Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

N. hypoglossus.
den kann, so dass genauer ausgedrückt, die erschlaffende Wirkung
der Vagusäste nicht auf die Muskelfasern, sondern auf diese Zwischen-
apparate geht.

Ausserdem schreibt man dem gemeinsamen Stamme noch einen
direkten Einfluss auf die Absonderungsthätigkeit der Magensaftdrüsen
und die Verengerung der Capillargefässe der arter. pulmonalis oder
a. bronchialis zu; ob mit Recht, ist noch nicht erwiesen.

Man hat in Anbetracht, dass Zweige der nn. vagus und accessorius (?) zum Ma-
gen sich begeben, von ihnen das Hungergefühl abhängig gemacht. Diese aus anato-
mischen Gründen wahrscheinliche Hypothese werden wir bei der Verdauung bespre-
chen. Dort wird auch die Frage über den Einfluss der Nerven auf die Verdauung ab-
gehandelt. Nach Durchschneidung beider Vagusstämme am Hals füllen sich die
Lungenbläschen bald mit einer eigenthümlichen Flüssigkeit an, welche durch Störung
des Athemgeschäftes den Tod herbeiführt. Es bleibt ungewiss ob diese Flüssigkeit von
den Lungen abgesondert wird, weil ihre Capillargefässe verändert oder weil die In-
tensität der Herzwirkungen vermehrt ist, oder ob sie aus der Mundhöhle durch die
gelähmte Stimmritze dringen; die verschiedenen Hypothesen und deren Begründung
wird bei den Athemfunctionen genauer mitgetheilt.

Am Oesophagus, Herz und wahrscheinlich auch an den Lungen dringt der Nerv
jeder Seite auf beide Hälften der genannten Organe.

Den Einfluss, den die Pulmonaläste des n. vagus auf die kleinen Muskeln der Lun-
gen ausüben, studirte man auf die Art, dass man in die Luftröhre ein heberförmig
gebogenes, mit etwas Wasser gefülltes Glasrohr luftdicht einband und darauf den
Stamm der n. vagi erregte. Wurde durch deren Erregung Zusammenziehung der Lun-
genmuskeln bedingt, so wurde die Lungenluft zusammengedrückt, in das Glasrohr
getrieben und das Wasser gehoben. Den älteren Beobachtungen von Willis und
Volkmann gegenüber leugnet Donders den erregenden Einfluss des n. vagus.

Nervus Hypoglossus.

So weit er verfolgbar, tritt er aus einer grauen Masse, die am
Boden des calamus scriptorius liegt, aus, kreuzt sich vollkommen, so
dass die ursprünglich rechten Fasern zur linken Seite und umgekehrt
treten und erscheint zwischen Olive und Pyramide auf der untern Fläche
des verlängerten Markes; seine Röhren verdünnen sich auffallend
innerhalb ihres Verlaufs durch die graue Masse. Im Stamm führt es nur
breite Fasern gegen 4500 bis 5000.

In der Schädelhöhle führt er keine (?) sensiblen Elemente; auf
seinem weitern Verlauf wird er dagegen durch Beimengung von Röh-
ren aus verschiedenen Nerven sehr empfindlich.

Seine motorischen Funktionen beziehen sich vorzugsweise auf die
Zunge; die besondern Muskeln, die er versorgt, sind bald nur mm.
styloglossus, hyoglossus, genioglossus, lingualis, thyreohyoideus,
dann nächst diesen auch sternohyoideus, omohyoideus? und sterno-
thyreoideus?

Dass die Zunge noch aus andern Quellen als den hier erwähnten Wurzeln moto-
rische Röhren erhält, werden wir später noch erfahren. --

Während *) der Darstellung der Verbreitungsbezirke aller Hirn-

*) Volkmann, Artikel Nervenphysiologie. -- Budge, Neurolog. Mittheilungen, Zeitschrift für
wissenschaftl. Zoologie 1851. -- Compt. rend. 1851. 33. Bd.
11*

N. hypoglossus.
den kann, so dass genauer ausgedrückt, die erschlaffende Wirkung
der Vagusäste nicht auf die Muskelfasern, sondern auf diese Zwischen-
apparate geht.

Ausserdem schreibt man dem gemeinsamen Stamme noch einen
direkten Einfluss auf die Absonderungsthätigkeit der Magensaftdrüsen
und die Verengerung der Capillargefässe der arter. pulmonalis oder
a. bronchialis zu; ob mit Recht, ist noch nicht erwiesen.

Man hat in Anbetracht, dass Zweige der nn. vagus und accessorius (?) zum Ma-
gen sich begeben, von ihnen das Hungergefühl abhängig gemacht. Diese aus anato-
mischen Gründen wahrscheinliche Hypothese werden wir bei der Verdauung bespre-
chen. Dort wird auch die Frage über den Einfluss der Nerven auf die Verdauung ab-
gehandelt. Nach Durchschneidung beider Vagusstämme am Hals füllen sich die
Lungenbläschen bald mit einer eigenthümlichen Flüssigkeit an, welche durch Störung
des Athemgeschäftes den Tod herbeiführt. Es bleibt ungewiss ob diese Flüssigkeit von
den Lungen abgesondert wird, weil ihre Capillargefässe verändert oder weil die In-
tensität der Herzwirkungen vermehrt ist, oder ob sie aus der Mundhöhle durch die
gelähmte Stimmritze dringen; die verschiedenen Hypothesen und deren Begründung
wird bei den Athemfunctionen genauer mitgetheilt.

Am Oesophagus, Herz und wahrscheinlich auch an den Lungen dringt der Nerv
jeder Seite auf beide Hälften der genannten Organe.

Den Einfluss, den die Pulmonaläste des n. vagus auf die kleinen Muskeln der Lun-
gen ausüben, studirte man auf die Art, dass man in die Luftröhre ein heberförmig
gebogenes, mit etwas Wasser gefülltes Glasrohr luftdicht einband und darauf den
Stamm der n. vagi erregte. Wurde durch deren Erregung Zusammenziehung der Lun-
genmuskeln bedingt, so wurde die Lungenluft zusammengedrückt, in das Glasrohr
getrieben und das Wasser gehoben. Den älteren Beobachtungen von Willis und
Volkmann gegenüber leugnet Donders den erregenden Einfluss des n. vagus.

Nervus Hypoglossus.

So weit er verfolgbar, tritt er aus einer grauen Masse, die am
Boden des calamus scriptorius liegt, aus, kreuzt sich vollkommen, so
dass die ursprünglich rechten Fasern zur linken Seite und umgekehrt
treten und erscheint zwischen Olive und Pyramide auf der untern Fläche
des verlängerten Markes; seine Röhren verdünnen sich auffallend
innerhalb ihres Verlaufs durch die graue Masse. Im Stamm führt es nur
breite Fasern gegen 4500 bis 5000.

In der Schädelhöhle führt er keine (?) sensiblen Elemente; auf
seinem weitern Verlauf wird er dagegen durch Beimengung von Röh-
ren aus verschiedenen Nerven sehr empfindlich.

Seine motorischen Funktionen beziehen sich vorzugsweise auf die
Zunge; die besondern Muskeln, die er versorgt, sind bald nur mm.
styloglossus, hyoglossus, genioglossus, lingualis, thyreohyoideus,
dann nächst diesen auch sternohyoideus, omohyoideus? und sterno-
thyreoideus?

Dass die Zunge noch aus andern Quellen als den hier erwähnten Wurzeln moto-
rische Röhren erhält, werden wir später noch erfahren. —

Während *) der Darstellung der Verbreitungsbezirke aller Hirn-

*) Volkmann, Artikel Nervenphysiologie. — Budge, Neurolog. Mittheilungen, Zeitschrift für
wissenschaftl. Zoologie 1851. — Compt. rend. 1851. 33. Bd.
11*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0177" n="163"/><fw place="top" type="header">N. hypoglossus.</fw><lb/>
den kann, so dass genauer ausgedrückt, die erschlaffende Wirkung<lb/>
der Vagusäste nicht auf die Muskelfasern, sondern auf diese Zwischen-<lb/>
apparate geht.</p><lb/>
            <p>Ausserdem schreibt man dem gemeinsamen Stamme noch einen<lb/>
direkten Einfluss auf die Absonderungsthätigkeit der Magensaftdrüsen<lb/>
und die Verengerung der Capillargefässe der arter. pulmonalis oder<lb/>
a. bronchialis zu; ob mit Recht, ist noch nicht erwiesen.</p><lb/>
            <p>Man hat in Anbetracht, dass Zweige der nn. vagus und accessorius (?) zum Ma-<lb/>
gen sich begeben, von ihnen das Hungergefühl abhängig gemacht. Diese aus anato-<lb/>
mischen Gründen wahrscheinliche Hypothese werden wir bei der Verdauung bespre-<lb/>
chen. Dort wird auch die Frage über den Einfluss der Nerven auf die Verdauung ab-<lb/>
gehandelt. Nach Durchschneidung beider Vagusstämme am Hals füllen sich die<lb/>
Lungenbläschen bald mit einer eigenthümlichen Flüssigkeit an, welche durch Störung<lb/>
des Athemgeschäftes den Tod herbeiführt. Es bleibt ungewiss ob diese Flüssigkeit von<lb/>
den Lungen abgesondert wird, weil ihre Capillargefässe verändert oder weil die In-<lb/>
tensität der Herzwirkungen vermehrt ist, oder ob sie aus der Mundhöhle durch die<lb/>
gelähmte Stimmritze dringen; die verschiedenen Hypothesen und deren Begründung<lb/>
wird bei den Athemfunctionen genauer mitgetheilt.</p><lb/>
            <p>Am Oesophagus, Herz und wahrscheinlich auch an den Lungen dringt der Nerv<lb/>
jeder Seite auf beide Hälften der genannten Organe.</p><lb/>
            <p>Den Einfluss, den die Pulmonaläste des n. vagus auf die kleinen Muskeln der Lun-<lb/>
gen ausüben, studirte man auf die Art, dass man in die Luftröhre ein heberförmig<lb/>
gebogenes, mit etwas Wasser gefülltes Glasrohr luftdicht einband und darauf den<lb/>
Stamm der n. vagi erregte. Wurde durch deren Erregung Zusammenziehung der Lun-<lb/>
genmuskeln bedingt, so wurde die Lungenluft zusammengedrückt, in das Glasrohr<lb/>
getrieben und das Wasser gehoben. Den älteren Beobachtungen von <hi rendition="#g">Willis</hi> und<lb/><hi rendition="#g">Volkmann</hi> gegenüber leugnet <hi rendition="#g">Donders</hi> den erregenden Einfluss des n. vagus.</p><lb/>
            <p><hi rendition="#g">Nervus Hypoglossus</hi>.</p><lb/>
            <p>So weit er verfolgbar, tritt er aus einer grauen Masse, die am<lb/>
Boden des calamus scriptorius liegt, aus, kreuzt sich vollkommen, so<lb/>
dass die ursprünglich rechten Fasern zur linken Seite und umgekehrt<lb/>
treten und erscheint zwischen Olive und Pyramide auf der untern Fläche<lb/>
des verlängerten Markes; seine Röhren verdünnen sich auffallend<lb/>
innerhalb ihres Verlaufs durch die graue Masse. Im Stamm führt es nur<lb/>
breite Fasern gegen 4500 bis 5000.</p><lb/>
            <p>In der Schädelhöhle führt er keine (?) sensiblen Elemente; auf<lb/>
seinem weitern Verlauf wird er dagegen durch Beimengung von Röh-<lb/>
ren aus verschiedenen Nerven sehr empfindlich.</p><lb/>
            <p>Seine motorischen Funktionen beziehen sich vorzugsweise auf die<lb/>
Zunge; die besondern Muskeln, die er versorgt, sind bald nur mm.<lb/>
styloglossus, hyoglossus, genioglossus, lingualis, thyreohyoideus,<lb/>
dann nächst diesen auch sternohyoideus, omohyoideus? und sterno-<lb/>
thyreoideus?</p><lb/>
            <p>Dass die Zunge noch aus andern Quellen als den hier erwähnten Wurzeln moto-<lb/>
rische Röhren erhält, werden wir später noch erfahren. &#x2014;</p><lb/>
            <p>Während <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Volkmann</hi>, Artikel Nervenphysiologie. &#x2014; <hi rendition="#g">Budge</hi>, Neurolog. Mittheilungen, Zeitschrift für<lb/>
wissenschaftl. Zoologie 1851. &#x2014; Compt. rend. 1851. 33. Bd.</note> der Darstellung der Verbreitungsbezirke aller Hirn-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">11*</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[163/0177] N. hypoglossus. den kann, so dass genauer ausgedrückt, die erschlaffende Wirkung der Vagusäste nicht auf die Muskelfasern, sondern auf diese Zwischen- apparate geht. Ausserdem schreibt man dem gemeinsamen Stamme noch einen direkten Einfluss auf die Absonderungsthätigkeit der Magensaftdrüsen und die Verengerung der Capillargefässe der arter. pulmonalis oder a. bronchialis zu; ob mit Recht, ist noch nicht erwiesen. Man hat in Anbetracht, dass Zweige der nn. vagus und accessorius (?) zum Ma- gen sich begeben, von ihnen das Hungergefühl abhängig gemacht. Diese aus anato- mischen Gründen wahrscheinliche Hypothese werden wir bei der Verdauung bespre- chen. Dort wird auch die Frage über den Einfluss der Nerven auf die Verdauung ab- gehandelt. Nach Durchschneidung beider Vagusstämme am Hals füllen sich die Lungenbläschen bald mit einer eigenthümlichen Flüssigkeit an, welche durch Störung des Athemgeschäftes den Tod herbeiführt. Es bleibt ungewiss ob diese Flüssigkeit von den Lungen abgesondert wird, weil ihre Capillargefässe verändert oder weil die In- tensität der Herzwirkungen vermehrt ist, oder ob sie aus der Mundhöhle durch die gelähmte Stimmritze dringen; die verschiedenen Hypothesen und deren Begründung wird bei den Athemfunctionen genauer mitgetheilt. Am Oesophagus, Herz und wahrscheinlich auch an den Lungen dringt der Nerv jeder Seite auf beide Hälften der genannten Organe. Den Einfluss, den die Pulmonaläste des n. vagus auf die kleinen Muskeln der Lun- gen ausüben, studirte man auf die Art, dass man in die Luftröhre ein heberförmig gebogenes, mit etwas Wasser gefülltes Glasrohr luftdicht einband und darauf den Stamm der n. vagi erregte. Wurde durch deren Erregung Zusammenziehung der Lun- genmuskeln bedingt, so wurde die Lungenluft zusammengedrückt, in das Glasrohr getrieben und das Wasser gehoben. Den älteren Beobachtungen von Willis und Volkmann gegenüber leugnet Donders den erregenden Einfluss des n. vagus. Nervus Hypoglossus. So weit er verfolgbar, tritt er aus einer grauen Masse, die am Boden des calamus scriptorius liegt, aus, kreuzt sich vollkommen, so dass die ursprünglich rechten Fasern zur linken Seite und umgekehrt treten und erscheint zwischen Olive und Pyramide auf der untern Fläche des verlängerten Markes; seine Röhren verdünnen sich auffallend innerhalb ihres Verlaufs durch die graue Masse. Im Stamm führt es nur breite Fasern gegen 4500 bis 5000. In der Schädelhöhle führt er keine (?) sensiblen Elemente; auf seinem weitern Verlauf wird er dagegen durch Beimengung von Röh- ren aus verschiedenen Nerven sehr empfindlich. Seine motorischen Funktionen beziehen sich vorzugsweise auf die Zunge; die besondern Muskeln, die er versorgt, sind bald nur mm. styloglossus, hyoglossus, genioglossus, lingualis, thyreohyoideus, dann nächst diesen auch sternohyoideus, omohyoideus? und sterno- thyreoideus? Dass die Zunge noch aus andern Quellen als den hier erwähnten Wurzeln moto- rische Röhren erhält, werden wir später noch erfahren. — Während *) der Darstellung der Verbreitungsbezirke aller Hirn- *) Volkmann, Artikel Nervenphysiologie. — Budge, Neurolog. Mittheilungen, Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie 1851. — Compt. rend. 1851. 33. Bd. 11*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/177
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/177>, abgerufen am 23.11.2024.