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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Chemische Eigenschaften.
Umkehrung des Stroms am erwärmten Muskel; dieses letztere Verhalten werden wir
bei der Wärmestarre noch einmal erwähnen.

Zur Erhaltung seiner Normaltemperatur liefert der Muskel selbst
im Ruhezustand einen kleinen Beitrag, wie wir erschliessen, weil der
stets mit Sauerstoff durchdrungene Muskel CO2 entwickelt. Zum
grössten Theil aber empfängt der Muskel im lebenden Zustand seine
Wärme aus dem Blute. --

4. Chemische Eigenschaften. In der allgemeinen chemi-
schen Charakteristik des Muskels wurde schon erwähnt, dass die Zu-
sammensetzung desselben eine wechselnde sei, hier ist hinzuzufügen,
dass dieser Wechsel mit dem physiologischen Zustand Hand in Hand
geht. -- Ob die ungelösten Bestandtheile des Inhaltes der Muskel-
röhre während ihrer Ruhe besondere nur diesem Zustand angehö-
rige Eigenschaften zeigen, ist unbekannt; wir wissen dagegen, dass
a. zur Behauptung der Lebenseigenschaften des Muskels die Ge-
genwart von freiem, in der Muskelflüssigkeit aufgelösten Sauerstoff-
gase nöthig ist. (Humboldt, du Bois, G. Liebig *). Dieser
Sauerstoff verbindet sich unter nachweisslicher CO2-Bildung fortlau-
fend mit einem Theil der Muskelsubstanz. b. Dass die Muskelflüssigkeit
wenn sie aus einem Muskel gewonnen wurde, der längere Zeit im Ru-
hezustand befindlich war, sehr wenige in Alkohol lösliche Stoffe ent-
hält (Helmholtz **) und neutral reagirt, sonach die sauren Salze oder
die freie Säure entbehrt (du Bois). c. Dass der Röhreninhalt solcher
Muskeln, welche unter sonst noch so günstigen Verhältnissen sehr
anhaltend der Ruhe überlassen blieben, allmälig sich nicht allein min-
dert sondern auch umwandelt.

Um die Nothwendigkeit der Gegenwart des in den Muskeln anwesenden Ogases
zu erweisen, hingen du Bois und G. Liebig die beiden Unterschenkel eines Fro-
sches in verschiedene Gasarten und setzten die Zeit fest, während welcher sie sich
in beiden Gasarten zuckungsfähig erhielten. Da jedesmal gleichzeitig die beiden
Unterschenkel in verschiedene auf ihre Wirkung zu vergleichende Gasarten gebracht
wurden, so waren damit die aus der Individualität des Frosches herrührenden Un-
gleichheiten beseitigt. Um den Gasen den Zutritt zur Muskelsubstanz zu erleich-
tern, waren die Schenkel vorsichtig ohne Verletzung der Fascien enthäutet; um das
Eintrocknen der Schenkel zu verhüten, war der Gasraum, in dem sie sich befanden,
gesperrt und mit HO-Gas gesättigt. Der electrische Schlag, durch den die Muskeln
zur Zuckung veranlasst wurden, war für beide Schenkel dadurch gleichgemacht,
dass derselbe zugleich durch beide Schenkel ging. Die Schenkel erhalten sich in
O länger als in atmosphärischer Luft zuckungsfähig, und in dieser länger als in
N, CO2, H. -- Das um die Muskeln befindliche Ogas wird von ihnen absorbirt, und
zur Bildung von CO2 verwendet, welche in die Atmosphäre austritt. Diese Sauer-
stoffabsorption und CO2-Bildung ist um so lebhafter, je frischer der Muskel. Da
nun die Muskeln auch noch fortfahren, CO2 zu entwickeln, wenn sie durch Injection
mit Wasser von Blut befreit und ausserdem in eine Atmosphäre von N aufgehängt
waren, so muss O in der Muskelflüssigkeit aufgelöst gewesen sein, und daher rührt es

* Müllers Archiv 1850. 393.
** Müllers Archiv 1845. 72.

Chemische Eigenschaften.
Umkehrung des Stroms am erwärmten Muskel; dieses letztere Verhalten werden wir
bei der Wärmestarre noch einmal erwähnen.

Zur Erhaltung seiner Normaltemperatur liefert der Muskel selbst
im Ruhezustand einen kleinen Beitrag, wie wir erschliessen, weil der
stets mit Sauerstoff durchdrungene Muskel CO2 entwickelt. Zum
grössten Theil aber empfängt der Muskel im lebenden Zustand seine
Wärme aus dem Blute. —

4. Chemische Eigenschaften. In der allgemeinen chemi-
schen Charakteristik des Muskels wurde schon erwähnt, dass die Zu-
sammensetzung desselben eine wechselnde sei, hier ist hinzuzufügen,
dass dieser Wechsel mit dem physiologischen Zustand Hand in Hand
geht. — Ob die ungelösten Bestandtheile des Inhaltes der Muskel-
röhre während ihrer Ruhe besondere nur diesem Zustand angehö-
rige Eigenschaften zeigen, ist unbekannt; wir wissen dagegen, dass
a. zur Behauptung der Lebenseigenschaften des Muskels die Ge-
genwart von freiem, in der Muskelflüssigkeit aufgelösten Sauerstoff-
gase nöthig ist. (Humboldt, du Bois, G. Liebig *). Dieser
Sauerstoff verbindet sich unter nachweisslicher CO2-Bildung fortlau-
fend mit einem Theil der Muskelsubstanz. b. Dass die Muskelflüssigkeit
wenn sie aus einem Muskel gewonnen wurde, der längere Zeit im Ru-
hezustand befindlich war, sehr wenige in Alkohol lösliche Stoffe ent-
hält (Helmholtz **) und neutral reagirt, sonach die sauren Salze oder
die freie Säure entbehrt (du Bois). c. Dass der Röhreninhalt solcher
Muskeln, welche unter sonst noch so günstigen Verhältnissen sehr
anhaltend der Ruhe überlassen blieben, allmälig sich nicht allein min-
dert sondern auch umwandelt.

Um die Nothwendigkeit der Gegenwart des in den Muskeln anwesenden Ogases
zu erweisen, hingen du Bois und G. Liebig die beiden Unterschenkel eines Fro-
sches in verschiedene Gasarten und setzten die Zeit fest, während welcher sie sich
in beiden Gasarten zuckungsfähig erhielten. Da jedesmal gleichzeitig die beiden
Unterschenkel in verschiedene auf ihre Wirkung zu vergleichende Gasarten gebracht
wurden, so waren damit die aus der Individualität des Frosches herrührenden Un-
gleichheiten beseitigt. Um den Gasen den Zutritt zur Muskelsubstanz zu erleich-
tern, waren die Schenkel vorsichtig ohne Verletzung der Fascien enthäutet; um das
Eintrocknen der Schenkel zu verhüten, war der Gasraum, in dem sie sich befanden,
gesperrt und mit HO-Gas gesättigt. Der electrische Schlag, durch den die Muskeln
zur Zuckung veranlasst wurden, war für beide Schenkel dadurch gleichgemacht,
dass derselbe zugleich durch beide Schenkel ging. Die Schenkel erhalten sich in
O länger als in atmosphärischer Luft zuckungsfähig, und in dieser länger als in
N, CO2, H. — Das um die Muskeln befindliche Ogas wird von ihnen absorbirt, und
zur Bildung von CO2 verwendet, welche in die Atmosphäre austritt. Diese Sauer-
stoffabsorption und CO2-Bildung ist um so lebhafter, je frischer der Muskel. Da
nun die Muskeln auch noch fortfahren, CO2 zu entwickeln, wenn sie durch Injection
mit Wasser von Blut befreit und ausserdem in eine Atmosphäre von N aufgehängt
waren, so muss O in der Muskelflüssigkeit aufgelöst gewesen sein, und daher rührt es

* Müllers Archiv 1850. 393.
** Müllers Archiv 1845. 72.
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[322/0336] Chemische Eigenschaften. Umkehrung des Stroms am erwärmten Muskel; dieses letztere Verhalten werden wir bei der Wärmestarre noch einmal erwähnen. Zur Erhaltung seiner Normaltemperatur liefert der Muskel selbst im Ruhezustand einen kleinen Beitrag, wie wir erschliessen, weil der stets mit Sauerstoff durchdrungene Muskel CO2 entwickelt. Zum grössten Theil aber empfängt der Muskel im lebenden Zustand seine Wärme aus dem Blute. — 4. Chemische Eigenschaften. In der allgemeinen chemi- schen Charakteristik des Muskels wurde schon erwähnt, dass die Zu- sammensetzung desselben eine wechselnde sei, hier ist hinzuzufügen, dass dieser Wechsel mit dem physiologischen Zustand Hand in Hand geht. — Ob die ungelösten Bestandtheile des Inhaltes der Muskel- röhre während ihrer Ruhe besondere nur diesem Zustand angehö- rige Eigenschaften zeigen, ist unbekannt; wir wissen dagegen, dass a. zur Behauptung der Lebenseigenschaften des Muskels die Ge- genwart von freiem, in der Muskelflüssigkeit aufgelösten Sauerstoff- gase nöthig ist. (Humboldt, du Bois, G. Liebig *). Dieser Sauerstoff verbindet sich unter nachweisslicher CO2-Bildung fortlau- fend mit einem Theil der Muskelsubstanz. b. Dass die Muskelflüssigkeit wenn sie aus einem Muskel gewonnen wurde, der längere Zeit im Ru- hezustand befindlich war, sehr wenige in Alkohol lösliche Stoffe ent- hält (Helmholtz **) und neutral reagirt, sonach die sauren Salze oder die freie Säure entbehrt (du Bois). c. Dass der Röhreninhalt solcher Muskeln, welche unter sonst noch so günstigen Verhältnissen sehr anhaltend der Ruhe überlassen blieben, allmälig sich nicht allein min- dert sondern auch umwandelt. Um die Nothwendigkeit der Gegenwart des in den Muskeln anwesenden Ogases zu erweisen, hingen du Bois und G. Liebig die beiden Unterschenkel eines Fro- sches in verschiedene Gasarten und setzten die Zeit fest, während welcher sie sich in beiden Gasarten zuckungsfähig erhielten. Da jedesmal gleichzeitig die beiden Unterschenkel in verschiedene auf ihre Wirkung zu vergleichende Gasarten gebracht wurden, so waren damit die aus der Individualität des Frosches herrührenden Un- gleichheiten beseitigt. Um den Gasen den Zutritt zur Muskelsubstanz zu erleich- tern, waren die Schenkel vorsichtig ohne Verletzung der Fascien enthäutet; um das Eintrocknen der Schenkel zu verhüten, war der Gasraum, in dem sie sich befanden, gesperrt und mit HO-Gas gesättigt. Der electrische Schlag, durch den die Muskeln zur Zuckung veranlasst wurden, war für beide Schenkel dadurch gleichgemacht, dass derselbe zugleich durch beide Schenkel ging. Die Schenkel erhalten sich in O länger als in atmosphärischer Luft zuckungsfähig, und in dieser länger als in N, CO2, H. — Das um die Muskeln befindliche Ogas wird von ihnen absorbirt, und zur Bildung von CO2 verwendet, welche in die Atmosphäre austritt. Diese Sauer- stoffabsorption und CO2-Bildung ist um so lebhafter, je frischer der Muskel. Da nun die Muskeln auch noch fortfahren, CO2 zu entwickeln, wenn sie durch Injection mit Wasser von Blut befreit und ausserdem in eine Atmosphäre von N aufgehängt waren, so muss O in der Muskelflüssigkeit aufgelöst gewesen sein, und daher rührt es * Müllers Archiv 1850. 393. ** Müllers Archiv 1845. 72.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/336>, abgerufen am 22.11.2024.