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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Richtung des Hörens.
res Kopfes erzeugten Schall in diesen selbst versetzen, sowie das
Trommelfell an seinen Schwingungen vollkommen behindert ist.

Zur Bestimmung der Richtungen des Schalles bedienen wir uns,
wie ebenfalls Ed. Weber entdeckte, der Ohrmuschel und der Trommel-
fellschwingung, und zwar unterscheiden wir das Oben und Unten, das
Hinten und Vorn durch das erstere Werkzeug, das Rechts und Links
dagegen mittelst des Trommelfells. Nach den Erfahrungen des täg-
lichen Lebens tritt ausserdem noch als das Bestimmungsmittel die ver-
schiedene Intensität des Schalles bei Drehungen des Kopfes um die
vertikale und horizontale Achse hinzu, indem wir die Richtung des
Schalles in die Verlängerung des Gehörganges bei der Stellung ver-
legen, in welcher die Empfindung die grösste Stärke erlangt. Von die-
sem Gesichtspunkt aus erhält auch die Gegenwart zweier Ohren und
ihre diametrale Stellung am Kopfe eine Bedeutung.

Die absolute Entfernung der schallerzeugenden Ursache von
unserem Ohr empfinden wir nur sehr unvollkommen; die relative beur-
theilen wir wahrscheinlich nur nach der verschiedenen Stärke der zu
uns dringenden Schallbewegung.

Um die Wirkungen des Trommelfells für die Empfindung der Richtung zu unter-
suchen, tauchte Ed. Weber den bald mit Luft gefüllten und bald vollkommen mit Was-
ser gefüllten Gehörgang unter Wasser; in dem ersten Falle, in welchem das Trom-
melfell noch schwingen konnte, legte der Beobachter den Ort eines Schalles, der im
Wasser erregt wurde, noch ausserhalb seines Körpers; auch unterschied er noch die
Richtung von rechts oder links, dagegen nicht mehr die von oben und unten. War
der Gehörgang aber unter diesen Bedingungen mit Wasser augefüllt, welches die
Schwingung des Trommelfells verhinderte, so erschien nun der Ort des Schalles im
Kopf selbst zu liegen und es konnte über die Richtung desselben gar nichts mehr
ausgesagt werden. -- Die Leistungen der Ohrmuschel ermittelte er, entweder durch
Untertauchen des Kopfes, wodurch das Urtheil über oben, unten, hinten und vorn
verloren geht, oder er legte durch ein Band die Ohrmuschel fest an den Kopf und
drückte die Hand vor dem äussern Gehörgang fest auf die Wange, so dass sie unge-
fähr die Form der Ohrmuschel nachahmt. Unter diesen Umständen kehrt sich die
Richtung der Empfindung des vorn und hinten um, so dass der vor der Angesichts-
fläche erregte Schall vom Hinterhaupt her zu kommen scheint.

Man glaubte früher nach einer Beobachtung von Dove *) annehmen zu dür-
fen, dass beide Gehörnerven in ähnlicher Weise wie die identischen Netzhaut-
stellen ihre Empfindungen auf einander übertragen oder ausgleichen könnten. Diese
Behauptung soll hier nur erwähnt werden, um darauf hinzuweisen, dass sie von
Seebeck **) vollkommen widerlegt ist.

6. Binnentöne.

Töne, denen eine ausserhalb unseres Körpers liegende veranlas-
sende Schallbewegung fehlt, treten sehr häufig ein. Wir zählen zu ihnen:
1. Selbsttönen der Luft des äusseren Gehörganges. Dieses sogenannte
Selbsttönen der Luft im äusseren Gehörgang erscheint, wenn durch
fremde Körper, Ohrenschmalz etc. der Gehörgang verstopft ist; geringe

*) Repertorium III. 404.
**) Repertor. VIII. Bd. Akustik 107.

Richtung des Hörens.
res Kopfes erzeugten Schall in diesen selbst versetzen, sowie das
Trommelfell an seinen Schwingungen vollkommen behindert ist.

Zur Bestimmung der Richtungen des Schalles bedienen wir uns,
wie ebenfalls Ed. Weber entdeckte, der Ohrmuschel und der Trommel-
fellschwingung, und zwar unterscheiden wir das Oben und Unten, das
Hinten und Vorn durch das erstere Werkzeug, das Rechts und Links
dagegen mittelst des Trommelfells. Nach den Erfahrungen des täg-
lichen Lebens tritt ausserdem noch als das Bestimmungsmittel die ver-
schiedene Intensität des Schalles bei Drehungen des Kopfes um die
vertikale und horizontale Achse hinzu, indem wir die Richtung des
Schalles in die Verlängerung des Gehörganges bei der Stellung ver-
legen, in welcher die Empfindung die grösste Stärke erlangt. Von die-
sem Gesichtspunkt aus erhält auch die Gegenwart zweier Ohren und
ihre diametrale Stellung am Kopfe eine Bedeutung.

Die absolute Entfernung der schallerzeugenden Ursache von
unserem Ohr empfinden wir nur sehr unvollkommen; die relative beur-
theilen wir wahrscheinlich nur nach der verschiedenen Stärke der zu
uns dringenden Schallbewegung.

Um die Wirkungen des Trommelfells für die Empfindung der Richtung zu unter-
suchen, tauchte Ed. Weber den bald mit Luft gefüllten und bald vollkommen mit Was-
ser gefüllten Gehörgang unter Wasser; in dem ersten Falle, in welchem das Trom-
melfell noch schwingen konnte, legte der Beobachter den Ort eines Schalles, der im
Wasser erregt wurde, noch ausserhalb seines Körpers; auch unterschied er noch die
Richtung von rechts oder links, dagegen nicht mehr die von oben und unten. War
der Gehörgang aber unter diesen Bedingungen mit Wasser augefüllt, welches die
Schwingung des Trommelfells verhinderte, so erschien nun der Ort des Schalles im
Kopf selbst zu liegen und es konnte über die Richtung desselben gar nichts mehr
ausgesagt werden. — Die Leistungen der Ohrmuschel ermittelte er, entweder durch
Untertauchen des Kopfes, wodurch das Urtheil über oben, unten, hinten und vorn
verloren geht, oder er legte durch ein Band die Ohrmuschel fest an den Kopf und
drückte die Hand vor dem äussern Gehörgang fest auf die Wange, so dass sie unge-
fähr die Form der Ohrmuschel nachahmt. Unter diesen Umständen kehrt sich die
Richtung der Empfindung des vorn und hinten um, so dass der vor der Angesichts-
fläche erregte Schall vom Hinterhaupt her zu kommen scheint.

Man glaubte früher nach einer Beobachtung von Dove *) annehmen zu dür-
fen, dass beide Gehörnerven in ähnlicher Weise wie die identischen Netzhaut-
stellen ihre Empfindungen auf einander übertragen oder ausgleichen könnten. Diese
Behauptung soll hier nur erwähnt werden, um darauf hinzuweisen, dass sie von
Seebeck **) vollkommen widerlegt ist.

6. Binnentöne.

Töne, denen eine ausserhalb unseres Körpers liegende veranlas-
sende Schallbewegung fehlt, treten sehr häufig ein. Wir zählen zu ihnen:
1. Selbsttönen der Luft des äusseren Gehörganges. Dieses sogenannte
Selbsttönen der Luft im äusseren Gehörgang erscheint, wenn durch
fremde Körper, Ohrenschmalz etc. der Gehörgang verstopft ist; geringe

*) Repertorium III. 404.
**) Repertor. VIII. Bd. Akustik 107.
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[286/0300] Richtung des Hörens. res Kopfes erzeugten Schall in diesen selbst versetzen, sowie das Trommelfell an seinen Schwingungen vollkommen behindert ist. Zur Bestimmung der Richtungen des Schalles bedienen wir uns, wie ebenfalls Ed. Weber entdeckte, der Ohrmuschel und der Trommel- fellschwingung, und zwar unterscheiden wir das Oben und Unten, das Hinten und Vorn durch das erstere Werkzeug, das Rechts und Links dagegen mittelst des Trommelfells. Nach den Erfahrungen des täg- lichen Lebens tritt ausserdem noch als das Bestimmungsmittel die ver- schiedene Intensität des Schalles bei Drehungen des Kopfes um die vertikale und horizontale Achse hinzu, indem wir die Richtung des Schalles in die Verlängerung des Gehörganges bei der Stellung ver- legen, in welcher die Empfindung die grösste Stärke erlangt. Von die- sem Gesichtspunkt aus erhält auch die Gegenwart zweier Ohren und ihre diametrale Stellung am Kopfe eine Bedeutung. Die absolute Entfernung der schallerzeugenden Ursache von unserem Ohr empfinden wir nur sehr unvollkommen; die relative beur- theilen wir wahrscheinlich nur nach der verschiedenen Stärke der zu uns dringenden Schallbewegung. Um die Wirkungen des Trommelfells für die Empfindung der Richtung zu unter- suchen, tauchte Ed. Weber den bald mit Luft gefüllten und bald vollkommen mit Was- ser gefüllten Gehörgang unter Wasser; in dem ersten Falle, in welchem das Trom- melfell noch schwingen konnte, legte der Beobachter den Ort eines Schalles, der im Wasser erregt wurde, noch ausserhalb seines Körpers; auch unterschied er noch die Richtung von rechts oder links, dagegen nicht mehr die von oben und unten. War der Gehörgang aber unter diesen Bedingungen mit Wasser augefüllt, welches die Schwingung des Trommelfells verhinderte, so erschien nun der Ort des Schalles im Kopf selbst zu liegen und es konnte über die Richtung desselben gar nichts mehr ausgesagt werden. — Die Leistungen der Ohrmuschel ermittelte er, entweder durch Untertauchen des Kopfes, wodurch das Urtheil über oben, unten, hinten und vorn verloren geht, oder er legte durch ein Band die Ohrmuschel fest an den Kopf und drückte die Hand vor dem äussern Gehörgang fest auf die Wange, so dass sie unge- fähr die Form der Ohrmuschel nachahmt. Unter diesen Umständen kehrt sich die Richtung der Empfindung des vorn und hinten um, so dass der vor der Angesichts- fläche erregte Schall vom Hinterhaupt her zu kommen scheint. Man glaubte früher nach einer Beobachtung von Dove *) annehmen zu dür- fen, dass beide Gehörnerven in ähnlicher Weise wie die identischen Netzhaut- stellen ihre Empfindungen auf einander übertragen oder ausgleichen könnten. Diese Behauptung soll hier nur erwähnt werden, um darauf hinzuweisen, dass sie von Seebeck **) vollkommen widerlegt ist. 6. Binnentöne. Töne, denen eine ausserhalb unseres Körpers liegende veranlas- sende Schallbewegung fehlt, treten sehr häufig ein. Wir zählen zu ihnen: 1. Selbsttönen der Luft des äusseren Gehörganges. Dieses sogenannte Selbsttönen der Luft im äusseren Gehörgang erscheint, wenn durch fremde Körper, Ohrenschmalz etc. der Gehörgang verstopft ist; geringe *) Repertorium III. 404. **) Repertor. VIII. Bd. Akustik 107.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/300>, abgerufen am 22.11.2024.