ihm und ihr gethan und im Kampfe um das Weib stieß er ihn von der Rüstung. Er erwachte. Er wollte munter bleiben, um den Traum nicht noch einmal durchträumen zu müssen. Als er die Augen öffnete, war es Tag, und Zeit, an die Arbeit zu gehen. Er war aufgeregter erwacht, als er vom Vater gekommen. Er stand auf. Er hoffte, vor der frischen Morgenluft, vor der ernüchternden Wirkung des Wassers, das er sich nach seiner Gewohnheit über Kopf und Arme goß, würden die Bilder des Traumes, welche die Lebhaf¬ tigkeit der alten Wünsche, und damit der Gewissens¬ vorwürfe über sie, noch immer steigerten, von ihm in sein Stübchen zurückfliehn. Aber es geschah nicht; sie gingen mit ihm und ließen ihn nicht los. Selbst über der Arbeit nicht. Immer wehte der Hauch des war¬ men Mundes an seiner Wange; immer fühlte er sich in ihrem schwellenden Umfangen, immer quollen ihm die leidenschaftlichen Vorwürfe gegen den Bruder, der bei ihm stand, aus dem Herzen herauf. Er kannte sich nicht mehr. Zu den Vorwürfen, die er sich des¬ halb machen mußte, kam noch die Unzufriedenheit, daß er sich nicht mit seiner ganzen Aufmerksamkeit bei der Arbeit wußte. Sonst hatte er wie seine eigene heitere Tüch¬ tigkeit in seine Arbeit mit hineingearbeitet, und diese mußte gut und dauerhaft ausfallen. Heute kam's ihm vor, als hämmerte er seine unrechten Gedanken hinein, als hämmerte er einen bösen Zauber zurecht,
ihm und ihr gethan und im Kampfe um das Weib ſtieß er ihn von der Rüſtung. Er erwachte. Er wollte munter bleiben, um den Traum nicht noch einmal durchträumen zu müſſen. Als er die Augen öffnete, war es Tag, und Zeit, an die Arbeit zu gehen. Er war aufgeregter erwacht, als er vom Vater gekommen. Er ſtand auf. Er hoffte, vor der friſchen Morgenluft, vor der ernüchternden Wirkung des Waſſers, das er ſich nach ſeiner Gewohnheit über Kopf und Arme goß, würden die Bilder des Traumes, welche die Lebhaf¬ tigkeit der alten Wünſche, und damit der Gewiſſens¬ vorwürfe über ſie, noch immer ſteigerten, von ihm in ſein Stübchen zurückfliehn. Aber es geſchah nicht; ſie gingen mit ihm und ließen ihn nicht los. Selbſt über der Arbeit nicht. Immer wehte der Hauch des war¬ men Mundes an ſeiner Wange; immer fühlte er ſich in ihrem ſchwellenden Umfangen, immer quollen ihm die leidenſchaftlichen Vorwürfe gegen den Bruder, der bei ihm ſtand, aus dem Herzen herauf. Er kannte ſich nicht mehr. Zu den Vorwürfen, die er ſich des¬ halb machen mußte, kam noch die Unzufriedenheit, daß er ſich nicht mit ſeiner ganzen Aufmerkſamkeit bei der Arbeit wußte. Sonſt hatte er wie ſeine eigene heitere Tüch¬ tigkeit in ſeine Arbeit mit hineingearbeitet, und dieſe mußte gut und dauerhaft ausfallen. Heute kam's ihm vor, als hämmerte er ſeine unrechten Gedanken hinein, als hämmerte er einen böſen Zauber zurecht,
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ihm und ihr gethan und im Kampfe um das Weib
ſtieß er ihn von der Rüſtung. Er erwachte. Er wollte
munter bleiben, um den Traum nicht noch einmal
durchträumen zu müſſen. Als er die Augen öffnete,
war es Tag, und Zeit, an die Arbeit zu gehen. Er
war aufgeregter erwacht, als er vom Vater gekommen.
Er ſtand auf. Er hoffte, vor der friſchen Morgenluft,
vor der ernüchternden Wirkung des Waſſers, das er
ſich nach ſeiner Gewohnheit über Kopf und Arme goß,
würden die Bilder des Traumes, welche die Lebhaf¬
tigkeit der alten Wünſche, und damit der Gewiſſens¬
vorwürfe über ſie, noch immer ſteigerten, von ihm in
ſein Stübchen zurückfliehn. Aber es geſchah nicht; ſie
gingen mit ihm und ließen ihn nicht los. Selbſt über
der Arbeit nicht. Immer wehte der Hauch des war¬
men Mundes an ſeiner Wange; immer fühlte er ſich
in ihrem ſchwellenden Umfangen, immer quollen ihm
die leidenſchaftlichen Vorwürfe gegen den Bruder,
der bei ihm ſtand, aus dem Herzen herauf. Er kannte
ſich nicht mehr. Zu den Vorwürfen, die er ſich des¬
halb machen mußte, kam noch die Unzufriedenheit, daß
er ſich nicht mit ſeiner ganzen Aufmerkſamkeit bei der
Arbeit wußte. Sonſt hatte er wie ſeine eigene heitere Tüch¬
tigkeit in ſeine Arbeit mit hineingearbeitet, und dieſe
mußte gut und dauerhaft ausfallen. Heute kam's
ihm vor, als hämmerte er ſeine unrechten Gedanken
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/263>, abgerufen am 28.11.2024.
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