Da man ein Gewitter voraussah, war Alles in in den Kleidern geblieben. Die Raths- und Bezirks- Gewitternachtwachen, sowie die Spritzenmannschaften waren schon seit Stunden beisammen. Herr Netten¬ mair hatte den Sohn nach der Hauptwachtstube im Rathhause gesandt, um da seine, des Rathsschieferdecker¬ meisters Stelle zu vertreten. Die zwei Gesellen saßen bei den Thurmwächtern, der eine zu Sankt Georg, der andere zu Sankt Nikolaus. Die übrigen Raths¬ werkleute unterhielten sich in der Wachtstube, so gut sie konnten. Der Rathsbauherr sah bekümmert auf den brütenden Apollonius. Der fühlte des Freundes Aug auf sich gerichtet und erhob sich, seinen Zustand zu verbergen. In dem Augenblick brauste der Sturmwind von Neuem in den Lüften daher. Auf dem Rathhaus¬ thurme schlug es Eins. Der Glockenton wimmerte in den Fäusten des Sturms, der ihn mit sich fortriß in seine wilde Jagd. Apollonius trat an ein Fenster, wie um zu sehn, was es draußen gebe. Da leckte eine riesige schwefelblaue Zunge herein, bäumte sich zitternd zweimal an Ofen, Wand und Menschen auf und verschlang sich spurlos in sich selber. Der Sturm brauste fort; aber wie er aus dem letzten Glockenton von Sankt Georg geboren schien, so erhob sich jetzt aus seinem Brausen etwas, das an Gewalt sich so riesig über ihn emporreckte, wie sein Brausen über den
Da man ein Gewitter vorausſah, war Alles in in den Kleidern geblieben. Die Raths- und Bezirks- Gewitternachtwachen, ſowie die Spritzenmannſchaften waren ſchon ſeit Stunden beiſammen. Herr Netten¬ mair hatte den Sohn nach der Hauptwachtſtube im Rathhauſe geſandt, um da ſeine, des Rathsſchieferdecker¬ meiſters Stelle zu vertreten. Die zwei Geſellen ſaßen bei den Thurmwächtern, der eine zu Sankt Georg, der andere zu Sankt Nikolaus. Die übrigen Raths¬ werkleute unterhielten ſich in der Wachtſtube, ſo gut ſie konnten. Der Rathsbauherr ſah bekümmert auf den brütenden Apollonius. Der fühlte des Freundes Aug auf ſich gerichtet und erhob ſich, ſeinen Zuſtand zu verbergen. In dem Augenblick brauſte der Sturmwind von Neuem in den Lüften daher. Auf dem Rathhaus¬ thurme ſchlug es Eins. Der Glockenton wimmerte in den Fäuſten des Sturms, der ihn mit ſich fortriß in ſeine wilde Jagd. Apollonius trat an ein Fenſter, wie um zu ſehn, was es draußen gebe. Da leckte eine rieſige ſchwefelblaue Zunge herein, bäumte ſich zitternd zweimal an Ofen, Wand und Menſchen auf und verſchlang ſich ſpurlos in ſich ſelber. Der Sturm brauſte fort; aber wie er aus dem letzten Glockenton von Sankt Georg geboren ſchien, ſo erhob ſich jetzt aus ſeinem Brauſen etwas, das an Gewalt ſich ſo rieſig über ihn emporreckte, wie ſein Brauſen über den
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Da man ein Gewitter vorausſah, war Alles in
in den Kleidern geblieben. Die Raths- und Bezirks-
Gewitternachtwachen, ſowie die Spritzenmannſchaften
waren ſchon ſeit Stunden beiſammen. Herr Netten¬
mair hatte den Sohn nach der Hauptwachtſtube im
Rathhauſe geſandt, um da ſeine, des Rathsſchieferdecker¬
meiſters Stelle zu vertreten. Die zwei Geſellen ſaßen
bei den Thurmwächtern, der eine zu Sankt Georg,
der andere zu Sankt Nikolaus. Die übrigen Raths¬
werkleute unterhielten ſich in der Wachtſtube, ſo gut ſie
konnten. Der Rathsbauherr ſah bekümmert auf den
brütenden Apollonius. Der fühlte des Freundes Aug
auf ſich gerichtet und erhob ſich, ſeinen Zuſtand zu
verbergen. In dem Augenblick brauſte der Sturmwind
von Neuem in den Lüften daher. Auf dem Rathhaus¬
thurme ſchlug es Eins. Der Glockenton wimmerte in
den Fäuſten des Sturms, der ihn mit ſich fortriß in
ſeine wilde Jagd. Apollonius trat an ein Fenſter,
wie um zu ſehn, was es draußen gebe. Da leckte
eine rieſige ſchwefelblaue Zunge herein, bäumte ſich
zitternd zweimal an Ofen, Wand und Menſchen auf
und verſchlang ſich ſpurlos in ſich ſelber. Der Sturm
brauſte fort; aber wie er aus dem letzten Glockenton
von Sankt Georg geboren ſchien, ſo erhob ſich jetzt
aus ſeinem Brauſen etwas, das an Gewalt ſich ſo
rieſig über ihn emporreckte, wie ſein Brauſen über den
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/297>, abgerufen am 25.11.2024.
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