Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

für die Ehre des Hauses bisher nicht zu Worte hatte kom¬
men lassen. Er fand nun erst Zeit, das Unglück
des rechtschaffenen Sohnes zu beweinen, als sich zeigte,
es hatte ihn nicht getroffen. Aber es fiel ihm ein,
der brave Sohn schwebte noch immer in der gleichen
Gefahr, so lang der schlimme sich in seiner Nähe be¬
fand. Auch diesen Fall hatte er in seinem Plane vor¬
gesehn und sich gesagt, was er dann thun müsse. Die
bisherige Kraft, die nur eine angemaßte war, hätte
ihn mit dem Krampfe verlassen, galt es nicht noch
immer die Rettung des braven Sohns und die Ehre
seines Hauses. Er tastete sich nach der Dachlucke hin.
Fritz Nettenmair war unterdeß aus seiner Betäubung
wieder erwacht und es war ihm gelungen, aufzustehn.
Der alte Herr hieß ihn von der Rüstung hereintreten
und sagte: "Morgen vor Sonnenaufgang bist du nicht
mehr hier. Sieh, ob du in Amerika wiederum ein
anderer Mensch werden kannst. Hier bist du in Schande
und bringst Schande. Nach mir gehst du heim; Geld
sollst du haben; und machst dich fertig. Du hast seit
Jahren nichts für Weib und Kind gethan; ich sorge
für sie. Vor Tagesanbruch bist du auf dem Weg.
Hörst du?" Fritz Nettenmair wankte. Eben noch hatte
er dem unausweichlichen Tode in die Augen gesehn;
nun sollte er leben! Leben, wo Niemand wußte, was
er gethan, wo ihn nicht jedes zufällige Geräusch mit
dem Wahnbild des Häschers schrecken durfte. In

für die Ehre des Hauſes bisher nicht zu Worte hatte kom¬
men laſſen. Er fand nun erſt Zeit, das Unglück
des rechtſchaffenen Sohnes zu beweinen, als ſich zeigte,
es hatte ihn nicht getroffen. Aber es fiel ihm ein,
der brave Sohn ſchwebte noch immer in der gleichen
Gefahr, ſo lang der ſchlimme ſich in ſeiner Nähe be¬
fand. Auch dieſen Fall hatte er in ſeinem Plane vor¬
geſehn und ſich geſagt, was er dann thun müſſe. Die
bisherige Kraft, die nur eine angemaßte war, hätte
ihn mit dem Krampfe verlaſſen, galt es nicht noch
immer die Rettung des braven Sohns und die Ehre
ſeines Hauſes. Er taſtete ſich nach der Dachlucke hin.
Fritz Nettenmair war unterdeß aus ſeiner Betäubung
wieder erwacht und es war ihm gelungen, aufzuſtehn.
Der alte Herr hieß ihn von der Rüſtung hereintreten
und ſagte: „Morgen vor Sonnenaufgang biſt du nicht
mehr hier. Sieh, ob du in Amerika wiederum ein
anderer Menſch werden kannſt. Hier biſt du in Schande
und bringſt Schande. Nach mir gehſt du heim; Geld
ſollſt du haben; und machſt dich fertig. Du haſt ſeit
Jahren nichts für Weib und Kind gethan; ich ſorge
für ſie. Vor Tagesanbruch biſt du auf dem Weg.
Hörſt du?“ Fritz Nettenmair wankte. Eben noch hatte
er dem unausweichlichen Tode in die Augen geſehn;
nun ſollte er leben! Leben, wo Niemand wußte, was
er gethan, wo ihn nicht jedes zufällige Geräuſch mit
dem Wahnbild des Häſchers ſchrecken durfte. In

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0230" n="221"/>
für die Ehre des Hau&#x017F;es bisher nicht zu Worte hatte kom¬<lb/>
men la&#x017F;&#x017F;en. Er fand nun er&#x017F;t Zeit, das Unglück<lb/>
des recht&#x017F;chaffenen Sohnes zu beweinen, als &#x017F;ich zeigte,<lb/>
es hatte ihn nicht getroffen. Aber es fiel ihm ein,<lb/>
der brave Sohn &#x017F;chwebte noch immer in der gleichen<lb/>
Gefahr, &#x017F;o lang der &#x017F;chlimme &#x017F;ich in &#x017F;einer Nähe be¬<lb/>
fand. Auch die&#x017F;en Fall hatte er in &#x017F;einem Plane vor¬<lb/>
ge&#x017F;ehn und &#x017F;ich ge&#x017F;agt, was er dann thun mü&#x017F;&#x017F;e. Die<lb/>
bisherige Kraft, die nur eine angemaßte war, hätte<lb/>
ihn mit dem Krampfe verla&#x017F;&#x017F;en, galt es nicht noch<lb/>
immer die Rettung des braven Sohns und die Ehre<lb/>
&#x017F;eines Hau&#x017F;es. Er ta&#x017F;tete &#x017F;ich nach der Dachlucke hin.<lb/>
Fritz Nettenmair war unterdeß aus &#x017F;einer Betäubung<lb/>
wieder erwacht und es war ihm gelungen, aufzu&#x017F;tehn.<lb/>
Der alte Herr hieß ihn von der Rü&#x017F;tung hereintreten<lb/>
und &#x017F;agte: &#x201E;Morgen vor Sonnenaufgang bi&#x017F;t du nicht<lb/>
mehr hier. Sieh, ob du in Amerika wiederum ein<lb/>
anderer Men&#x017F;ch werden kann&#x017F;t. Hier bi&#x017F;t du in Schande<lb/>
und bring&#x017F;t Schande. Nach mir geh&#x017F;t du heim; Geld<lb/>
&#x017F;oll&#x017F;t du haben; und mach&#x017F;t dich fertig. Du ha&#x017F;t &#x017F;eit<lb/>
Jahren nichts für Weib und Kind gethan; ich &#x017F;orge<lb/>
für &#x017F;ie. Vor Tagesanbruch bi&#x017F;t du auf dem Weg.<lb/>
Hör&#x017F;t du?&#x201C; Fritz Nettenmair wankte. Eben noch hatte<lb/>
er dem unausweichlichen Tode in die Augen ge&#x017F;ehn;<lb/>
nun &#x017F;ollte er leben! Leben, wo Niemand wußte, was<lb/>
er gethan, wo ihn nicht jedes zufällige Geräu&#x017F;ch mit<lb/>
dem Wahnbild des Hä&#x017F;chers &#x017F;chrecken durfte. In<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[221/0230] für die Ehre des Hauſes bisher nicht zu Worte hatte kom¬ men laſſen. Er fand nun erſt Zeit, das Unglück des rechtſchaffenen Sohnes zu beweinen, als ſich zeigte, es hatte ihn nicht getroffen. Aber es fiel ihm ein, der brave Sohn ſchwebte noch immer in der gleichen Gefahr, ſo lang der ſchlimme ſich in ſeiner Nähe be¬ fand. Auch dieſen Fall hatte er in ſeinem Plane vor¬ geſehn und ſich geſagt, was er dann thun müſſe. Die bisherige Kraft, die nur eine angemaßte war, hätte ihn mit dem Krampfe verlaſſen, galt es nicht noch immer die Rettung des braven Sohns und die Ehre ſeines Hauſes. Er taſtete ſich nach der Dachlucke hin. Fritz Nettenmair war unterdeß aus ſeiner Betäubung wieder erwacht und es war ihm gelungen, aufzuſtehn. Der alte Herr hieß ihn von der Rüſtung hereintreten und ſagte: „Morgen vor Sonnenaufgang biſt du nicht mehr hier. Sieh, ob du in Amerika wiederum ein anderer Menſch werden kannſt. Hier biſt du in Schande und bringſt Schande. Nach mir gehſt du heim; Geld ſollſt du haben; und machſt dich fertig. Du haſt ſeit Jahren nichts für Weib und Kind gethan; ich ſorge für ſie. Vor Tagesanbruch biſt du auf dem Weg. Hörſt du?“ Fritz Nettenmair wankte. Eben noch hatte er dem unausweichlichen Tode in die Augen geſehn; nun ſollte er leben! Leben, wo Niemand wußte, was er gethan, wo ihn nicht jedes zufällige Geräuſch mit dem Wahnbild des Häſchers ſchrecken durfte. In

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/230
Zitationshilfe: Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/230>, abgerufen am 04.12.2024.