der leichte Span in Sturm und Blitz und Donner hoch zwischen Himmel und Erde. Und sie standen doch auch wieder unten auf der festen Erde und sahen nur hinauf; und doch! wenn der Mann stürzte, dann waren sie's, die stürzten. Die Menschen unten auf der festen Erde hielten sich krampfhaft an ihren eigenen Händen, an ihren Stöcken, ihren Kleidern an, um nicht herabzustürzen von der entsetzlichen Höhe. So standen sie sicher und hingen doch zugleich über dem Abgrunde des Todes, jahrelang, ein Leben lang, denn die Vergangenheit war nicht gewesen; und doch war's nur ein Augenblick, seit sie oben hingen. Sie ver¬ gaßen die Gefahr der Stadt, ihre eigene über der Ge¬ fahr des Menschen da oben, die ja doch ihre eigene war. Sie sahen, der Brand war getilgt, die Gefahr der Stadt vorüber; sie wußten es wie in einem Traume, wo man weiß, man träumt; es war ein bloser Gedanke ohne lebendigen Inhalt. Erst, als der Mann die Leiter herabgeklommen, in der Ausfahrthür verschwunden war, und die Leiter sich nachgezogen hatte, erst, als sie nicht mehr oben hingen, als sie sich nicht mehr an den eigenen Händen, Stöcken und Kleidern festhalten mußten; da erst kämpfte die Bewunderung mit der Angst, da erst erstickte der Jubel: "zu, braver Junge!" in dem Angstruf "er ist verloren!" Eine alterszitternde Stimme begann zu singen: "Nun danket Alle Gott." Als der alte Mann an die Zeile kam:
Ludwig, Zwischen Himmel und Erde. 20
der leichte Span in Sturm und Blitz und Donner hoch zwiſchen Himmel und Erde. Und ſie ſtanden doch auch wieder unten auf der feſten Erde und ſahen nur hinauf; und doch! wenn der Mann ſtürzte, dann waren ſie's, die ſtürzten. Die Menſchen unten auf der feſten Erde hielten ſich krampfhaft an ihren eigenen Händen, an ihren Stöcken, ihren Kleidern an, um nicht herabzuſtürzen von der entſetzlichen Höhe. So ſtanden ſie ſicher und hingen doch zugleich über dem Abgrunde des Todes, jahrelang, ein Leben lang, denn die Vergangenheit war nicht geweſen; und doch war's nur ein Augenblick, ſeit ſie oben hingen. Sie ver¬ gaßen die Gefahr der Stadt, ihre eigene über der Ge¬ fahr des Menſchen da oben, die ja doch ihre eigene war. Sie ſahen, der Brand war getilgt, die Gefahr der Stadt vorüber; ſie wußten es wie in einem Traume, wo man weiß, man träumt; es war ein bloſer Gedanke ohne lebendigen Inhalt. Erſt, als der Mann die Leiter herabgeklommen, in der Ausfahrthür verſchwunden war, und die Leiter ſich nachgezogen hatte, erſt, als ſie nicht mehr oben hingen, als ſie ſich nicht mehr an den eigenen Händen, Stöcken und Kleidern feſthalten mußten; da erſt kämpfte die Bewunderung mit der Angſt, da erſt erſtickte der Jubel: „zu, braver Junge!“ in dem Angſtruf „er iſt verloren!“ Eine alterszitternde Stimme begann zu ſingen: „Nun danket Alle Gott.“ Als der alte Mann an die Zeile kam:
Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 20
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der leichte Span in Sturm und Blitz und Donner
hoch zwiſchen Himmel und Erde. Und ſie ſtanden
doch auch wieder unten auf der feſten Erde und ſahen
nur hinauf; und doch! wenn der Mann ſtürzte, dann
waren ſie's, die ſtürzten. Die Menſchen unten auf der
feſten Erde hielten ſich krampfhaft an ihren eigenen
Händen, an ihren Stöcken, ihren Kleidern an, um
nicht herabzuſtürzen von der entſetzlichen Höhe. So
ſtanden ſie ſicher und hingen doch zugleich über dem
Abgrunde des Todes, jahrelang, ein Leben lang, denn
die Vergangenheit war nicht geweſen; und doch war's
nur ein Augenblick, ſeit ſie oben hingen. Sie ver¬
gaßen die Gefahr der Stadt, ihre eigene über der Ge¬
fahr des Menſchen da oben, die ja doch ihre eigene
war. Sie ſahen, der Brand war getilgt, die Gefahr
der Stadt vorüber; ſie wußten es wie in einem
Traume, wo man weiß, man träumt; es war ein
bloſer Gedanke ohne lebendigen Inhalt. Erſt, als der
Mann die Leiter herabgeklommen, in der Ausfahrthür
verſchwunden war, und die Leiter ſich nachgezogen hatte,
erſt, als ſie nicht mehr oben hingen, als ſie ſich nicht
mehr an den eigenen Händen, Stöcken und Kleidern
feſthalten mußten; da erſt kämpfte die Bewunderung
mit der Angſt, da erſt erſtickte der Jubel: „zu, braver
Junge!“ in dem Angſtruf „er iſt verloren!“ Eine
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Ludwig, Zwiſchen Himmel und Erde. 20
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 305. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/314>, abgerufen am 24.11.2024.
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