standslosigkeit des Gliedes, das er gefaßt, es sei un¬ nöthig, den Sohn zu halten; er müsse ohnmächtig sein. Eine neue Sorge erwuchs ihm daraus. War der Sohn ohnmächtig, so mußte er, wenn möglich, das fremden Blicken entziehn. Auch diese Ohnmacht konnte den Verdacht entstehn, oder wachsen machen. Er erhob sich und wandte sich von der Dachlucke nach dem Kommenden. Er war unschlüssig, sollte er die Lucke mit seinem Körper decken, oder dem Kommenden entgegen gehn. Der Geselle, den er vorhin nach Brambach geschickt, denn dieser war's, der so eilig kam, hustete auf der Treppe. Den konnte er abhalten von der Rüstung; ja, er konnte ihm vielleicht den An¬ blick des darauf Liegenden entziehn, wenn er ihm ent¬ gegen ging und ihn noch auf der Treppe abfertigte. So vielleicht gewisser, als wenn er vor der Lucke stehen blieb, da es wahrscheinlich war, er verdecke die¬ selbe doch nicht völlig. Jetzt fühlte der alte Herr erst, wie, was er heute erfahren müssen, seine Kräfte ge¬ lähmt. Aber der Gesell merkte nichts davon; als er den alten Herrn, an den Treppenbalken gelehnt, ihm den Weg versperren sah.
"Soll ich ihn herholen, Herr Nettenmair?" fragte der Gesell, indem er auf der Treppe stehen blieb. ""Wen?"" fragte Herr Nettenmair dagegen. Er hatte Mühe, seine künstliche Ruhe zu bewahren. War der Gesell in Brambach gewesen, konnte er nicht so ruhig
ſtandsloſigkeit des Gliedes, das er gefaßt, es ſei un¬ nöthig, den Sohn zu halten; er müſſe ohnmächtig ſein. Eine neue Sorge erwuchs ihm daraus. War der Sohn ohnmächtig, ſo mußte er, wenn möglich, das fremden Blicken entziehn. Auch dieſe Ohnmacht konnte den Verdacht entſtehn, oder wachſen machen. Er erhob ſich und wandte ſich von der Dachlucke nach dem Kommenden. Er war unſchlüſſig, ſollte er die Lucke mit ſeinem Körper decken, oder dem Kommenden entgegen gehn. Der Geſelle, den er vorhin nach Brambach geſchickt, denn dieſer war's, der ſo eilig kam, huſtete auf der Treppe. Den konnte er abhalten von der Rüſtung; ja, er konnte ihm vielleicht den An¬ blick des darauf Liegenden entziehn, wenn er ihm ent¬ gegen ging und ihn noch auf der Treppe abfertigte. So vielleicht gewiſſer, als wenn er vor der Lucke ſtehen blieb, da es wahrſcheinlich war, er verdecke die¬ ſelbe doch nicht völlig. Jetzt fühlte der alte Herr erſt, wie, was er heute erfahren müſſen, ſeine Kräfte ge¬ lähmt. Aber der Geſell merkte nichts davon; als er den alten Herrn, an den Treppenbalken gelehnt, ihm den Weg verſperren ſah.
„Soll ich ihn herholen, Herr Nettenmair?“ fragte der Geſell, indem er auf der Treppe ſtehen blieb. „„Wen?““ fragte Herr Nettenmair dagegen. Er hatte Mühe, ſeine künſtliche Ruhe zu bewahren. War der Geſell in Brambach geweſen, konnte er nicht ſo ruhig
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ſtandsloſigkeit des Gliedes, das er gefaßt, es ſei un¬
nöthig, den Sohn zu halten; er müſſe ohnmächtig
ſein. Eine neue Sorge erwuchs ihm daraus. War
der Sohn ohnmächtig, ſo mußte er, wenn möglich,
das fremden Blicken entziehn. Auch dieſe Ohnmacht
konnte den Verdacht entſtehn, oder wachſen machen.
Er erhob ſich und wandte ſich von der Dachlucke nach
dem Kommenden. Er war unſchlüſſig, ſollte er die
Lucke mit ſeinem Körper decken, oder dem Kommenden
entgegen gehn. Der Geſelle, den er vorhin nach
Brambach geſchickt, denn dieſer war's, der ſo eilig
kam, huſtete auf der Treppe. Den konnte er abhalten
von der Rüſtung; ja, er konnte ihm vielleicht den An¬
blick des darauf Liegenden entziehn, wenn er ihm ent¬
gegen ging und ihn noch auf der Treppe abfertigte.
So vielleicht gewiſſer, als wenn er vor der Lucke
ſtehen blieb, da es wahrſcheinlich war, er verdecke die¬
ſelbe doch nicht völlig. Jetzt fühlte der alte Herr erſt,
wie, was er heute erfahren müſſen, ſeine Kräfte ge¬
lähmt. Aber der Geſell merkte nichts davon; als er
den alten Herrn, an den Treppenbalken gelehnt, ihm
den Weg verſperren ſah.
„Soll ich ihn herholen, Herr Nettenmair?“ fragte
der Geſell, indem er auf der Treppe ſtehen blieb.
„„Wen?““ fragte Herr Nettenmair dagegen. Er hatte
Mühe, ſeine künſtliche Ruhe zu bewahren. War der
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/228>, abgerufen am 04.12.2024.
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