macht man nun die Annahme, dass in einer Arterie die Wellen von einem zum andern Herzschlag andauern, so muss die Wellenlänge gefunden werden, wenn man diese Zeit mit der Fort- leitungsgeschwindigkeit multiplizirt. Aus einer solchen Betrachtung geht hervor, dass selbst bei einem sehr rasch auf einander folgenden Herz- schlag die Arterienwelle den menschlichen Körper an Länge sehr über- trifft. 2. An einer und derselben Gefässstelle erscheint die Widerstands- fähigkeit der pulsirenden Arterie dem drückenden Finger veränderlich mit der Blutfülle des ganzen Gefässsystems, mit der Zahl und Kraft der Athem- und Herzbewegungen, mit dem Eintritt von Stromhemmnissen im Allgemeinen, oder solchen, die diesseits und jenseits der untersuchten Stelle gelegen sind. Den genauen Ausdruck für diese Thatsachen liefert der Druckzeich- ner; die folgenden Beobachtungen beziehen sich auf die art. carotis, wenn nicht das Gegentheil bemerkt wird. a. Veränderlichkeit des Mitteldrucks eines Blutstroms mit der Blutfülle †). Nach einer Injection von erwärmtem und ge- schlagenem Blut eines Thiers in die Adern eines gleichartigen andern pflegt, wie Volkmann, Goll u. A. erwiesen haben, die mittlere Spannung des Stroms in der Carotis zu steigen, während sie abnimmt nach grossen *) Valentin, Lehrbuch der Physiologie. 2. Auflage. I. p. 448. **) Hildebrand’s Anatomie. III. Bd. p. 73. ***) Leipziger Berichte. Mathematisch-physische Classe. 1851. 196 u. 118. †) Volkmann, Haemodynamik. p. 464. — Goll, Henle u. Pfeufer’s Zeitschrift. N. F. IV. p. 78. — Brunner, l. c.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 2. Heidelberg und Leipzig, 1856, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie02_1856/127>, abgerufen am 26.04.2024.