Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

meister konnte nichts sagen, als daß Nettenmair mehr
gethan habe, als ein Mensch im gewöhnlichen Lauf
der Dinge zu thun im Stande sei. Bei solchen Ge¬
legenheiten, wie die Rettung heute, sei der Mensch ein
anderer; hintennach erstaun' er selber über die Kräfte,
die er gehabt. Aber es bezahle sich Alles. Ihn --
den Zimmermeister -- solle es nicht wundern, schliefe
Nettenmair nach der gehabten Anstrengung drei Tage
und drei Nächte "in Einem Ritt" hintereinander fort.
Die Leute schienen bereit, so lang auf den Treppen zu
warten, um den Braven nur gleich nach seinem Er¬
wachen zu seh'n. Unterdeß hatte ein angesehener Mann
auf dem nahen Marktplatze eine Geldsammlung begon¬
nen. Geld lohne freilich solch ein Thun nicht, als der
Brave heut bewiesen; aber man könne ihm wenigstens
zeigen, man wisse, was man ihm zu danken habe. In
der Stimmung des Augenblicks, die in jedem Einzel¬
nen wiederklang, liefen sogar anerkannte Geizhälse
hastig heim, ihren Beitrag zu holen, unbekümmert
darum, daß sie es eine Stunde später reuen würde.
Wenige von den Wohlhabenderen schlossen sich aus;
die Aermeren steuerten alle bei. Der Sammler erstaunte
selbst über den reichen Erfolg seiner Bemühungen.

Wohl eine halbe Stunde hatte Apollonius gelegen.
Eh' er sich gelegt, hatte er noch gesorgt, daß die
Laternen vorsichtig ausgelöscht wurden. Er hatte die
Ausfahrthüre geschlossen und die Spritze leeren, die

20 *

meiſter konnte nichts ſagen, als daß Nettenmair mehr
gethan habe, als ein Menſch im gewöhnlichen Lauf
der Dinge zu thun im Stande ſei. Bei ſolchen Ge¬
legenheiten, wie die Rettung heute, ſei der Menſch ein
anderer; hintennach erſtaun' er ſelber über die Kräfte,
die er gehabt. Aber es bezahle ſich Alles. Ihn —
den Zimmermeiſter — ſolle es nicht wundern, ſchliefe
Nettenmair nach der gehabten Anſtrengung drei Tage
und drei Nächte „in Einem Ritt“ hintereinander fort.
Die Leute ſchienen bereit, ſo lang auf den Treppen zu
warten, um den Braven nur gleich nach ſeinem Er¬
wachen zu ſeh'n. Unterdeß hatte ein angeſehener Mann
auf dem nahen Marktplatze eine Geldſammlung begon¬
nen. Geld lohne freilich ſolch ein Thun nicht, als der
Brave heut bewieſen; aber man könne ihm wenigſtens
zeigen, man wiſſe, was man ihm zu danken habe. In
der Stimmung des Augenblicks, die in jedem Einzel¬
nen wiederklang, liefen ſogar anerkannte Geizhälſe
haſtig heim, ihren Beitrag zu holen, unbekümmert
darum, daß ſie es eine Stunde ſpäter reuen würde.
Wenige von den Wohlhabenderen ſchloſſen ſich aus;
die Aermeren ſteuerten alle bei. Der Sammler erſtaunte
ſelbſt über den reichen Erfolg ſeiner Bemühungen.

Wohl eine halbe Stunde hatte Apollonius gelegen.
Eh' er ſich gelegt, hatte er noch geſorgt, daß die
Laternen vorſichtig ausgelöſcht wurden. Er hatte die
Ausfahrthüre geſchloſſen und die Spritze leeren, die

20 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0316" n="307"/>
mei&#x017F;ter konnte nichts &#x017F;agen, als daß Nettenmair mehr<lb/>
gethan habe, als ein Men&#x017F;ch im gewöhnlichen Lauf<lb/>
der Dinge zu thun im Stande &#x017F;ei. Bei &#x017F;olchen Ge¬<lb/>
legenheiten, wie die Rettung heute, &#x017F;ei der Men&#x017F;ch ein<lb/>
anderer; hintennach er&#x017F;taun' er &#x017F;elber über die Kräfte,<lb/>
die er gehabt. Aber es bezahle &#x017F;ich Alles. Ihn &#x2014;<lb/>
den Zimmermei&#x017F;ter &#x2014; &#x017F;olle es nicht wundern, &#x017F;chliefe<lb/>
Nettenmair nach der gehabten An&#x017F;trengung drei Tage<lb/>
und drei Nächte &#x201E;in Einem Ritt&#x201C; hintereinander fort.<lb/>
Die Leute &#x017F;chienen bereit, &#x017F;o lang auf den Treppen zu<lb/>
warten, um den Braven nur gleich nach &#x017F;einem Er¬<lb/>
wachen zu &#x017F;eh'n. Unterdeß hatte ein ange&#x017F;ehener Mann<lb/>
auf dem nahen Marktplatze eine Geld&#x017F;ammlung begon¬<lb/>
nen. Geld lohne freilich &#x017F;olch ein Thun nicht, als der<lb/>
Brave heut bewie&#x017F;en; aber man könne ihm wenig&#x017F;tens<lb/>
zeigen, man wi&#x017F;&#x017F;e, was man ihm zu danken habe. In<lb/>
der Stimmung des Augenblicks, die in jedem Einzel¬<lb/>
nen wiederklang, liefen &#x017F;ogar anerkannte Geizhäl&#x017F;e<lb/>
ha&#x017F;tig heim, ihren Beitrag zu holen, unbekümmert<lb/>
darum, daß &#x017F;ie es eine Stunde &#x017F;päter reuen würde.<lb/>
Wenige von den Wohlhabenderen &#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich aus;<lb/>
die Aermeren &#x017F;teuerten alle bei. Der Sammler er&#x017F;taunte<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t über den reichen Erfolg &#x017F;einer Bemühungen.</p><lb/>
        <p>Wohl eine halbe Stunde hatte Apollonius gelegen.<lb/>
Eh' er &#x017F;ich gelegt, hatte er noch ge&#x017F;orgt, daß die<lb/>
Laternen vor&#x017F;ichtig ausgelö&#x017F;cht wurden. Er hatte die<lb/>
Ausfahrthüre ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und die Spritze leeren, die<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0316] meiſter konnte nichts ſagen, als daß Nettenmair mehr gethan habe, als ein Menſch im gewöhnlichen Lauf der Dinge zu thun im Stande ſei. Bei ſolchen Ge¬ legenheiten, wie die Rettung heute, ſei der Menſch ein anderer; hintennach erſtaun' er ſelber über die Kräfte, die er gehabt. Aber es bezahle ſich Alles. Ihn — den Zimmermeiſter — ſolle es nicht wundern, ſchliefe Nettenmair nach der gehabten Anſtrengung drei Tage und drei Nächte „in Einem Ritt“ hintereinander fort. Die Leute ſchienen bereit, ſo lang auf den Treppen zu warten, um den Braven nur gleich nach ſeinem Er¬ wachen zu ſeh'n. Unterdeß hatte ein angeſehener Mann auf dem nahen Marktplatze eine Geldſammlung begon¬ nen. Geld lohne freilich ſolch ein Thun nicht, als der Brave heut bewieſen; aber man könne ihm wenigſtens zeigen, man wiſſe, was man ihm zu danken habe. In der Stimmung des Augenblicks, die in jedem Einzel¬ nen wiederklang, liefen ſogar anerkannte Geizhälſe haſtig heim, ihren Beitrag zu holen, unbekümmert darum, daß ſie es eine Stunde ſpäter reuen würde. Wenige von den Wohlhabenderen ſchloſſen ſich aus; die Aermeren ſteuerten alle bei. Der Sammler erſtaunte ſelbſt über den reichen Erfolg ſeiner Bemühungen. Wohl eine halbe Stunde hatte Apollonius gelegen. Eh' er ſich gelegt, hatte er noch geſorgt, daß die Laternen vorſichtig ausgelöſcht wurden. Er hatte die Ausfahrthüre geſchloſſen und die Spritze leeren, die 20 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/316
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/316>, abgerufen am 28.11.2024.