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Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

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Mechanismus der Einrichtung; Linsenbewegung.

Die Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Aderhäute des Auges in eben-
bezeichneter Weise die Linsenbewegung unterstützen, wird sehr erhöht: 1) Wenn
man auf den verhältnissmässig grossen Durchmesser der einzelnen sie constitui-
renden Gefässe Rücksicht nimmt; 2) durch die von C. Weber und mir gemein-
schaftlich gewonnene Beobachtung, wonach die Gefässhäute im Auge so nach-
giebig sind, dass ein in der vordern Augenkammer luftdicht eingesetztes Manometer
auf dem Kymographion (siehe d. Pulslehre im Abschnitt vom Blutkreislauf) jede
Veränderung des Pulses, rühre sie vom Herzschlag oder Respirationswirkung her,
aufzeichnet mit Excursionen, die im Manometer bei einem Hundeauge von mittlerer
Grösse bis zu 0,8 Kubikzentimeter betragen; 3) dass der hydrostatische Druck, unter
welchem die Flüssigkeit in den Augenkammern liegt, nahe an den mittleren Seiten-
druck reicht, welchen die Wandungen grösserer Gefässe zu ertragen haben. Man
sieht, dass unter diesen Umständen nur geringe Zuwächse zu dem in der vordern
Augenkammer vorhandenen Drucke hinreichen, um das Uebergewicht auf Seite der
wässerigen Feuchtigkeit zu bringen.

Mit der Darstellung der Möglichkeit der Linsenbewegung durch diesen Apparat
ist nun freilich noch nicht erwiesen, dass die Linse durch ihn in der That bewegt
wird; unzweifelhaft kann dieses -- wie mir einige Vorversuche zeigten, -- durch
einen Fühlhebel bewerkstelligt werden, der in einem von Wasser erfüllten und mit
der vordern Augenkammer kommunizirenden Raume leicht aufgehängt vor die vor-
dere Linsenfläche gebracht wird; er müsste eine Bewegung der Linse nach vorn an-
zeigen, wenn man nach Durchschneidung der Augenmuskeln den m. tensor cho-
roideae mittelst zweier gegen ihn eingestochenen Nadeln, durch welche ein wech-
selnder Induktionsstrom ginge, erregte. Dieser schwierige und delikate Versuch
ist nur an Hunden, welche einen etwas beträchtlichen m. tensor choroideae be-
sitzen, ausführbar.

Die Vertheidiger der Hypothese von der Linsenbewegung als der Ursache der
Accommodation führen nun zu ihrer Unterstützung noch an; a) Man könne in der
That bei Accommodation für die Nähe das Vorrücken der Linse beobachten, welche
die Iris vor sich herschiebe und wölbe. Hueck *) gibt die Grösse dieses Vorschiebens
von 0,7 bis zu 1,7 M. M., und Listing **) zu 1,5 M. M. an. Andere Beobachter läugnen
aber noch die Anwesenheit dieser Erscheinung. -- b) Individuen, die in Folge der
Staaroperationen die Linsen verloren haben, büssen das Vermögen, in verschiedene
Fernen zu sehen, ein. Auch diese Beobachtung erfährt Widerspruch, indem mehrere
Kranke, die einige Jahre nach Vollendung der Operation untersucht wurden, das
Accommodationsvermögen wieder gewonnen hatten; man sucht nun diesen letz-
teren Beobachtungen ihre Beweiskraft gegen die Hypothese von der Linsenbewe-
gung dadurch zu rauben, dass man annimmt, es möchte sich die Linse (wie das
nach ärztlicher Erfahrung häufig geschieht) in diesen Fällen regenerirt haben.
Zudem wäre auch beim Fehlen der Linse eine beschränkte Accommodation durch
Verschieben der tellerförmigen Grube, welche dann als die zur Hornhaut gehörige
hintere Fläche einer biconvexen Linse betrachtet werden könnte, immer noch ge-
denkbar. c) Durch Einträufeln von Belladonna-Extrakt in das Auge wird das Accom-
modationsvermögen geschwächt und das Auge zugleich fernsichtiger, wie es in der
That die Theorie verlangt, wenn durch Aufnahme des wirksamen Stoffes der
Belladonna in die wässerige Feuchtigkeit der m. tensor choroideae gelähmt wird.

Der entscheidende Versuch für die vorliegende Hypothese kann nach meinem Da-
fürhalten dann geliefert werden, wenn es gelingt, mittelst der Schläge eines elek-
trischen Induktionsapparates, die man durch ein paar feine nahe dem Cornea-
rande oberflächlich in die Sclerotica gebrachte Drahtspitzen einleitet, den m. tensor

*) Bewegung der Krystalllinse. Leipzig 1841.
**) Wagners Handwörterbuch IV. Bd. p. 504.
Mechanismus der Einrichtung; Linsenbewegung.

Die Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Aderhäute des Auges in eben-
bezeichneter Weise die Linsenbewegung unterstützen, wird sehr erhöht: 1) Wenn
man auf den verhältnissmässig grossen Durchmesser der einzelnen sie constitui-
renden Gefässe Rücksicht nimmt; 2) durch die von C. Weber und mir gemein-
schaftlich gewonnene Beobachtung, wonach die Gefässhäute im Auge so nach-
giebig sind, dass ein in der vordern Augenkammer luftdicht eingesetztes Manometer
auf dem Kymographion (siehe d. Pulslehre im Abschnitt vom Blutkreislauf) jede
Veränderung des Pulses, rühre sie vom Herzschlag oder Respirationswirkung her,
aufzeichnet mit Excursionen, die im Manometer bei einem Hundeauge von mittlerer
Grösse bis zu 0,8 Kubikzentimeter betragen; 3) dass der hydrostatische Druck, unter
welchem die Flüssigkeit in den Augenkammern liegt, nahe an den mittleren Seiten-
druck reicht, welchen die Wandungen grösserer Gefässe zu ertragen haben. Man
sieht, dass unter diesen Umständen nur geringe Zuwächse zu dem in der vordern
Augenkammer vorhandenen Drucke hinreichen, um das Uebergewicht auf Seite der
wässerigen Feuchtigkeit zu bringen.

Mit der Darstellung der Möglichkeit der Linsenbewegung durch diesen Apparat
ist nun freilich noch nicht erwiesen, dass die Linse durch ihn in der That bewegt
wird; unzweifelhaft kann dieses — wie mir einige Vorversuche zeigten, — durch
einen Fühlhebel bewerkstelligt werden, der in einem von Wasser erfüllten und mit
der vordern Augenkammer kommunizirenden Raume leicht aufgehängt vor die vor-
dere Linsenfläche gebracht wird; er müsste eine Bewegung der Linse nach vorn an-
zeigen, wenn man nach Durchschneidung der Augenmuskeln den m. tensor cho-
roideae mittelst zweier gegen ihn eingestochenen Nadeln, durch welche ein wech-
selnder Induktionsstrom ginge, erregte. Dieser schwierige und delikate Versuch
ist nur an Hunden, welche einen etwas beträchtlichen m. tensor choroideae be-
sitzen, ausführbar.

Die Vertheidiger der Hypothese von der Linsenbewegung als der Ursache der
Accommodation führen nun zu ihrer Unterstützung noch an; a) Man könne in der
That bei Accommodation für die Nähe das Vorrücken der Linse beobachten, welche
die Iris vor sich herschiebe und wölbe. Hueck *) gibt die Grösse dieses Vorschiebens
von 0,7 bis zu 1,7 M. M., und Listing **) zu 1,5 M. M. an. Andere Beobachter läugnen
aber noch die Anwesenheit dieser Erscheinung. — b) Individuen, die in Folge der
Staaroperationen die Linsen verloren haben, büssen das Vermögen, in verschiedene
Fernen zu sehen, ein. Auch diese Beobachtung erfährt Widerspruch, indem mehrere
Kranke, die einige Jahre nach Vollendung der Operation untersucht wurden, das
Accommodationsvermögen wieder gewonnen hatten; man sucht nun diesen letz-
teren Beobachtungen ihre Beweiskraft gegen die Hypothese von der Linsenbewe-
gung dadurch zu rauben, dass man annimmt, es möchte sich die Linse (wie das
nach ärztlicher Erfahrung häufig geschieht) in diesen Fällen regenerirt haben.
Zudem wäre auch beim Fehlen der Linse eine beschränkte Accommodation durch
Verschieben der tellerförmigen Grube, welche dann als die zur Hornhaut gehörige
hintere Fläche einer biconvexen Linse betrachtet werden könnte, immer noch ge-
denkbar. c) Durch Einträufeln von Belladonna-Extrakt in das Auge wird das Accom-
modationsvermögen geschwächt und das Auge zugleich fernsichtiger, wie es in der
That die Theorie verlangt, wenn durch Aufnahme des wirksamen Stoffes der
Belladonna in die wässerige Feuchtigkeit der m. tensor choroideae gelähmt wird.

Der entscheidende Versuch für die vorliegende Hypothese kann nach meinem Da-
fürhalten dann geliefert werden, wenn es gelingt, mittelst der Schläge eines elek-
trischen Induktionsapparates, die man durch ein paar feine nahe dem Cornea-
rande oberflächlich in die Sclerotica gebrachte Drahtspitzen einleitet, den m. tensor

*) Bewegung der Krystalllinse. Leipzig 1841.
**) Wagners Handwörterbuch IV. Bd. p. 504.
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[214/0228] Mechanismus der Einrichtung; Linsenbewegung. Die Wahrscheinlichkeit für die Annahme, dass die Aderhäute des Auges in eben- bezeichneter Weise die Linsenbewegung unterstützen, wird sehr erhöht: 1) Wenn man auf den verhältnissmässig grossen Durchmesser der einzelnen sie constitui- renden Gefässe Rücksicht nimmt; 2) durch die von C. Weber und mir gemein- schaftlich gewonnene Beobachtung, wonach die Gefässhäute im Auge so nach- giebig sind, dass ein in der vordern Augenkammer luftdicht eingesetztes Manometer auf dem Kymographion (siehe d. Pulslehre im Abschnitt vom Blutkreislauf) jede Veränderung des Pulses, rühre sie vom Herzschlag oder Respirationswirkung her, aufzeichnet mit Excursionen, die im Manometer bei einem Hundeauge von mittlerer Grösse bis zu 0,8 Kubikzentimeter betragen; 3) dass der hydrostatische Druck, unter welchem die Flüssigkeit in den Augenkammern liegt, nahe an den mittleren Seiten- druck reicht, welchen die Wandungen grösserer Gefässe zu ertragen haben. Man sieht, dass unter diesen Umständen nur geringe Zuwächse zu dem in der vordern Augenkammer vorhandenen Drucke hinreichen, um das Uebergewicht auf Seite der wässerigen Feuchtigkeit zu bringen. Mit der Darstellung der Möglichkeit der Linsenbewegung durch diesen Apparat ist nun freilich noch nicht erwiesen, dass die Linse durch ihn in der That bewegt wird; unzweifelhaft kann dieses — wie mir einige Vorversuche zeigten, — durch einen Fühlhebel bewerkstelligt werden, der in einem von Wasser erfüllten und mit der vordern Augenkammer kommunizirenden Raume leicht aufgehängt vor die vor- dere Linsenfläche gebracht wird; er müsste eine Bewegung der Linse nach vorn an- zeigen, wenn man nach Durchschneidung der Augenmuskeln den m. tensor cho- roideae mittelst zweier gegen ihn eingestochenen Nadeln, durch welche ein wech- selnder Induktionsstrom ginge, erregte. Dieser schwierige und delikate Versuch ist nur an Hunden, welche einen etwas beträchtlichen m. tensor choroideae be- sitzen, ausführbar. Die Vertheidiger der Hypothese von der Linsenbewegung als der Ursache der Accommodation führen nun zu ihrer Unterstützung noch an; a) Man könne in der That bei Accommodation für die Nähe das Vorrücken der Linse beobachten, welche die Iris vor sich herschiebe und wölbe. Hueck *) gibt die Grösse dieses Vorschiebens von 0,7 bis zu 1,7 M. M., und Listing **) zu 1,5 M. M. an. Andere Beobachter läugnen aber noch die Anwesenheit dieser Erscheinung. — b) Individuen, die in Folge der Staaroperationen die Linsen verloren haben, büssen das Vermögen, in verschiedene Fernen zu sehen, ein. Auch diese Beobachtung erfährt Widerspruch, indem mehrere Kranke, die einige Jahre nach Vollendung der Operation untersucht wurden, das Accommodationsvermögen wieder gewonnen hatten; man sucht nun diesen letz- teren Beobachtungen ihre Beweiskraft gegen die Hypothese von der Linsenbewe- gung dadurch zu rauben, dass man annimmt, es möchte sich die Linse (wie das nach ärztlicher Erfahrung häufig geschieht) in diesen Fällen regenerirt haben. Zudem wäre auch beim Fehlen der Linse eine beschränkte Accommodation durch Verschieben der tellerförmigen Grube, welche dann als die zur Hornhaut gehörige hintere Fläche einer biconvexen Linse betrachtet werden könnte, immer noch ge- denkbar. c) Durch Einträufeln von Belladonna-Extrakt in das Auge wird das Accom- modationsvermögen geschwächt und das Auge zugleich fernsichtiger, wie es in der That die Theorie verlangt, wenn durch Aufnahme des wirksamen Stoffes der Belladonna in die wässerige Feuchtigkeit der m. tensor choroideae gelähmt wird. Der entscheidende Versuch für die vorliegende Hypothese kann nach meinem Da- fürhalten dann geliefert werden, wenn es gelingt, mittelst der Schläge eines elek- trischen Induktionsapparates, die man durch ein paar feine nahe dem Cornea- rande oberflächlich in die Sclerotica gebrachte Drahtspitzen einleitet, den m. tensor *) Bewegung der Krystalllinse. Leipzig 1841. **) Wagners Handwörterbuch IV. Bd. p. 504.

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Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/228>, abgerufen am 23.11.2024.