dem ganzen Wege nach Sankt Georg, unter dem Ge¬ schrei, den Hörnern und Trommeln, Sturm und Donner, sagte der Bauherr immer vor sich hin: "Entweder seh' ich den braven Jungen nie wieder, oder er ist gesund, wenn ich ihn wiederseh'." Er legte sich nicht Rechen¬ schaft ab, wie er zu dieser Ueberzeugung kam. Hätt' er's auch sonst gekonnt, es war nicht Zeit dazu. Seine Pflicht als Rathsbauherr verlangte den ganzen Mann.
Der Ruf: "Nettenmair! Wo ist der Nettenmair?" tönte dem Gerufenen auf seinem Wege nach Sankt Georg entgegen und klang hinter ihm her. Das Ver¬ traun seiner Mitbürger auf ihn weckte das Gefühl seines Werthes wieder in ihm auf. Als er, aus der Fremde zurückkehrend, die Heimathsstadt vor sich liegen sah, hatte er sich ihr und ihrem Dienste gelobt. Nun durfte er sich zeigen, wie ernst gemeint sein Gelübde war. Er übersann in Gedanken die möglichen Gestal¬ ten der Gefahr, und wie er ihnen begegnen könnte. Eine Spritze stand bereit im Dachgebälk, Tücher lagen dabei, um damit, in Wasser getaucht, die gefährdeten Stellen zu schützen. Der Geselle war angewiesen, heißes Wasser bereit zu halten. Das Gebälke hatte er überall durch Leitern verbunden. Zum erstenmale seit seiner Heimkunft von Brambach war er wieder mit ganzer Seele bei Einem Werke. Vor der wirklichen Noth und ihren Anforderungen traten die Gebilde
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dem ganzen Wege nach Sankt Georg, unter dem Ge¬ ſchrei, den Hörnern und Trommeln, Sturm und Donner, ſagte der Bauherr immer vor ſich hin: „Entweder ſeh' ich den braven Jungen nie wieder, oder er iſt geſund, wenn ich ihn wiederſeh'.“ Er legte ſich nicht Rechen¬ ſchaft ab, wie er zu dieſer Ueberzeugung kam. Hätt' er's auch ſonſt gekonnt, es war nicht Zeit dazu. Seine Pflicht als Rathsbauherr verlangte den ganzen Mann.
Der Ruf: „Nettenmair! Wo iſt der Nettenmair?“ tönte dem Gerufenen auf ſeinem Wege nach Sankt Georg entgegen und klang hinter ihm her. Das Ver¬ traun ſeiner Mitbürger auf ihn weckte das Gefühl ſeines Werthes wieder in ihm auf. Als er, aus der Fremde zurückkehrend, die Heimathsſtadt vor ſich liegen ſah, hatte er ſich ihr und ihrem Dienſte gelobt. Nun durfte er ſich zeigen, wie ernſt gemeint ſein Gelübde war. Er überſann in Gedanken die möglichen Geſtal¬ ten der Gefahr, und wie er ihnen begegnen könnte. Eine Spritze ſtand bereit im Dachgebälk, Tücher lagen dabei, um damit, in Waſſer getaucht, die gefährdeten Stellen zu ſchützen. Der Geſelle war angewieſen, heißes Waſſer bereit zu halten. Das Gebälke hatte er überall durch Leitern verbunden. Zum erſtenmale ſeit ſeiner Heimkunft von Brambach war er wieder mit ganzer Seele bei Einem Werke. Vor der wirklichen Noth und ihren Anforderungen traten die Gebilde
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dem ganzen Wege nach Sankt Georg, unter dem Ge¬
ſchrei, den Hörnern und Trommeln, Sturm und Donner,
ſagte der Bauherr immer vor ſich hin: „Entweder ſeh'
ich den braven Jungen nie wieder, oder er iſt geſund,
wenn ich ihn wiederſeh'.“ Er legte ſich nicht Rechen¬
ſchaft ab, wie er zu dieſer Ueberzeugung kam. Hätt'
er's auch ſonſt gekonnt, es war nicht Zeit dazu.
Seine Pflicht als Rathsbauherr verlangte den ganzen
Mann.
Der Ruf: „Nettenmair! Wo iſt der Nettenmair?“
tönte dem Gerufenen auf ſeinem Wege nach Sankt
Georg entgegen und klang hinter ihm her. Das Ver¬
traun ſeiner Mitbürger auf ihn weckte das Gefühl
ſeines Werthes wieder in ihm auf. Als er, aus der
Fremde zurückkehrend, die Heimathsſtadt vor ſich liegen
ſah, hatte er ſich ihr und ihrem Dienſte gelobt. Nun
durfte er ſich zeigen, wie ernſt gemeint ſein Gelübde
war. Er überſann in Gedanken die möglichen Geſtal¬
ten der Gefahr, und wie er ihnen begegnen könnte.
Eine Spritze ſtand bereit im Dachgebälk, Tücher lagen
dabei, um damit, in Waſſer getaucht, die gefährdeten
Stellen zu ſchützen. Der Geſelle war angewieſen,
heißes Waſſer bereit zu halten. Das Gebälke hatte er
überall durch Leitern verbunden. Zum erſtenmale ſeit
ſeiner Heimkunft von Brambach war er wieder mit
ganzer Seele bei Einem Werke. Vor der wirklichen
Noth und ihren Anforderungen traten die Gebilde
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 291. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/300>, abgerufen am 24.11.2024.
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