Der alte Herr gerieth in Zorn, als Apollonius ihm seinen Entschluß, nicht zu heirathen, mittheilte. Er ließ dem Sohne die Wahl, die Ehre der Familie zu bedenken, oder nach Köln zurückzugehn. Apollonius' Herzen wurde es schwerer, als seinem Verstande, den Vater zu überzeugen, daß nur er die Familienehre aufrecht zu halten vermöge, daß er bleiben müsse. Er wußte, nur seinem Entschlusse treu, blieb er der Mann, sein Wort zu halten. Das konnte er dem Vater nicht sagen. Erfuhr dieser das wahre Verhältniß der beiden jungen Leute, so drang er nur noch stärker auf die Heirath. Dann hätte er ihm auch sagen müssen, wie der Bruder den Tod gefunden. Er hätte ihn nur tiefer beunruhigen müssen. Daß der Vater im Herzen überzeugt war, der Bruder hatte durch Selbstmord ge¬ endigt, wußte er nicht. Die beiden so nah verwandten Menschen verstanden sich nicht. Apollonius setzte die inner¬ liche Natur seines eigenen Ehrgefühles bei dem Vater voraus, und der Alte sah in der Weigerung des Sohnes und dessen Beweis, er nur könne der schwie¬ rigen Lage des Hauses gerecht werden, den alten Trotz auf seine Unentbehrlichkeit, der es nun nicht einmal mehr der Mühe werth hielt, zu verbergen: der Vater war in seinen Augen nichts mehr, als ein hülfloser alter blinder Mann. Und was diese Mißverständnisse verursachte und begünstigte, das Zurückhalten, war eben der Familienzug, den sie beide gemein hatten.
Der alte Herr gerieth in Zorn, als Apollonius ihm ſeinen Entſchluß, nicht zu heirathen, mittheilte. Er ließ dem Sohne die Wahl, die Ehre der Familie zu bedenken, oder nach Köln zurückzugehn. Apollonius' Herzen wurde es ſchwerer, als ſeinem Verſtande, den Vater zu überzeugen, daß nur er die Familienehre aufrecht zu halten vermöge, daß er bleiben müſſe. Er wußte, nur ſeinem Entſchluſſe treu, blieb er der Mann, ſein Wort zu halten. Das konnte er dem Vater nicht ſagen. Erfuhr dieſer das wahre Verhältniß der beiden jungen Leute, ſo drang er nur noch ſtärker auf die Heirath. Dann hätte er ihm auch ſagen müſſen, wie der Bruder den Tod gefunden. Er hätte ihn nur tiefer beunruhigen müſſen. Daß der Vater im Herzen überzeugt war, der Bruder hatte durch Selbſtmord ge¬ endigt, wußte er nicht. Die beiden ſo nah verwandten Menſchen verſtanden ſich nicht. Apollonius ſetzte die inner¬ liche Natur ſeines eigenen Ehrgefühles bei dem Vater voraus, und der Alte ſah in der Weigerung des Sohnes und deſſen Beweis, er nur könne der ſchwie¬ rigen Lage des Hauſes gerecht werden, den alten Trotz auf ſeine Unentbehrlichkeit, der es nun nicht einmal mehr der Mühe werth hielt, zu verbergen: der Vater war in ſeinen Augen nichts mehr, als ein hülfloſer alter blinder Mann. Und was dieſe Mißverſtändniſſe verurſachte und begünſtigte, das Zurückhalten, war eben der Familienzug, den ſie beide gemein hatten.
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Der alte Herr gerieth in Zorn, als Apollonius
ihm ſeinen Entſchluß, nicht zu heirathen, mittheilte. Er
ließ dem Sohne die Wahl, die Ehre der Familie zu
bedenken, oder nach Köln zurückzugehn. Apollonius'
Herzen wurde es ſchwerer, als ſeinem Verſtande, den
Vater zu überzeugen, daß nur er die Familienehre
aufrecht zu halten vermöge, daß er bleiben müſſe. Er
wußte, nur ſeinem Entſchluſſe treu, blieb er der Mann,
ſein Wort zu halten. Das konnte er dem Vater nicht
ſagen. Erfuhr dieſer das wahre Verhältniß der beiden
jungen Leute, ſo drang er nur noch ſtärker auf die
Heirath. Dann hätte er ihm auch ſagen müſſen, wie
der Bruder den Tod gefunden. Er hätte ihn nur
tiefer beunruhigen müſſen. Daß der Vater im Herzen
überzeugt war, der Bruder hatte durch Selbſtmord ge¬
endigt, wußte er nicht. Die beiden ſo nah verwandten
Menſchen verſtanden ſich nicht. Apollonius ſetzte die inner¬
liche Natur ſeines eigenen Ehrgefühles bei dem Vater
voraus, und der Alte ſah in der Weigerung des
Sohnes und deſſen Beweis, er nur könne der ſchwie¬
rigen Lage des Hauſes gerecht werden, den alten Trotz
auf ſeine Unentbehrlichkeit, der es nun nicht einmal
mehr der Mühe werth hielt, zu verbergen: der Vater
war in ſeinen Augen nichts mehr, als ein hülfloſer
alter blinder Mann. Und was dieſe Mißverſtändniſſe
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 313. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/322>, abgerufen am 24.11.2024.
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