Stadtkasse den Beginn und die Vollendung des Baues ermöglicht hatte.
War Herr Nettenmair aus der Kirche zurück, dann verbrachte er den Rest des Sonntags auf seinem Stüb¬ chen -- denn da wohnt er noch immer -- oder er machte einen Gang nach der nahen Schiefergrube, die jetzt ihm gehört, oder vielmehr seinen Neffen. Die Erfüllung des Wortes, das er sich gegeben, war der Gedanke seines Lebens geblieben. Was er schaffte, schaffte er für die Angehörigen seines Bruders; er sah sich nur als ihren Verwalter an. Begegnete ihm auf seinem Wege ein zierliches kleines Mädchen, so dachte er an das todte Aennchen. Sein Gedächtniß war so gewissenhaft, als er selbst. Dann rief er das Kind zu sich, streichelte ihm das Köpfchen, und es mußte wun¬ derlich zugegangen sein, fand sich in den Taschen des blauen Rockes nicht irgend etwas sorglich in reines Papier Gewickeltes, das er herausnehmen konnte, sich von dem kleinen Munde einen Dank zu verdienen. Aber das Kind konnte sich erst freuen, wenn er vor¬ übergegangen war. Bei aller Freundlichkeit hatte die große Gestalt etwas so Ernstes und Feierliches, daß das Kind vor Respekt nicht zur Freude kommen konnte. Die Woche über saß Herr Nettenmair über seinen Bü¬ chern und Briefen, oder beaufsichtigte im Schuppen das Ab- und Aufladen, das Behauen und Sortiren der Schiefer. Punkt zwölf aß er Mittags, punkt
Stadtkaſſe den Beginn und die Vollendung des Baues ermöglicht hatte.
War Herr Nettenmair aus der Kirche zurück, dann verbrachte er den Reſt des Sonntags auf ſeinem Stüb¬ chen — denn da wohnt er noch immer — oder er machte einen Gang nach der nahen Schiefergrube, die jetzt ihm gehört, oder vielmehr ſeinen Neffen. Die Erfüllung des Wortes, das er ſich gegeben, war der Gedanke ſeines Lebens geblieben. Was er ſchaffte, ſchaffte er für die Angehörigen ſeines Bruders; er ſah ſich nur als ihren Verwalter an. Begegnete ihm auf ſeinem Wege ein zierliches kleines Mädchen, ſo dachte er an das todte Aennchen. Sein Gedächtniß war ſo gewiſſenhaft, als er ſelbſt. Dann rief er das Kind zu ſich, ſtreichelte ihm das Köpfchen, und es mußte wun¬ derlich zugegangen ſein, fand ſich in den Taſchen des blauen Rockes nicht irgend etwas ſorglich in reines Papier Gewickeltes, das er herausnehmen konnte, ſich von dem kleinen Munde einen Dank zu verdienen. Aber das Kind konnte ſich erſt freuen, wenn er vor¬ übergegangen war. Bei aller Freundlichkeit hatte die große Geſtalt etwas ſo Ernſtes und Feierliches, daß das Kind vor Reſpekt nicht zur Freude kommen konnte. Die Woche über ſaß Herr Nettenmair über ſeinen Bü¬ chern und Briefen, oder beaufſichtigte im Schuppen das Ab- und Aufladen, das Behauen und Sortiren der Schiefer. Punkt zwölf aß er Mittags, punkt
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Stadtkaſſe den Beginn und die Vollendung des Baues
ermöglicht hatte.
War Herr Nettenmair aus der Kirche zurück, dann
verbrachte er den Reſt des Sonntags auf ſeinem Stüb¬
chen — denn da wohnt er noch immer — oder er
machte einen Gang nach der nahen Schiefergrube, die
jetzt ihm gehört, oder vielmehr ſeinen Neffen. Die
Erfüllung des Wortes, das er ſich gegeben, war der
Gedanke ſeines Lebens geblieben. Was er ſchaffte,
ſchaffte er für die Angehörigen ſeines Bruders; er ſah
ſich nur als ihren Verwalter an. Begegnete ihm auf
ſeinem Wege ein zierliches kleines Mädchen, ſo dachte
er an das todte Aennchen. Sein Gedächtniß war ſo
gewiſſenhaft, als er ſelbſt. Dann rief er das Kind zu
ſich, ſtreichelte ihm das Köpfchen, und es mußte wun¬
derlich zugegangen ſein, fand ſich in den Taſchen des
blauen Rockes nicht irgend etwas ſorglich in reines
Papier Gewickeltes, das er herausnehmen konnte, ſich
von dem kleinen Munde einen Dank zu verdienen.
Aber das Kind konnte ſich erſt freuen, wenn er vor¬
übergegangen war. Bei aller Freundlichkeit hatte die
große Geſtalt etwas ſo Ernſtes und Feierliches, daß
das Kind vor Reſpekt nicht zur Freude kommen konnte.
Die Woche über ſaß Herr Nettenmair über ſeinen Bü¬
chern und Briefen, oder beaufſichtigte im Schuppen
das Ab- und Aufladen, das Behauen und Sortiren
der Schiefer. Punkt zwölf aß er Mittags, punkt
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/320>, abgerufen am 24.11.2024.
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