Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.Reflexempfindung. suchen. Hält man solchen vagen Thatsachen die Erscheinung gegenüber, dass jedergesunde Mensch in tausend unbeobachteten zum Entstehen der Reflexbewegungen geschickten Augenblicken eine eindringende Erregung nur ganz örtlich fühlt, dass also in den der Querleitung günstigen Zuständen des Rückenmarks die Mitempfindun- gen dennoch nicht auftreten, so möchte man sehr geneigt sein, diese Lehre in der bezeichneten Form ganz abzuweisen. D. Uebertragung der Erregung von motorischen auf Die Thatsachen, aus welchen man die Reflexempfindung erschloss, sind. a. Nach *) Stromeyer de combinatione actionis nervorum et motoriorum et sensoriorum. Erl. 1839. --
Valentin, Lehrbuch der Physiologie. II. b. 492. -- Volkmann, Nervenphysiologie Wag- ners Handwört. II. B. 530. -- Henle, rationelle Pathologie l. c. Reflexempfindung. suchen. Hält man solchen vagen Thatsachen die Erscheinung gegenüber, dass jedergesunde Mensch in tausend unbeobachteten zum Entstehen der Reflexbewegungen geschickten Augenblicken eine eindringende Erregung nur ganz örtlich fühlt, dass also in den der Querleitung günstigen Zuständen des Rückenmarks die Mitempfindun- gen dennoch nicht auftreten, so möchte man sehr geneigt sein, diese Lehre in der bezeichneten Form ganz abzuweisen. D. Uebertragung der Erregung von motorischen auf Die Thatsachen, aus welchen man die Reflexempfindung erschloss, sind. a. Nach *) Stromeyer de combinatione actionis nervorum et motoriorum et sensoriorum. Erl. 1839. —
Valentin, Lehrbuch der Physiologie. II. b. 492. — Volkmann, Nervenphysiologie Wag- ners Handwört. II. B. 530. — Henle, rationelle Pathologie l. c. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0162" n="148"/><fw place="top" type="header">Reflexempfindung.</fw><lb/> suchen. Hält man solchen vagen Thatsachen die Erscheinung gegenüber, dass jeder<lb/> gesunde Mensch in tausend unbeobachteten zum Entstehen der Reflexbewegungen<lb/> geschickten Augenblicken eine eindringende Erregung nur ganz örtlich fühlt, dass<lb/> also in den der Querleitung günstigen Zuständen des Rückenmarks die Mitempfindun-<lb/> gen dennoch nicht auftreten, so möchte man sehr geneigt sein, diese Lehre in der<lb/> bezeichneten Form ganz abzuweisen.</p><lb/> <p>D. <hi rendition="#g">Uebertragung der Erregung von motorischen auf<lb/> sensible Röhren. Reflexempfindung</hi>. <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Stromeyer</hi> de combinatione actionis nervorum et motoriorum et sensoriorum. Erl. 1839. —<lb/><hi rendition="#g">Valentin</hi>, Lehrbuch der Physiologie. II. b. 492. — <hi rendition="#g">Volkmann</hi>, Nervenphysiologie <hi rendition="#g">Wag-<lb/> ners</hi> Handwört. II. B. 530. — <hi rendition="#g">Henle</hi>, rationelle Pathologie l. c.</note> Mit dem Namen der<lb/> Reflexempfindung führte man endlich noch eine vierte Art Querleitung<lb/> in die Wissenschaft ein; nach dieser Hypothese sollen auch die moto-<lb/> rischen Rückenmarksröhren ihre Erregungszustände auf die sensiblen<lb/> Fasern übertragen; mit andern Worten bei der Reflexempfindung soll<lb/> die Mittheilung der Erregung zwischen den Röhrenelementen des<lb/> Rückenmarks auf demselben Wege aber in umgekehrter Richtung<lb/> möglich sein, auf dem sie bei der Reflexbewegung geschieht. Der<lb/> Beweis ihres Bestehens ist abgesehen von allen andern Folgen<lb/> schon des Mechanismus der Reflexbewegung wegen von ausseror-<lb/> dentlicher Wichtigkeit. Er ist in der That aber so wenig geführt, dass<lb/> selbst die Anhänger der Hypothese von Mitempfindung und Mitbewe-<lb/> gung sich gegen die Annahme einer Reflexempfindung aussprechen.</p><lb/> <p>Die Thatsachen, aus welchen man die Reflexempfindung erschloss, sind. a. Nach<lb/> Durchschneidung der Sehne eines Jahre lang verkürzten Muskels entsteht das eigen-<lb/> thümliche Gefühl eingeschlafener Glieder, obwohl durch die Operation kein Nerv ver-<lb/> letzt wurde. Man interpretirt dieses Gefühl des Eingeschlafenseins dahin, dass der<lb/> Nerv des dauernd contrahirten Muskels seine Erregung im Rückenmark auf die sen-<lb/> siblen Nerven übertragen habe, im Moment der Durchschneidung der Sehne werde<lb/> nun zugleich der motorische Nerv aus dem Zustand der Erregung in den der Ab-<lb/> spannung versetzt und damit auch die Reflexerregung des sensiblen Nerven aufge-<lb/> hoben. Diese Erscheinung, welche nicht constant beobachtet wurde, erläutert sich<lb/> mindestens ebenso einfach dadurch, dass die Nerven eines Gliedes, das nach Durch-<lb/> schneidung der verkürzten Sehne in eine andere Lage gebracht wird, einer Zerrung<lb/> unterworfen oder aus einer bisher vorhandenen gezerrten Stellung wieder befreit<lb/> werden. Gesetzt aber, es sei auch diese Erklärung für die Erscheinung unbrauch-<lb/> bar, so müsste, ehe die obige gelten sollte, erst noch gezeigt werden, dass ein Mus-<lb/> kel, resp. ein Nerv sich Jahre lang im Zustand der Erregung befinden kann, ohne zu<lb/> ermüden; ferner dass die Durchschneidung seiner Sehne den Muskel unfähig zur Con-<lb/> traktion macht, obgleich ausserhalb des Organismus ein Muskel noch in Bewegung ver-<lb/> setzt werden kann und Muskeln der Amputationsstümpfe sich weit zurückziehen oder<lb/> erschlaffen, je nach Umständen; und endlich, dass wenn ein Muskel unfähig zur Con-<lb/> traktion sei, in seinen zugehörigen Nerven kein Erregungszustand mehr bestehen<lb/> könne u. s. f. — b. Bei Verkrümmungen der Glieder in Folge von Muskelverkürzun-<lb/> gen findet sich häufig ein heftiger Schmerz an einem Theile des verkrümmten Gliedes,<lb/> ohne dass der diesen Theil versorgende sensible Nerv gedrückt ist (?). Nach<lb/> Durchschneidung der Sehne des verkürzten Muskels hebt sich der Schmerz. Nach<lb/> der eben gegebenen Auseinandersetzung bedarf diese Thatsache keiner weiteren<lb/> Beleuchtung — c. Man bringt ferner das Gefühl der Anstrengung, welches während<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [148/0162]
Reflexempfindung.
suchen. Hält man solchen vagen Thatsachen die Erscheinung gegenüber, dass jeder
gesunde Mensch in tausend unbeobachteten zum Entstehen der Reflexbewegungen
geschickten Augenblicken eine eindringende Erregung nur ganz örtlich fühlt, dass
also in den der Querleitung günstigen Zuständen des Rückenmarks die Mitempfindun-
gen dennoch nicht auftreten, so möchte man sehr geneigt sein, diese Lehre in der
bezeichneten Form ganz abzuweisen.
D. Uebertragung der Erregung von motorischen auf
sensible Röhren. Reflexempfindung. *) Mit dem Namen der
Reflexempfindung führte man endlich noch eine vierte Art Querleitung
in die Wissenschaft ein; nach dieser Hypothese sollen auch die moto-
rischen Rückenmarksröhren ihre Erregungszustände auf die sensiblen
Fasern übertragen; mit andern Worten bei der Reflexempfindung soll
die Mittheilung der Erregung zwischen den Röhrenelementen des
Rückenmarks auf demselben Wege aber in umgekehrter Richtung
möglich sein, auf dem sie bei der Reflexbewegung geschieht. Der
Beweis ihres Bestehens ist abgesehen von allen andern Folgen
schon des Mechanismus der Reflexbewegung wegen von ausseror-
dentlicher Wichtigkeit. Er ist in der That aber so wenig geführt, dass
selbst die Anhänger der Hypothese von Mitempfindung und Mitbewe-
gung sich gegen die Annahme einer Reflexempfindung aussprechen.
Die Thatsachen, aus welchen man die Reflexempfindung erschloss, sind. a. Nach
Durchschneidung der Sehne eines Jahre lang verkürzten Muskels entsteht das eigen-
thümliche Gefühl eingeschlafener Glieder, obwohl durch die Operation kein Nerv ver-
letzt wurde. Man interpretirt dieses Gefühl des Eingeschlafenseins dahin, dass der
Nerv des dauernd contrahirten Muskels seine Erregung im Rückenmark auf die sen-
siblen Nerven übertragen habe, im Moment der Durchschneidung der Sehne werde
nun zugleich der motorische Nerv aus dem Zustand der Erregung in den der Ab-
spannung versetzt und damit auch die Reflexerregung des sensiblen Nerven aufge-
hoben. Diese Erscheinung, welche nicht constant beobachtet wurde, erläutert sich
mindestens ebenso einfach dadurch, dass die Nerven eines Gliedes, das nach Durch-
schneidung der verkürzten Sehne in eine andere Lage gebracht wird, einer Zerrung
unterworfen oder aus einer bisher vorhandenen gezerrten Stellung wieder befreit
werden. Gesetzt aber, es sei auch diese Erklärung für die Erscheinung unbrauch-
bar, so müsste, ehe die obige gelten sollte, erst noch gezeigt werden, dass ein Mus-
kel, resp. ein Nerv sich Jahre lang im Zustand der Erregung befinden kann, ohne zu
ermüden; ferner dass die Durchschneidung seiner Sehne den Muskel unfähig zur Con-
traktion macht, obgleich ausserhalb des Organismus ein Muskel noch in Bewegung ver-
setzt werden kann und Muskeln der Amputationsstümpfe sich weit zurückziehen oder
erschlaffen, je nach Umständen; und endlich, dass wenn ein Muskel unfähig zur Con-
traktion sei, in seinen zugehörigen Nerven kein Erregungszustand mehr bestehen
könne u. s. f. — b. Bei Verkrümmungen der Glieder in Folge von Muskelverkürzun-
gen findet sich häufig ein heftiger Schmerz an einem Theile des verkrümmten Gliedes,
ohne dass der diesen Theil versorgende sensible Nerv gedrückt ist (?). Nach
Durchschneidung der Sehne des verkürzten Muskels hebt sich der Schmerz. Nach
der eben gegebenen Auseinandersetzung bedarf diese Thatsache keiner weiteren
Beleuchtung — c. Man bringt ferner das Gefühl der Anstrengung, welches während
*) Stromeyer de combinatione actionis nervorum et motoriorum et sensoriorum. Erl. 1839. —
Valentin, Lehrbuch der Physiologie. II. b. 492. — Volkmann, Nervenphysiologie Wag-
ners Handwört. II. B. 530. — Henle, rationelle Pathologie l. c.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |