schon der Mutter Seele sein Bild vorher! Wird eine Zeit kommen, wo des alten Herrn Gedanke Wirk¬ lichkeit wird?
Die Natur der Schuld ist, daß sie nicht allein ihren Urheber in neue Schuld verstrickt. Sie hat eine Zau¬ bergewalt, alle, die um ihn stehn, in ihren gährenden Kreis zu ziehn und zu reifen in ihm, was schlimm ist, zu neuer Schuld. Wohl dem, der sich dieser Zauber¬ kraft im unbefleckten Innern erwehrt. Wird er den Schuldigen selbst nicht retten, so kann er den Uebrigen ein Engel sein. Diese vier Menschen, in all' ihrer Verschiedenheit in einen Lebensknoten geknüpft, den eine Schuld versehrt! Welch' Schicksal werden sie vereint sich spinnen, die Leute in dem Haus mit den grünen Laden?
Nun waren schon Wochen vergangen seit Apollo¬ nius Zurückkunft, und noch hatte er die Furcht der Schwägerin nicht wahr gemacht. In den ersten Tagen las Fritz Nettenmair ein krampfhaftes Zusammennehmen, ein verzweifeltes Gefaßtmachen in ihrem Wesen; nun machte dies einem Etwas Platz, das wie Verwunderung erschien. Er sah, und nur er, wie sie immer muthiger den Bruder zu beobachten begann, wo der nicht ahnte, ihr Blick sei auf ihn gerichtet. Sie schien sein Wesen,
ſchon der Mutter Seele ſein Bild vorher! Wird eine Zeit kommen, wo des alten Herrn Gedanke Wirk¬ lichkeit wird?
Die Natur der Schuld iſt, daß ſie nicht allein ihren Urheber in neue Schuld verſtrickt. Sie hat eine Zau¬ bergewalt, alle, die um ihn ſtehn, in ihren gährenden Kreis zu ziehn und zu reifen in ihm, was ſchlimm iſt, zu neuer Schuld. Wohl dem, der ſich dieſer Zauber¬ kraft im unbefleckten Innern erwehrt. Wird er den Schuldigen ſelbſt nicht retten, ſo kann er den Uebrigen ein Engel ſein. Dieſe vier Menſchen, in all' ihrer Verſchiedenheit in einen Lebensknoten geknüpft, den eine Schuld verſehrt! Welch' Schickſal werden ſie vereint ſich ſpinnen, die Leute in dem Haus mit den grünen Laden?
Nun waren ſchon Wochen vergangen ſeit Apollo¬ nius Zurückkunft, und noch hatte er die Furcht der Schwägerin nicht wahr gemacht. In den erſten Tagen las Fritz Nettenmair ein krampfhaftes Zuſammennehmen, ein verzweifeltes Gefaßtmachen in ihrem Weſen; nun machte dies einem Etwas Platz, das wie Verwunderung erſchien. Er ſah, und nur er, wie ſie immer muthiger den Bruder zu beobachten begann, wo der nicht ahnte, ihr Blick ſei auf ihn gerichtet. Sie ſchien ſein Weſen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0096"n="87"/>ſchon der Mutter Seele ſein Bild vorher! Wird eine<lb/>
Zeit kommen, wo des alten Herrn Gedanke Wirk¬<lb/>
lichkeit wird?</p><lb/><p>Die Natur der Schuld iſt, daß ſie nicht allein ihren<lb/>
Urheber in neue Schuld verſtrickt. Sie hat eine Zau¬<lb/>
bergewalt, alle, die um ihn ſtehn, in ihren gährenden<lb/>
Kreis zu ziehn und zu reifen in ihm, was ſchlimm iſt,<lb/>
zu neuer Schuld. Wohl dem, der ſich dieſer Zauber¬<lb/>
kraft im unbefleckten Innern erwehrt. Wird er den<lb/>
Schuldigen ſelbſt nicht retten, ſo kann er den Uebrigen<lb/>
ein Engel ſein. Dieſe vier Menſchen, in all' ihrer<lb/>
Verſchiedenheit in einen Lebensknoten geknüpft, den<lb/>
eine Schuld verſehrt! Welch' Schickſal werden ſie<lb/>
vereint ſich ſpinnen, die Leute in dem Haus mit den<lb/>
grünen Laden?</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Nun waren ſchon Wochen vergangen ſeit Apollo¬<lb/>
nius Zurückkunft, und noch hatte er die Furcht der<lb/>
Schwägerin nicht wahr gemacht. In den erſten Tagen<lb/>
las Fritz Nettenmair ein krampfhaftes Zuſammennehmen,<lb/>
ein verzweifeltes Gefaßtmachen in ihrem Weſen; nun<lb/>
machte dies einem Etwas Platz, das wie Verwunderung<lb/>
erſchien. Er ſah, und nur er, wie ſie immer muthiger<lb/>
den Bruder zu beobachten begann, wo der nicht ahnte,<lb/>
ihr Blick ſei auf ihn gerichtet. Sie ſchien ſein Weſen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[87/0096]
ſchon der Mutter Seele ſein Bild vorher! Wird eine
Zeit kommen, wo des alten Herrn Gedanke Wirk¬
lichkeit wird?
Die Natur der Schuld iſt, daß ſie nicht allein ihren
Urheber in neue Schuld verſtrickt. Sie hat eine Zau¬
bergewalt, alle, die um ihn ſtehn, in ihren gährenden
Kreis zu ziehn und zu reifen in ihm, was ſchlimm iſt,
zu neuer Schuld. Wohl dem, der ſich dieſer Zauber¬
kraft im unbefleckten Innern erwehrt. Wird er den
Schuldigen ſelbſt nicht retten, ſo kann er den Uebrigen
ein Engel ſein. Dieſe vier Menſchen, in all' ihrer
Verſchiedenheit in einen Lebensknoten geknüpft, den
eine Schuld verſehrt! Welch' Schickſal werden ſie
vereint ſich ſpinnen, die Leute in dem Haus mit den
grünen Laden?
Nun waren ſchon Wochen vergangen ſeit Apollo¬
nius Zurückkunft, und noch hatte er die Furcht der
Schwägerin nicht wahr gemacht. In den erſten Tagen
las Fritz Nettenmair ein krampfhaftes Zuſammennehmen,
ein verzweifeltes Gefaßtmachen in ihrem Weſen; nun
machte dies einem Etwas Platz, das wie Verwunderung
erſchien. Er ſah, und nur er, wie ſie immer muthiger
den Bruder zu beobachten begann, wo der nicht ahnte,
ihr Blick ſei auf ihn gerichtet. Sie ſchien ſein Weſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/96>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.