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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Eiweissartige Stoffe.
stizitätscoeffizienten begabt, d. h. sie dehnen sich, wenn grosse Ge-
wichte an ihnen hängen, nur um einen kleinen Bruchtheil ihrer Länge
aus; zugleich besteht für sie das auch bei unorganischen Stoffen gil-
tige Gesetz, dass innerhalb gewisser Grenzen die Ausdehnung direkt
proportional den angehängten Gewichten wächst (Wertheim). Im
feuchten Zustand dagegen ist ihr Elastizitätscoeffizient ein niedriger
und zugleich ein für verschiedene Belastungen variabler. In dieser
letzten Beziehung steht fest, dass gleich grosse Gewichte einen um
so geringern Zuwachs der Länge erzeugen, je beträchtlicher schon
die vorher angehängten Gewichte (oder Spannungen) gewesen waren,
oder mit andern Worten, es setzte der feuchte eiweissartige Stoff den
ersten Ausdehnungen geringern Widerstand entgegen als den späte-
ren. Wertheim gibt an, dass das Gesetz, nach welchem der Ela-
stizitätscoeffizient veränderlich sei, durch eine Hyperbel dargestellt
werden könne. Wie der Augenschein lehrt, ändert sich auch der abso-
lute Werth des Elastizitätscoeffizienten, wenn das in den Eiweissstoff
eingedrungene Wasser Salze aufgelöst enthält; so ist z. B. Faserstoff,
der sich mit Kochsalzauflösung imprägnirt hat, schwieriger ausdehn-
bar als der mit reinem Wasser durchdrungene und leichter ausdehnbar
als der trockene.

Zum Verständniss des Ausdrucks Elastizitätscoeffizient, Gesetz seines Wech-
sels u. s. w., diene folgendes: Unter den verschiedenen Arten sogenannter Elasti-
zitäten hat man in der Physiologie bisher nur das Augenmerk gerichtet auf die so-
genannte Zugelastizität, welche gemessen wird durch die lineare Ausdehnung, die in
einer festen Masse ein momentan wirkender, nach Gewichten zu schätzender Zug
erzeugt Der schematische Versuch zur Bestimmung dieser Art von Elastizität ge-
staltet sich, wie Jedermann geläufig, der Art, dass man, nachdem man eine Masse
von bekanntem Querschnitt und bekannter Länge an ihrem einen (dem obern) Ende
aufgehängt und das andere frei schwebende Ende mit Gewichten beschwert hat, be-
obachtet welche successive Verlängerung mit successiv steigender Gewichtsvermeh-
rung eintritt. Um die bei Versuchen mit Stoffen von verschiedenartigen Dimensio-
nen gefundenen Verhältnisse zwischen Gewichts- und Längenzuwachs untereinander
vergleichbar zu machen, hat man zunächst die zu vergleichenden Massen auf ein
und denselben Querschnitt, auf die Querschnittseinheit, zu reduziren, was durch die

[Abbildung] Fig. 2.
gewöhnliche Proportionsrechnung geschieht, bei
deren Ansatz man die Verlängerungen gleich
langer Stücke durch gleich grosse Gewichte den
Querschnitten umgekehrt proportional setzt.
Dann aber müssen auch die Längen auf die Ein-
heit der Länge reduzirt, und die Zuwächse der-
selben als Bruchtheile dieser Längeneinheit dar-
gestellt werden. Das Verfahren hierbei ist folgen-
des: Gesetzt es seien in beistehender Figur 2. auf
die Ordinate y die Längen und auf die Abszisse
x die Gewichte aufgetragen und es bedeute olI
die ursprüngliche Länge als kein Gewicht an
der Masse zog, olII diejenige als 1 Gewicht, olIII
als das doppelte des ersten Gewichts olIV als das
Dreifache des ursprünglichen Gewichts ange-

Eiweissartige Stoffe.
stizitätscoeffizienten begabt, d. h. sie dehnen sich, wenn grosse Ge-
wichte an ihnen hängen, nur um einen kleinen Bruchtheil ihrer Länge
aus; zugleich besteht für sie das auch bei unorganischen Stoffen gil-
tige Gesetz, dass innerhalb gewisser Grenzen die Ausdehnung direkt
proportional den angehängten Gewichten wächst (Wertheim). Im
feuchten Zustand dagegen ist ihr Elastizitätscoeffizient ein niedriger
und zugleich ein für verschiedene Belastungen variabler. In dieser
letzten Beziehung steht fest, dass gleich grosse Gewichte einen um
so geringern Zuwachs der Länge erzeugen, je beträchtlicher schon
die vorher angehängten Gewichte (oder Spannungen) gewesen waren,
oder mit andern Worten, es setzte der feuchte eiweissartige Stoff den
ersten Ausdehnungen geringern Widerstand entgegen als den späte-
ren. Wertheim gibt an, dass das Gesetz, nach welchem der Ela-
stizitätscoeffizient veränderlich sei, durch eine Hyperbel dargestellt
werden könne. Wie der Augenschein lehrt, ändert sich auch der abso-
lute Werth des Elastizitätscoeffizienten, wenn das in den Eiweissstoff
eingedrungene Wasser Salze aufgelöst enthält; so ist z. B. Faserstoff,
der sich mit Kochsalzauflösung imprägnirt hat, schwieriger ausdehn-
bar als der mit reinem Wasser durchdrungene und leichter ausdehnbar
als der trockene.

Zum Verständniss des Ausdrucks Elastizitätscoeffizient, Gesetz seines Wech-
sels u. s. w., diene folgendes: Unter den verschiedenen Arten sogenannter Elasti-
zitäten hat man in der Physiologie bisher nur das Augenmerk gerichtet auf die so-
genannte Zugelastizität, welche gemessen wird durch die lineare Ausdehnung, die in
einer festen Masse ein momentan wirkender, nach Gewichten zu schätzender Zug
erzeugt Der schematische Versuch zur Bestimmung dieser Art von Elastizität ge-
staltet sich, wie Jedermann geläufig, der Art, dass man, nachdem man eine Masse
von bekanntem Querschnitt und bekannter Länge an ihrem einen (dem obern) Ende
aufgehängt und das andere frei schwebende Ende mit Gewichten beschwert hat, be-
obachtet welche successive Verlängerung mit successiv steigender Gewichtsvermeh-
rung eintritt. Um die bei Versuchen mit Stoffen von verschiedenartigen Dimensio-
nen gefundenen Verhältnisse zwischen Gewichts- und Längenzuwachs untereinander
vergleichbar zu machen, hat man zunächst die zu vergleichenden Massen auf ein
und denselben Querschnitt, auf die Querschnittseinheit, zu reduziren, was durch die

[Abbildung] Fig. 2.
gewöhnliche Proportionsrechnung geschieht, bei
deren Ansatz man die Verlängerungen gleich
langer Stücke durch gleich grosse Gewichte den
Querschnitten umgekehrt proportional setzt.
Dann aber müssen auch die Längen auf die Ein-
heit der Länge reduzirt, und die Zuwächse der-
selben als Bruchtheile dieser Längeneinheit dar-
gestellt werden. Das Verfahren hierbei ist folgen-
des: Gesetzt es seien in beistehender Figur 2. auf
die Ordinate y die Längen und auf die Abszisse
x die Gewichte aufgetragen und es bedeute olI
die ursprüngliche Länge als kein Gewicht an
der Masse zog, olII diejenige als 1 Gewicht, olIII
als das doppelte des ersten Gewichts olIV als das
Dreifache des ursprünglichen Gewichts ange-

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[46/0060] Eiweissartige Stoffe. stizitätscoeffizienten begabt, d. h. sie dehnen sich, wenn grosse Ge- wichte an ihnen hängen, nur um einen kleinen Bruchtheil ihrer Länge aus; zugleich besteht für sie das auch bei unorganischen Stoffen gil- tige Gesetz, dass innerhalb gewisser Grenzen die Ausdehnung direkt proportional den angehängten Gewichten wächst (Wertheim). Im feuchten Zustand dagegen ist ihr Elastizitätscoeffizient ein niedriger und zugleich ein für verschiedene Belastungen variabler. In dieser letzten Beziehung steht fest, dass gleich grosse Gewichte einen um so geringern Zuwachs der Länge erzeugen, je beträchtlicher schon die vorher angehängten Gewichte (oder Spannungen) gewesen waren, oder mit andern Worten, es setzte der feuchte eiweissartige Stoff den ersten Ausdehnungen geringern Widerstand entgegen als den späte- ren. Wertheim gibt an, dass das Gesetz, nach welchem der Ela- stizitätscoeffizient veränderlich sei, durch eine Hyperbel dargestellt werden könne. Wie der Augenschein lehrt, ändert sich auch der abso- lute Werth des Elastizitätscoeffizienten, wenn das in den Eiweissstoff eingedrungene Wasser Salze aufgelöst enthält; so ist z. B. Faserstoff, der sich mit Kochsalzauflösung imprägnirt hat, schwieriger ausdehn- bar als der mit reinem Wasser durchdrungene und leichter ausdehnbar als der trockene. Zum Verständniss des Ausdrucks Elastizitätscoeffizient, Gesetz seines Wech- sels u. s. w., diene folgendes: Unter den verschiedenen Arten sogenannter Elasti- zitäten hat man in der Physiologie bisher nur das Augenmerk gerichtet auf die so- genannte Zugelastizität, welche gemessen wird durch die lineare Ausdehnung, die in einer festen Masse ein momentan wirkender, nach Gewichten zu schätzender Zug erzeugt Der schematische Versuch zur Bestimmung dieser Art von Elastizität ge- staltet sich, wie Jedermann geläufig, der Art, dass man, nachdem man eine Masse von bekanntem Querschnitt und bekannter Länge an ihrem einen (dem obern) Ende aufgehängt und das andere frei schwebende Ende mit Gewichten beschwert hat, be- obachtet welche successive Verlängerung mit successiv steigender Gewichtsvermeh- rung eintritt. Um die bei Versuchen mit Stoffen von verschiedenartigen Dimensio- nen gefundenen Verhältnisse zwischen Gewichts- und Längenzuwachs untereinander vergleichbar zu machen, hat man zunächst die zu vergleichenden Massen auf ein und denselben Querschnitt, auf die Querschnittseinheit, zu reduziren, was durch die [Abbildung Fig. 2.] gewöhnliche Proportionsrechnung geschieht, bei deren Ansatz man die Verlängerungen gleich langer Stücke durch gleich grosse Gewichte den Querschnitten umgekehrt proportional setzt. Dann aber müssen auch die Längen auf die Ein- heit der Länge reduzirt, und die Zuwächse der- selben als Bruchtheile dieser Längeneinheit dar- gestellt werden. Das Verfahren hierbei ist folgen- des: Gesetzt es seien in beistehender Figur 2. auf die Ordinate y die Längen und auf die Abszisse x die Gewichte aufgetragen und es bedeute olI die ursprüngliche Länge als kein Gewicht an der Masse zog, olII diejenige als 1 Gewicht, olIII als das doppelte des ersten Gewichts olIV als das Dreifache des ursprünglichen Gewichts ange-

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/60>, abgerufen am 27.11.2024.