Antheil an diesen Thränen. Sie sah des geliebten Mannes Zustand stündlich sich verschlimmern und konnte darüber nicht im Irrthum sein, daß die Heirath die Schuld davon trug. Je blasser und hinfälliger er wurde, desto milder und achtungsvoller wurde sein Benehmen gegen sie. Ja, es war etwas darin, was wie schmerz¬ liches Mitleid und unausgesprochene Abbitte eines Un¬ rechts oder einer Beleidigung aussah, deren er sich gegen sie schuldig wisse. Sie wußte nicht, was sie da¬ von denken sollte; nur, daß sie nichts denken durfte, was des Bildes, das sie von ihm in ihrer Seele trug, unwürdig gewesen wäre. In seiner Gegenwart war sie still wie er. Sie sah sein stummes schmerzliches Brüten; aber erst, wenn sie allein war, und ihre Kin¬ der neben ihr schliefen, hatte sie den Muth, ihn zu bitten. Stundenlang bat sie dann wie ein Kind, er soll ihr doch sagen, was ihm fehlt. Sie will es mit ihm tragen; sie muß ja; ist sie nicht sein?
Und Apollonius selbst? Bis jetzt hatte er den Druck dunkeln Schuldgefühls, der sich an den Gedanken der Heirath knüpfte, zu schwächen vermocht, wenn er unentschieden den Entschluß in unbestimmte Ferne hin¬ auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen, jenes Gefühl sei eine krankhafte Anwandelung, die vorübergehen werde. Nun der alte Herr sein Macht¬ wort gesprochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das Ziel war bestimmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde
Antheil an dieſen Thränen. Sie ſah des geliebten Mannes Zuſtand ſtündlich ſich verſchlimmern und konnte darüber nicht im Irrthum ſein, daß die Heirath die Schuld davon trug. Je blaſſer und hinfälliger er wurde, deſto milder und achtungsvoller wurde ſein Benehmen gegen ſie. Ja, es war etwas darin, was wie ſchmerz¬ liches Mitleid und unausgeſprochene Abbitte eines Un¬ rechts oder einer Beleidigung ausſah, deren er ſich gegen ſie ſchuldig wiſſe. Sie wußte nicht, was ſie da¬ von denken ſollte; nur, daß ſie nichts denken durfte, was des Bildes, das ſie von ihm in ihrer Seele trug, unwürdig geweſen wäre. In ſeiner Gegenwart war ſie ſtill wie er. Sie ſah ſein ſtummes ſchmerzliches Brüten; aber erſt, wenn ſie allein war, und ihre Kin¬ der neben ihr ſchliefen, hatte ſie den Muth, ihn zu bitten. Stundenlang bat ſie dann wie ein Kind, er ſoll ihr doch ſagen, was ihm fehlt. Sie will es mit ihm tragen; ſie muß ja; iſt ſie nicht ſein?
Und Apollonius ſelbſt? Bis jetzt hatte er den Druck dunkeln Schuldgefühls, der ſich an den Gedanken der Heirath knüpfte, zu ſchwächen vermocht, wenn er unentſchieden den Entſchluß in unbeſtimmte Ferne hin¬ auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen, jenes Gefühl ſei eine krankhafte Anwandelung, die vorübergehen werde. Nun der alte Herr ſein Macht¬ wort geſprochen, war ihm jenes Mittel genommen. Das Ziel war beſtimmt; mit jedem Tage, mit jeder Stunde
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Antheil an dieſen Thränen. Sie ſah des geliebten
Mannes Zuſtand ſtündlich ſich verſchlimmern und konnte
darüber nicht im Irrthum ſein, daß die Heirath die
Schuld davon trug. Je blaſſer und hinfälliger er wurde,
deſto milder und achtungsvoller wurde ſein Benehmen
gegen ſie. Ja, es war etwas darin, was wie ſchmerz¬
liches Mitleid und unausgeſprochene Abbitte eines Un¬
rechts oder einer Beleidigung ausſah, deren er ſich
gegen ſie ſchuldig wiſſe. Sie wußte nicht, was ſie da¬
von denken ſollte; nur, daß ſie nichts denken durfte,
was des Bildes, das ſie von ihm in ihrer Seele trug,
unwürdig geweſen wäre. In ſeiner Gegenwart war
ſie ſtill wie er. Sie ſah ſein ſtummes ſchmerzliches
Brüten; aber erſt, wenn ſie allein war, und ihre Kin¬
der neben ihr ſchliefen, hatte ſie den Muth, ihn zu
bitten. Stundenlang bat ſie dann wie ein Kind, er
ſoll ihr doch ſagen, was ihm fehlt. Sie will es mit
ihm tragen; ſie muß ja; iſt ſie nicht ſein?
Und Apollonius ſelbſt? Bis jetzt hatte er den
Druck dunkeln Schuldgefühls, der ſich an den Gedanken
der Heirath knüpfte, zu ſchwächen vermocht, wenn er
unentſchieden den Entſchluß in unbeſtimmte Ferne hin¬
auswies. Dabei hatte ihm die Hoffnung geholfen,
jenes Gefühl ſei eine krankhafte Anwandelung, die
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/290>, abgerufen am 25.11.2024.
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