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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

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angesehene Frauen umfaßten und küßten ihn. Seine
Hände wurden so gedrückt und geschüttelt, daß er sie
drei Tage lang nicht mehr fühlte. Er verlor seine
natürlich edle Haltung nicht; die verlegene Bescheiden¬
heit dem begeisterten Danke, das Erröthen dem bewun¬
dernden Lobe gegenüber, stand ihm so schön an, als
sein muthig entschlossenes Wesen in der Gefahr. Wer
ihn nicht schon kannte, verwunderte sich; man hatte
ihn sich anders gedacht, braun, keckäugig, verwegen,
übersprudelnd von Kraftgefühl, wohl sogar wild. Aber
man gestand sich, sein Ansehn widersprach dennoch
nicht seiner That. Das mädchenhafte Erröthen einer
so hohen männlichen Gestalt hatte seinen eigenen Reiz,
und die verlegene Bescheidenheit des ehrlichen Gesichts,
die nicht zu wissen schien, was er gethan, gewann;
die milde Besonnenheit und einfache Ruhe stellte die
That nur in ein schöneres Licht; man sah, Eitelkeit
und Ehrbegierde hatten keinen Theil daran gehabt.


Wir überspringen im Geiste drei Jahrzehnte, und
kehren zu dem Manne zurück, mit dem wir uns im
Anfange unserer Erzählung beschäftigten. Wir ließen
ihn in der Laube seines Gärtchens. Die Glockentöne
von Sankt Georg riefen die Bewohner der Stadt zum

angeſehene Frauen umfaßten und küßten ihn. Seine
Hände wurden ſo gedrückt und geſchüttelt, daß er ſie
drei Tage lang nicht mehr fühlte. Er verlor ſeine
natürlich edle Haltung nicht; die verlegene Beſcheiden¬
heit dem begeiſterten Danke, das Erröthen dem bewun¬
dernden Lobe gegenüber, ſtand ihm ſo ſchön an, als
ſein muthig entſchloſſenes Weſen in der Gefahr. Wer
ihn nicht ſchon kannte, verwunderte ſich; man hatte
ihn ſich anders gedacht, braun, keckäugig, verwegen,
überſprudelnd von Kraftgefühl, wohl ſogar wild. Aber
man geſtand ſich, ſein Anſehn widerſprach dennoch
nicht ſeiner That. Das mädchenhafte Erröthen einer
ſo hohen männlichen Geſtalt hatte ſeinen eigenen Reiz,
und die verlegene Beſcheidenheit des ehrlichen Geſichts,
die nicht zu wiſſen ſchien, was er gethan, gewann;
die milde Beſonnenheit und einfache Ruhe ſtellte die
That nur in ein ſchöneres Licht; man ſah, Eitelkeit
und Ehrbegierde hatten keinen Theil daran gehabt.


Wir überſpringen im Geiſte drei Jahrzehnte, und
kehren zu dem Manne zurück, mit dem wir uns im
Anfange unſerer Erzählung beſchäftigten. Wir ließen
ihn in der Laube ſeines Gärtchens. Die Glockentöne
von Sankt Georg riefen die Bewohner der Stadt zum

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[309/0318] angeſehene Frauen umfaßten und küßten ihn. Seine Hände wurden ſo gedrückt und geſchüttelt, daß er ſie drei Tage lang nicht mehr fühlte. Er verlor ſeine natürlich edle Haltung nicht; die verlegene Beſcheiden¬ heit dem begeiſterten Danke, das Erröthen dem bewun¬ dernden Lobe gegenüber, ſtand ihm ſo ſchön an, als ſein muthig entſchloſſenes Weſen in der Gefahr. Wer ihn nicht ſchon kannte, verwunderte ſich; man hatte ihn ſich anders gedacht, braun, keckäugig, verwegen, überſprudelnd von Kraftgefühl, wohl ſogar wild. Aber man geſtand ſich, ſein Anſehn widerſprach dennoch nicht ſeiner That. Das mädchenhafte Erröthen einer ſo hohen männlichen Geſtalt hatte ſeinen eigenen Reiz, und die verlegene Beſcheidenheit des ehrlichen Geſichts, die nicht zu wiſſen ſchien, was er gethan, gewann; die milde Beſonnenheit und einfache Ruhe ſtellte die That nur in ein ſchöneres Licht; man ſah, Eitelkeit und Ehrbegierde hatten keinen Theil daran gehabt. Wir überſpringen im Geiſte drei Jahrzehnte, und kehren zu dem Manne zurück, mit dem wir uns im Anfange unſerer Erzählung beſchäftigten. Wir ließen ihn in der Laube ſeines Gärtchens. Die Glockentöne von Sankt Georg riefen die Bewohner der Stadt zum

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Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/318>, abgerufen am 24.11.2024.