gelähmt. "Gott sei Dank! es war wieder kalt!" rief eine Stimme. ""Nein! Nein! dasmal brennt's! Er¬ barme sich Gott!"" entgegneten Andere. Scharfe Augen sah'n, wenn zuweilen zwischen den Blitzen Dun¬ kel eintrat, die kleinen Flammen wie Lichterchen über die Schiefer hüpfen. Sie suchten sich und lohten, wenn sie sich fanden, zuckend in eine größere Flamme zusammen auf; dann flohen sie sich tanzend und schlugen wieder zusammen. Der Sturm bog und dehnte sie hin und her; zuweilen schienen sie zu verlöschen, dann züngelten sie noch höher auf als vorhin. Sie wuchsen, das sah man; aber rasch war ihr Wachsthum nicht. Viel schneller und gewaltiger schwoll das neue Feuerjo durch die ganze Stadt. In angstvoller Spannung bohrten sich alle Blicke auf der kleinen Stelle fest. "Jetzt Hülfe, und es ist noch zu verlöschen!" Und wieder klang angstvoll der Ruf: "Nettenmair! Wo ist der Nettenmair?" durch Sturm und Donner. Eine Stimme rief: "Er ist auf dem Thurm." Alle Ge¬ müther fühlten das wie eine Beruhigung. Und die meisten kannten ihn nicht, selbst die meisten unter den Rufern. Und die ihn nicht kannten, schrieen am lautesten. In Augenblicken allgemeiner Hülflosigkeit klammert sich die Menge an einen Namen, an ein bloses Wort. Ein Theil schiebt damit die Anforderun¬ gen des Gewissens zu eig'nem Müh'n, zu eig'nem Wagniß von sich; und diese sind's, die dem Helfer,
gelähmt. „Gott ſei Dank! es war wieder kalt!“ rief eine Stimme. „„Nein! Nein! dasmal brennt's! Er¬ barme ſich Gott!““ entgegneten Andere. Scharfe Augen ſah'n, wenn zuweilen zwiſchen den Blitzen Dun¬ kel eintrat, die kleinen Flammen wie Lichterchen über die Schiefer hüpfen. Sie ſuchten ſich und lohten, wenn ſie ſich fanden, zuckend in eine größere Flamme zuſammen auf; dann flohen ſie ſich tanzend und ſchlugen wieder zuſammen. Der Sturm bog und dehnte ſie hin und her; zuweilen ſchienen ſie zu verlöſchen, dann züngelten ſie noch höher auf als vorhin. Sie wuchſen, das ſah man; aber raſch war ihr Wachsthum nicht. Viel ſchneller und gewaltiger ſchwoll das neue Feuerjo durch die ganze Stadt. In angſtvoller Spannung bohrten ſich alle Blicke auf der kleinen Stelle feſt. „Jetzt Hülfe, und es iſt noch zu verlöſchen!“ Und wieder klang angſtvoll der Ruf: „Nettenmair! Wo iſt der Nettenmair?“ durch Sturm und Donner. Eine Stimme rief: „Er iſt auf dem Thurm.“ Alle Ge¬ müther fühlten das wie eine Beruhigung. Und die meiſten kannten ihn nicht, ſelbſt die meiſten unter den Rufern. Und die ihn nicht kannten, ſchrieen am lauteſten. In Augenblicken allgemeiner Hülfloſigkeit klammert ſich die Menge an einen Namen, an ein bloſes Wort. Ein Theil ſchiebt damit die Anforderun¬ gen des Gewiſſens zu eig'nem Müh'n, zu eig'nem Wagniß von ſich; und dieſe ſind's, die dem Helfer,
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gelähmt. „Gott ſei Dank! es war wieder kalt!“ rief
eine Stimme. „„Nein! Nein! dasmal brennt's! Er¬
barme ſich Gott!““ entgegneten Andere. Scharfe
Augen ſah'n, wenn zuweilen zwiſchen den Blitzen Dun¬
kel eintrat, die kleinen Flammen wie Lichterchen über
die Schiefer hüpfen. Sie ſuchten ſich und lohten,
wenn ſie ſich fanden, zuckend in eine größere Flamme
zuſammen auf; dann flohen ſie ſich tanzend und ſchlugen
wieder zuſammen. Der Sturm bog und dehnte ſie hin
und her; zuweilen ſchienen ſie zu verlöſchen, dann
züngelten ſie noch höher auf als vorhin. Sie wuchſen,
das ſah man; aber raſch war ihr Wachsthum nicht.
Viel ſchneller und gewaltiger ſchwoll das neue Feuerjo
durch die ganze Stadt. In angſtvoller Spannung
bohrten ſich alle Blicke auf der kleinen Stelle feſt.
„Jetzt Hülfe, und es iſt noch zu verlöſchen!“ Und
wieder klang angſtvoll der Ruf: „Nettenmair! Wo iſt
der Nettenmair?“ durch Sturm und Donner. Eine
Stimme rief: „Er iſt auf dem Thurm.“ Alle Ge¬
müther fühlten das wie eine Beruhigung. Und die
meiſten kannten ihn nicht, ſelbſt die meiſten unter den
Rufern. Und die ihn nicht kannten, ſchrieen am
lauteſten. In Augenblicken allgemeiner Hülfloſigkeit
klammert ſich die Menge an einen Namen, an ein
bloſes Wort. Ein Theil ſchiebt damit die Anforderun¬
gen des Gewiſſens zu eig'nem Müh'n, zu eig'nem
Wagniß von ſich; und dieſe ſind's, die dem Helfer,
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/312>, abgerufen am 24.11.2024.
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