Apollonius griff. Darum war er so kleinlaut. Da¬ rum erschrack die Frau, die ihn glauben machen wollte, Apollonius komme nie in das Zimmer. Darum sah sie so flehend zu ihm auf. Der verachtende Blick, mit dem sie ihn noch eben gemessen, war mit der Larve der erheuchelten Unschuld plötzlich von ihrem schuldbe¬ wußten Angesicht gerissen. Nun wußt' er gewiß, es war Nichts mehr zu verhindern, nur noch zu vergel¬ ten. Er konnte nun dem Bruder zeigen, er kannte ihn, und hatte ihn immer gekannt.
Er wies auf die Frau. "Sie bettelt, ich soll gehn. Wozu? Ich seh zum Fenster hinaus. Das ist eben so gut. Ich seh nicht, was ihr treibt."
Apollonius verstand ihn nicht. Die Frau wußte es, ohne ihn anzusehn. Sie wollte hinaus. In sei¬ ner Gegenwart erniedrigt zu werden bis zum Koth unter den Füßen, das trug sie nicht. Der Gatte hielt sie fest mit wildem Griff. Er packte sie wie ein Raub¬ vogel. Sie hätte laut schreien müssen, zehrte der See¬ lenschmerz den körperlichen nicht auf. "Kehr' dich nicht daran, daß sie fort will," schluchzte Fritz Nettenmair vor krampfhaftem Lachen und faßte den Bruder so mit den Augen, wie er die Frau mit seiner Hand gepackt hielt. "Brauchst nicht ängstlich zu sein. Ich kehr' nur den Rücken, so ist sie wieder da. So redet doch miteinan¬ der. Du, sag' ihm, daß du ihn nicht leiden kannst; ich glaub's ja; was glaubt ein Mann so einer nicht?
Apollonius griff. Darum war er ſo kleinlaut. Da¬ rum erſchrack die Frau, die ihn glauben machen wollte, Apollonius komme nie in das Zimmer. Darum ſah ſie ſo flehend zu ihm auf. Der verachtende Blick, mit dem ſie ihn noch eben gemeſſen, war mit der Larve der erheuchelten Unſchuld plötzlich von ihrem ſchuldbe¬ wußten Angeſicht geriſſen. Nun wußt' er gewiß, es war Nichts mehr zu verhindern, nur noch zu vergel¬ ten. Er konnte nun dem Bruder zeigen, er kannte ihn, und hatte ihn immer gekannt.
Er wies auf die Frau. „Sie bettelt, ich ſoll gehn. Wozu? Ich ſeh zum Fenſter hinaus. Das iſt eben ſo gut. Ich ſeh nicht, was ihr treibt.“
Apollonius verſtand ihn nicht. Die Frau wußte es, ohne ihn anzuſehn. Sie wollte hinaus. In ſei¬ ner Gegenwart erniedrigt zu werden bis zum Koth unter den Füßen, das trug ſie nicht. Der Gatte hielt ſie feſt mit wildem Griff. Er packte ſie wie ein Raub¬ vogel. Sie hätte laut ſchreien müſſen, zehrte der See¬ lenſchmerz den körperlichen nicht auf. „Kehr' dich nicht daran, daß ſie fort will,“ ſchluchzte Fritz Nettenmair vor krampfhaftem Lachen und faßte den Bruder ſo mit den Augen, wie er die Frau mit ſeiner Hand gepackt hielt. „Brauchſt nicht ängſtlich zu ſein. Ich kehr' nur den Rücken, ſo iſt ſie wieder da. So redet doch miteinan¬ der. Du, ſag' ihm, daß du ihn nicht leiden kannſt; ich glaub's ja; was glaubt ein Mann ſo einer nicht?
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Apollonius griff. Darum war er ſo kleinlaut. Da¬
rum erſchrack die Frau, die ihn glauben machen wollte,
Apollonius komme nie in das Zimmer. Darum ſah
ſie ſo flehend zu ihm auf. Der verachtende Blick, mit
dem ſie ihn noch eben gemeſſen, war mit der Larve
der erheuchelten Unſchuld plötzlich von ihrem ſchuldbe¬
wußten Angeſicht geriſſen. Nun wußt' er gewiß, es
war Nichts mehr zu verhindern, nur noch zu vergel¬
ten. Er konnte nun dem Bruder zeigen, er kannte ihn,
und hatte ihn immer gekannt.
Er wies auf die Frau. „Sie bettelt, ich ſoll gehn.
Wozu? Ich ſeh zum Fenſter hinaus. Das iſt eben
ſo gut. Ich ſeh nicht, was ihr treibt.“
Apollonius verſtand ihn nicht. Die Frau wußte
es, ohne ihn anzuſehn. Sie wollte hinaus. In ſei¬
ner Gegenwart erniedrigt zu werden bis zum Koth
unter den Füßen, das trug ſie nicht. Der Gatte hielt
ſie feſt mit wildem Griff. Er packte ſie wie ein Raub¬
vogel. Sie hätte laut ſchreien müſſen, zehrte der See¬
lenſchmerz den körperlichen nicht auf. „Kehr' dich nicht
daran, daß ſie fort will,“ ſchluchzte Fritz Nettenmair vor
krampfhaftem Lachen und faßte den Bruder ſo mit den
Augen, wie er die Frau mit ſeiner Hand gepackt hielt.
„Brauchſt nicht ängſtlich zu ſein. Ich kehr' nur den
Rücken, ſo iſt ſie wieder da. So redet doch miteinan¬
der. Du, ſag' ihm, daß du ihn nicht leiden kannſt; ich
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Ludwig, Otto: Zwischen Himmel und Erde. Frankfurt (Main), 1856, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_himmel_1856/157>, abgerufen am 19.05.2024.
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