Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Leitung der Erregung im Rückenmark.
neben der grauen Substanz noch ein grosser Rest der Seitenstränge unverletzt
übrig, die erwiesener Maassen motorische Fasern enthalten.-- Sensible Röhren werden
dagegen von der grauen Substanz und zunächst von den Hinterhörnern aufgenommen,
denn diese zeigen sich bei directer Erregung empfindlich; es scheinen aber auch die
sensiblen Fasern in die Vorderhörner einzudringen, weil nach Durchschneidung der
hintern Hälfte des Rückenmarks in den unterhalb liegenden Parthieen Empfindung be-
steht, so lange überhaupt eine Brücke von grauer Substanz zwischen dem untern und
obern Rückenmarkstück erhalten ist, die aber sogleich verschwindet, wenn man den
letzten Rest der Vorderhörner abgetrennt hat. -- Eine nicht zu vernachlässigende
Andeutung für den Gang weiterer Untersuchungen über die relative Lage der Ner-
venursprünge zur Rückenmarksfurche besteht darin, dass die vordern Wurzeln um
so weiter von derselben entfernt entspringen, je höher sie abtreten, so dass sie am
untern Ende unmittelbar aus der vordern Furche kommen, während die hintern
Wurzeln überall in annähernd gleicher Entfernung von der hintern Längsspalte
austreten.

3. Mittheilung der Erregungszustände in den Nerven-
röhren des Rückenmarks
*).

Die Erregung, welche innerhalb der Nervenröhren des Rücken-
marks besteht, kann sich auf verschiedene Art verbreiten; sie ist ver-
mögend sich entweder innerhalb der erregten Röhren zu isoliren, so
dass die Leitung des erregten Zustandes nur an den Berührungsstel-
len des Nervenmarkes vor sich geht, oder sie kann sich von einem
Rohr auf ein anderes verbreiten, so dass dann die Leitung durch die
Scheiden hindurch geschieht.

Auf die Gegenwart des ersten Falles, der sog. Längenleitung
schliessen wir, weil vom Willen aus ganz beschränkte Bewegungen
ausgeführt werden können, und weil ganz eng umgrenzte erregende
Einwirkungen auf empfindliche Flächen ebenso beschränkte Empfin-
dungen erzeugen. Beides wäre unmöglich, wenn die Erregung auf
dem Wege von oder nach dem Hirn nicht vollkommen isolirte Bahnen
fände.

Anderntheils kann aber auch eine von beschränkten Stellen in
das Rückenmark eintretende Erregung sich einem grossen Theil dessel-
ben mittheilen, ohne dass wir eine Kommunikation der Lumina der
ursprünglich und der secundär erregten Röhren nachweisen oder auch
nur wahrscheinlich machen können. Wir setzen also in diesem Fall
voraus, dass die Erregung einer Röhre die Veranlassung zur Erregung
der nebenliegenden gegeben habe. Querleitung. -- Diesen gegensei-
tig erregenden Einfluss üben entschieden die sensiblen auf motorische
Röhren; ein Gleiches vermuthet man zwischen motorischen und
motorischen, sensiblen und sensiblen, motorischen und sensiblen.

A. Mittheilung der Erregung von sensiblen Röhren auf motorische.
Reflectorische Erregung, Reflexbewegung. Die Bedingungen zum

*) Kürschner, Uebersetzung von Marshall Hall's Abhandlungen über das Nervensystem.
Marb. 1840. -- Volkmanns Artikel Nervenphysiologie. Wagners Handwörterb. II. 529. --
Henle, rationelle Pathologie I. Bd. 204.

Leitung der Erregung im Rückenmark.
neben der grauen Substanz noch ein grosser Rest der Seitenstränge unverletzt
übrig, die erwiesener Maassen motorische Fasern enthalten.— Sensible Röhren werden
dagegen von der grauen Substanz und zunächst von den Hinterhörnern aufgenommen,
denn diese zeigen sich bei directer Erregung empfindlich; es scheinen aber auch die
sensiblen Fasern in die Vorderhörner einzudringen, weil nach Durchschneidung der
hintern Hälfte des Rückenmarks in den unterhalb liegenden Parthieen Empfindung be-
steht, so lange überhaupt eine Brücke von grauer Substanz zwischen dem untern und
obern Rückenmarkstück erhalten ist, die aber sogleich verschwindet, wenn man den
letzten Rest der Vorderhörner abgetrennt hat. — Eine nicht zu vernachlässigende
Andeutung für den Gang weiterer Untersuchungen über die relative Lage der Ner-
venursprünge zur Rückenmarksfurche besteht darin, dass die vordern Wurzeln um
so weiter von derselben entfernt entspringen, je höher sie abtreten, so dass sie am
untern Ende unmittelbar aus der vordern Furche kommen, während die hintern
Wurzeln überall in annähernd gleicher Entfernung von der hintern Längsspalte
austreten.

3. Mittheilung der Erregungszustände in den Nerven-
röhren des Rückenmarks
*).

Die Erregung, welche innerhalb der Nervenröhren des Rücken-
marks besteht, kann sich auf verschiedene Art verbreiten; sie ist ver-
mögend sich entweder innerhalb der erregten Röhren zu isoliren, so
dass die Leitung des erregten Zustandes nur an den Berührungsstel-
len des Nervenmarkes vor sich geht, oder sie kann sich von einem
Rohr auf ein anderes verbreiten, so dass dann die Leitung durch die
Scheiden hindurch geschieht.

Auf die Gegenwart des ersten Falles, der sog. Längenleitung
schliessen wir, weil vom Willen aus ganz beschränkte Bewegungen
ausgeführt werden können, und weil ganz eng umgrenzte erregende
Einwirkungen auf empfindliche Flächen ebenso beschränkte Empfin-
dungen erzeugen. Beides wäre unmöglich, wenn die Erregung auf
dem Wege von oder nach dem Hirn nicht vollkommen isolirte Bahnen
fände.

Anderntheils kann aber auch eine von beschränkten Stellen in
das Rückenmark eintretende Erregung sich einem grossen Theil dessel-
ben mittheilen, ohne dass wir eine Kommunikation der Lumina der
ursprünglich und der secundär erregten Röhren nachweisen oder auch
nur wahrscheinlich machen können. Wir setzen also in diesem Fall
voraus, dass die Erregung einer Röhre die Veranlassung zur Erregung
der nebenliegenden gegeben habe. Querleitung. — Diesen gegensei-
tig erregenden Einfluss üben entschieden die sensiblen auf motorische
Röhren; ein Gleiches vermuthet man zwischen motorischen und
motorischen, sensiblen und sensiblen, motorischen und sensiblen.

A. Mittheilung der Erregung von sensiblen Röhren auf motorische.
Reflectorische Erregung, Reflexbewegung. Die Bedingungen zum

*) Kürschner, Uebersetzung von Marshall Hall’s Abhandlungen über das Nervensystem.
Marb. 1840. — Volkmanns Artikel Nervenphysiologie. Wagners Handwörterb. II. 529. —
Henle, rationelle Pathologie I. Bd. 204.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0153" n="139"/><fw place="top" type="header">Leitung der Erregung im Rückenmark.</fw><lb/>
neben der grauen Substanz noch ein grosser Rest der Seitenstränge unverletzt<lb/>
übrig, die erwiesener Maassen motorische Fasern enthalten.&#x2014; Sensible Röhren werden<lb/>
dagegen von der grauen Substanz und zunächst von den Hinterhörnern aufgenommen,<lb/>
denn diese zeigen sich bei directer Erregung empfindlich; es scheinen aber auch die<lb/>
sensiblen Fasern in die Vorderhörner einzudringen, weil nach Durchschneidung der<lb/>
hintern Hälfte des Rückenmarks in den unterhalb liegenden Parthieen Empfindung be-<lb/>
steht, so lange überhaupt eine Brücke von grauer Substanz zwischen dem untern und<lb/>
obern Rückenmarkstück erhalten ist, die aber sogleich verschwindet, wenn man den<lb/>
letzten Rest der Vorderhörner abgetrennt hat. &#x2014; Eine nicht zu vernachlässigende<lb/>
Andeutung für den Gang weiterer Untersuchungen über die relative Lage der Ner-<lb/>
venursprünge zur Rückenmarksfurche besteht darin, dass die vordern Wurzeln um<lb/>
so weiter von derselben entfernt entspringen, je höher sie abtreten, so dass sie am<lb/>
untern Ende unmittelbar aus der vordern Furche kommen, während die hintern<lb/>
Wurzeln überall in annähernd gleicher Entfernung von der hintern Längsspalte<lb/>
austreten.</p><lb/>
            <p>3. <hi rendition="#g">Mittheilung der Erregungszustände in den Nerven-<lb/>
röhren des Rückenmarks</hi> <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Kürschner</hi>, Uebersetzung von Marshall Hall&#x2019;s Abhandlungen über das Nervensystem.<lb/>
Marb. 1840. &#x2014; <hi rendition="#g">Volkmanns</hi> Artikel Nervenphysiologie. <hi rendition="#g">Wagners</hi> Handwörterb. II. 529. &#x2014;<lb/><hi rendition="#g">Henle</hi>, rationelle Pathologie I. Bd. 204.</note>.</p><lb/>
            <p>Die Erregung, welche innerhalb der Nervenröhren des Rücken-<lb/>
marks besteht, kann sich auf verschiedene Art verbreiten; sie ist ver-<lb/>
mögend sich entweder innerhalb der erregten Röhren zu isoliren, so<lb/>
dass die Leitung des erregten Zustandes nur an den Berührungsstel-<lb/>
len des Nervenmarkes vor sich geht, oder sie kann sich von einem<lb/>
Rohr auf ein anderes verbreiten, so dass dann die Leitung durch die<lb/>
Scheiden hindurch geschieht.</p><lb/>
            <p>Auf die Gegenwart des ersten Falles, der sog. Längenleitung<lb/>
schliessen wir, weil vom Willen aus ganz beschränkte Bewegungen<lb/>
ausgeführt werden können, und weil ganz eng umgrenzte erregende<lb/>
Einwirkungen auf empfindliche Flächen ebenso beschränkte Empfin-<lb/>
dungen erzeugen. Beides wäre unmöglich, wenn die Erregung auf<lb/>
dem Wege von oder nach dem Hirn nicht vollkommen isolirte Bahnen<lb/>
fände.</p><lb/>
            <p>Anderntheils kann aber auch eine von beschränkten Stellen in<lb/>
das Rückenmark eintretende Erregung sich einem grossen Theil dessel-<lb/>
ben mittheilen, ohne dass wir eine Kommunikation der Lumina der<lb/>
ursprünglich und der secundär erregten Röhren nachweisen oder auch<lb/>
nur wahrscheinlich machen können. Wir setzen also in diesem Fall<lb/>
voraus, dass die Erregung einer Röhre die Veranlassung zur Erregung<lb/>
der nebenliegenden gegeben habe. Querleitung. &#x2014; Diesen gegensei-<lb/>
tig erregenden Einfluss üben entschieden die sensiblen auf motorische<lb/>
Röhren; ein Gleiches vermuthet man zwischen motorischen und<lb/>
motorischen, sensiblen und sensiblen, motorischen und sensiblen.</p><lb/>
            <p>A. Mittheilung der Erregung von sensiblen Röhren auf motorische.<lb/>
Reflectorische Erregung, <hi rendition="#g">Reflexbewegung</hi>. Die Bedingungen zum<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[139/0153] Leitung der Erregung im Rückenmark. neben der grauen Substanz noch ein grosser Rest der Seitenstränge unverletzt übrig, die erwiesener Maassen motorische Fasern enthalten.— Sensible Röhren werden dagegen von der grauen Substanz und zunächst von den Hinterhörnern aufgenommen, denn diese zeigen sich bei directer Erregung empfindlich; es scheinen aber auch die sensiblen Fasern in die Vorderhörner einzudringen, weil nach Durchschneidung der hintern Hälfte des Rückenmarks in den unterhalb liegenden Parthieen Empfindung be- steht, so lange überhaupt eine Brücke von grauer Substanz zwischen dem untern und obern Rückenmarkstück erhalten ist, die aber sogleich verschwindet, wenn man den letzten Rest der Vorderhörner abgetrennt hat. — Eine nicht zu vernachlässigende Andeutung für den Gang weiterer Untersuchungen über die relative Lage der Ner- venursprünge zur Rückenmarksfurche besteht darin, dass die vordern Wurzeln um so weiter von derselben entfernt entspringen, je höher sie abtreten, so dass sie am untern Ende unmittelbar aus der vordern Furche kommen, während die hintern Wurzeln überall in annähernd gleicher Entfernung von der hintern Längsspalte austreten. 3. Mittheilung der Erregungszustände in den Nerven- röhren des Rückenmarks *). Die Erregung, welche innerhalb der Nervenröhren des Rücken- marks besteht, kann sich auf verschiedene Art verbreiten; sie ist ver- mögend sich entweder innerhalb der erregten Röhren zu isoliren, so dass die Leitung des erregten Zustandes nur an den Berührungsstel- len des Nervenmarkes vor sich geht, oder sie kann sich von einem Rohr auf ein anderes verbreiten, so dass dann die Leitung durch die Scheiden hindurch geschieht. Auf die Gegenwart des ersten Falles, der sog. Längenleitung schliessen wir, weil vom Willen aus ganz beschränkte Bewegungen ausgeführt werden können, und weil ganz eng umgrenzte erregende Einwirkungen auf empfindliche Flächen ebenso beschränkte Empfin- dungen erzeugen. Beides wäre unmöglich, wenn die Erregung auf dem Wege von oder nach dem Hirn nicht vollkommen isolirte Bahnen fände. Anderntheils kann aber auch eine von beschränkten Stellen in das Rückenmark eintretende Erregung sich einem grossen Theil dessel- ben mittheilen, ohne dass wir eine Kommunikation der Lumina der ursprünglich und der secundär erregten Röhren nachweisen oder auch nur wahrscheinlich machen können. Wir setzen also in diesem Fall voraus, dass die Erregung einer Röhre die Veranlassung zur Erregung der nebenliegenden gegeben habe. Querleitung. — Diesen gegensei- tig erregenden Einfluss üben entschieden die sensiblen auf motorische Röhren; ein Gleiches vermuthet man zwischen motorischen und motorischen, sensiblen und sensiblen, motorischen und sensiblen. A. Mittheilung der Erregung von sensiblen Röhren auf motorische. Reflectorische Erregung, Reflexbewegung. Die Bedingungen zum *) Kürschner, Uebersetzung von Marshall Hall’s Abhandlungen über das Nervensystem. Marb. 1840. — Volkmanns Artikel Nervenphysiologie. Wagners Handwörterb. II. 529. — Henle, rationelle Pathologie I. Bd. 204.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/153
Zitationshilfe: Ludwig, Carl: Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. 1. Heidelberg, 1852, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_physiologie01_1852/153>, abgerufen am 23.11.2024.