Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

pagner. Die Schwägerin kam aus dem Hause, das
liebliche, offene Gesicht voll Zutraulichkeit und Aufrich¬
tigkeit von sonst; die Blume, die sie vor Apollonius
hinlegen wollte, fiel aus ihrer Hand, als sie den Bru¬
der erblickte und der ihm neue, fremde Zug von Leer¬
heit, gedankenloser, eitler Vergnügungssucht, von grol¬
lender Bitterkeit gegen Appollonius legte sich über sie
wie ein schmutziges Spinnengewebe. Er wollte arbei¬
tend sich vergessen, aber der Bruder rüttelte an dem
Fahrstuhl, daß er fast hinunterstürzte aus der Schwin¬
delhöhe auf's Pflaster und sagte: ein Besuch für vier¬
zehn Tage dürfe nicht arbeiten. Er wolle ja ohnehin
wieder heim. Und sonderbar war's, daß ihm jetzt Köln
als seine Heimath erschien und seine Vaterstadt so
fremd, daß er sich die bittersten Vorwürfe machte in
seiner Gewissenhaftigkeit. Dann fand er sich wieder
auf dem Fahrstuhl hoch am Thurmdach. Da war Alles
anders, als es sein sollte, die Schiefer in verkehrter
Richtung gedeckt, und nun stack er in die Ausfahrthür
eingeklemmt, ringsum in staubige Spinnengewebe ein¬
gewickelt; er hatte seine Festtagskleider an; sie waren
voll Schmutz; er wischte und bürstete, daß er schwitzte,
und sie wurden nicht rein. Und so oft er von der
vergeblichen Bemühung aufwachte, wiederholt' er sich
laut den Entschluß, den er vor dem Niederlegen gefaßt.
Am nächsten Morgen mußte er wissen, was er hier
sollte, mußte sein Verhältniß zum Vaterhause ein klares

pagner. Die Schwägerin kam aus dem Hauſe, das
liebliche, offene Geſicht voll Zutraulichkeit und Aufrich¬
tigkeit von ſonſt; die Blume, die ſie vor Apollonius
hinlegen wollte, fiel aus ihrer Hand, als ſie den Bru¬
der erblickte und der ihm neue, fremde Zug von Leer¬
heit, gedankenloſer, eitler Vergnügungsſucht, von grol¬
lender Bitterkeit gegen Appollonius legte ſich über ſie
wie ein ſchmutziges Spinnengewebe. Er wollte arbei¬
tend ſich vergeſſen, aber der Bruder rüttelte an dem
Fahrſtuhl, daß er faſt hinunterſtürzte aus der Schwin¬
delhöhe auf's Pflaſter und ſagte: ein Beſuch für vier¬
zehn Tage dürfe nicht arbeiten. Er wolle ja ohnehin
wieder heim. Und ſonderbar war's, daß ihm jetzt Köln
als ſeine Heimath erſchien und ſeine Vaterſtadt ſo
fremd, daß er ſich die bitterſten Vorwürfe machte in
ſeiner Gewiſſenhaftigkeit. Dann fand er ſich wieder
auf dem Fahrſtuhl hoch am Thurmdach. Da war Alles
anders, als es ſein ſollte, die Schiefer in verkehrter
Richtung gedeckt, und nun ſtack er in die Ausfahrthür
eingeklemmt, ringsum in ſtaubige Spinnengewebe ein¬
gewickelt; er hatte ſeine Feſttagskleider an; ſie waren
voll Schmutz; er wiſchte und bürſtete, daß er ſchwitzte,
und ſie wurden nicht rein. Und ſo oft er von der
vergeblichen Bemühung aufwachte, wiederholt' er ſich
laut den Entſchluß, den er vor dem Niederlegen gefaßt.
Am nächſten Morgen mußte er wiſſen, was er hier
ſollte, mußte ſein Verhältniß zum Vaterhauſe ein klares

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0067" n="58"/>
pagner. Die Schwägerin kam aus dem Hau&#x017F;e, das<lb/>
liebliche, offene Ge&#x017F;icht voll Zutraulichkeit und Aufrich¬<lb/>
tigkeit von &#x017F;on&#x017F;t; die Blume, die &#x017F;ie vor Apollonius<lb/>
hinlegen wollte, fiel aus ihrer Hand, als &#x017F;ie den Bru¬<lb/>
der erblickte und der ihm neue, fremde Zug von Leer¬<lb/>
heit, gedankenlo&#x017F;er, eitler Vergnügungs&#x017F;ucht, von grol¬<lb/>
lender Bitterkeit gegen Appollonius legte &#x017F;ich über &#x017F;ie<lb/>
wie ein &#x017F;chmutziges Spinnengewebe. Er wollte arbei¬<lb/>
tend &#x017F;ich verge&#x017F;&#x017F;en, aber der Bruder rüttelte an dem<lb/>
Fahr&#x017F;tuhl, daß er fa&#x017F;t hinunter&#x017F;türzte aus der Schwin¬<lb/>
delhöhe auf's Pfla&#x017F;ter und &#x017F;agte: ein Be&#x017F;uch für vier¬<lb/>
zehn Tage dürfe nicht arbeiten. Er wolle ja ohnehin<lb/>
wieder heim. Und &#x017F;onderbar war's, daß ihm jetzt Köln<lb/>
als &#x017F;eine Heimath er&#x017F;chien und &#x017F;eine Vater&#x017F;tadt &#x017F;o<lb/>
fremd, daß er &#x017F;ich die bitter&#x017F;ten Vorwürfe machte in<lb/>
&#x017F;einer Gewi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit. Dann fand er &#x017F;ich wieder<lb/>
auf dem Fahr&#x017F;tuhl hoch am Thurmdach. Da war Alles<lb/>
anders, als es &#x017F;ein &#x017F;ollte, die Schiefer in verkehrter<lb/>
Richtung gedeckt, und nun &#x017F;tack er in die Ausfahrthür<lb/>
eingeklemmt, ringsum in &#x017F;taubige Spinnengewebe ein¬<lb/>
gewickelt; er hatte &#x017F;eine Fe&#x017F;ttagskleider an; &#x017F;ie waren<lb/>
voll Schmutz; er wi&#x017F;chte und bür&#x017F;tete, daß er &#x017F;chwitzte,<lb/>
und &#x017F;ie wurden nicht rein. Und &#x017F;o oft er von der<lb/>
vergeblichen Bemühung aufwachte, wiederholt' er &#x017F;ich<lb/>
laut den Ent&#x017F;chluß, den er vor dem Niederlegen gefaßt.<lb/>
Am näch&#x017F;ten Morgen mußte er wi&#x017F;&#x017F;en, was er hier<lb/>
&#x017F;ollte, mußte &#x017F;ein Verhältniß zum Vaterhau&#x017F;e ein klares<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[58/0067] pagner. Die Schwägerin kam aus dem Hauſe, das liebliche, offene Geſicht voll Zutraulichkeit und Aufrich¬ tigkeit von ſonſt; die Blume, die ſie vor Apollonius hinlegen wollte, fiel aus ihrer Hand, als ſie den Bru¬ der erblickte und der ihm neue, fremde Zug von Leer¬ heit, gedankenloſer, eitler Vergnügungsſucht, von grol¬ lender Bitterkeit gegen Appollonius legte ſich über ſie wie ein ſchmutziges Spinnengewebe. Er wollte arbei¬ tend ſich vergeſſen, aber der Bruder rüttelte an dem Fahrſtuhl, daß er faſt hinunterſtürzte aus der Schwin¬ delhöhe auf's Pflaſter und ſagte: ein Beſuch für vier¬ zehn Tage dürfe nicht arbeiten. Er wolle ja ohnehin wieder heim. Und ſonderbar war's, daß ihm jetzt Köln als ſeine Heimath erſchien und ſeine Vaterſtadt ſo fremd, daß er ſich die bitterſten Vorwürfe machte in ſeiner Gewiſſenhaftigkeit. Dann fand er ſich wieder auf dem Fahrſtuhl hoch am Thurmdach. Da war Alles anders, als es ſein ſollte, die Schiefer in verkehrter Richtung gedeckt, und nun ſtack er in die Ausfahrthür eingeklemmt, ringsum in ſtaubige Spinnengewebe ein¬ gewickelt; er hatte ſeine Feſttagskleider an; ſie waren voll Schmutz; er wiſchte und bürſtete, daß er ſchwitzte, und ſie wurden nicht rein. Und ſo oft er von der vergeblichen Bemühung aufwachte, wiederholt' er ſich laut den Entſchluß, den er vor dem Niederlegen gefaßt. Am nächſten Morgen mußte er wiſſen, was er hier ſollte, mußte ſein Verhältniß zum Vaterhauſe ein klares

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/67
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/67>, abgerufen am 19.05.2024.