Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

suchte, wo der Blitz sein Weib getroffen haben könne, er fand kein blaues Mal, nicht am Halse und nicht an den Armen, kein versengtes Fleckchen an ihren Kleidern -- konnte der Schreck allein ein so warmes, lebenskräftiges Wesen getödtet haben? Der Schrecken nicht, aber du, du bist's gewesen -- hallte es in ihm. Er wußte nicht mehr, was er that, nicht, was er dachte. Bald legte er das Ohr auf ihr Herz, ohne vor dem angstvollen Klopfen des seinigen hören zu können, ob es noch schlug, bald versuchte er es, indem er seinen Mund auf den ihren preßte, ihr seinen eigenen Athem, sein eigenes Leben einzuhauchen. Umsonst! nichts regte sich an dem erstarrten Körper -- Leichenfarbe lag auf Mund und Stirne, schlaff hingen die Arme und Hände -- vergebens waren alle seine sinnlosen Bemühungen, Liebkosungen, Schmeichelworte, Drohen -- Alles.

Johannes hatte seine ungeschickten Belebungsversuche eingestellt, um sich einer dumpfen Trostlosigkeit zu ergeben, als er plötzlich in die Höhe fuhr. Schon seit mehreren Minuten hätte er ein seltsames Knistern hören, einen stinkenden Schwefelgeruch verspüren können, wenn ihm die Außenwelt nicht so ganz verschwunden gewesen wäre -- jetzt benahm ihm eine sich näher und näher wälzende Rauchwolke schier den Athem. Ein Aufblick genügte, ihn die Gefahr erkennen zu lassen. Die Hütte brannte; heißhungrig fraß die Flamme das dürre Holzgebälke des Dachstuhls, und schon leckte sie züngelnd an den Wänden in den wüsten Raum herunter, wo sich fast nichts befand, als solche Stoffe, die ihr Nahrung boten. Eben fiel eine glimmende Schindel in das alte Stroh,

suchte, wo der Blitz sein Weib getroffen haben könne, er fand kein blaues Mal, nicht am Halse und nicht an den Armen, kein versengtes Fleckchen an ihren Kleidern — konnte der Schreck allein ein so warmes, lebenskräftiges Wesen getödtet haben? Der Schrecken nicht, aber du, du bist's gewesen — hallte es in ihm. Er wußte nicht mehr, was er that, nicht, was er dachte. Bald legte er das Ohr auf ihr Herz, ohne vor dem angstvollen Klopfen des seinigen hören zu können, ob es noch schlug, bald versuchte er es, indem er seinen Mund auf den ihren preßte, ihr seinen eigenen Athem, sein eigenes Leben einzuhauchen. Umsonst! nichts regte sich an dem erstarrten Körper — Leichenfarbe lag auf Mund und Stirne, schlaff hingen die Arme und Hände — vergebens waren alle seine sinnlosen Bemühungen, Liebkosungen, Schmeichelworte, Drohen — Alles.

Johannes hatte seine ungeschickten Belebungsversuche eingestellt, um sich einer dumpfen Trostlosigkeit zu ergeben, als er plötzlich in die Höhe fuhr. Schon seit mehreren Minuten hätte er ein seltsames Knistern hören, einen stinkenden Schwefelgeruch verspüren können, wenn ihm die Außenwelt nicht so ganz verschwunden gewesen wäre — jetzt benahm ihm eine sich näher und näher wälzende Rauchwolke schier den Athem. Ein Aufblick genügte, ihn die Gefahr erkennen zu lassen. Die Hütte brannte; heißhungrig fraß die Flamme das dürre Holzgebälke des Dachstuhls, und schon leckte sie züngelnd an den Wänden in den wüsten Raum herunter, wo sich fast nichts befand, als solche Stoffe, die ihr Nahrung boten. Eben fiel eine glimmende Schindel in das alte Stroh,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="0">
        <p><pb facs="#f0048"/>
suchte, wo der Blitz sein Weib getroffen haben könne, er fand      kein blaues Mal, nicht am Halse und nicht an den Armen, kein versengtes Fleckchen an ihren      Kleidern &#x2014; konnte der Schreck allein ein so warmes, lebenskräftiges Wesen getödtet haben? Der      Schrecken nicht, aber du, du bist's gewesen &#x2014; hallte es in ihm. Er wußte nicht mehr, was er      that, nicht, was er dachte. Bald legte er das Ohr auf ihr Herz, ohne vor dem angstvollen      Klopfen des seinigen hören zu können, ob es noch schlug, bald versuchte er es, indem er seinen      Mund auf den ihren preßte, ihr seinen eigenen Athem, sein eigenes Leben einzuhauchen. Umsonst!      nichts regte sich an dem erstarrten Körper &#x2014; Leichenfarbe lag auf Mund und Stirne, schlaff      hingen die Arme und Hände &#x2014; vergebens waren alle seine sinnlosen Bemühungen, Liebkosungen,      Schmeichelworte, Drohen &#x2014; Alles.</p><lb/>
        <p>Johannes hatte seine ungeschickten Belebungsversuche eingestellt, um sich einer dumpfen      Trostlosigkeit zu ergeben, als er plötzlich in die Höhe fuhr. Schon seit mehreren Minuten hätte      er ein seltsames Knistern hören, einen stinkenden Schwefelgeruch verspüren können, wenn ihm die      Außenwelt nicht so ganz verschwunden gewesen wäre &#x2014; jetzt benahm ihm eine sich näher und näher      wälzende Rauchwolke schier den Athem. Ein Aufblick genügte, ihn die Gefahr erkennen zu lassen.      Die Hütte brannte; heißhungrig fraß die Flamme das dürre Holzgebälke des Dachstuhls, und schon      leckte sie züngelnd an den Wänden in den wüsten Raum herunter, wo sich fast nichts befand, als      solche Stoffe, die ihr Nahrung boten. Eben fiel eine glimmende Schindel in das alte Stroh,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0048] suchte, wo der Blitz sein Weib getroffen haben könne, er fand kein blaues Mal, nicht am Halse und nicht an den Armen, kein versengtes Fleckchen an ihren Kleidern — konnte der Schreck allein ein so warmes, lebenskräftiges Wesen getödtet haben? Der Schrecken nicht, aber du, du bist's gewesen — hallte es in ihm. Er wußte nicht mehr, was er that, nicht, was er dachte. Bald legte er das Ohr auf ihr Herz, ohne vor dem angstvollen Klopfen des seinigen hören zu können, ob es noch schlug, bald versuchte er es, indem er seinen Mund auf den ihren preßte, ihr seinen eigenen Athem, sein eigenes Leben einzuhauchen. Umsonst! nichts regte sich an dem erstarrten Körper — Leichenfarbe lag auf Mund und Stirne, schlaff hingen die Arme und Hände — vergebens waren alle seine sinnlosen Bemühungen, Liebkosungen, Schmeichelworte, Drohen — Alles. Johannes hatte seine ungeschickten Belebungsversuche eingestellt, um sich einer dumpfen Trostlosigkeit zu ergeben, als er plötzlich in die Höhe fuhr. Schon seit mehreren Minuten hätte er ein seltsames Knistern hören, einen stinkenden Schwefelgeruch verspüren können, wenn ihm die Außenwelt nicht so ganz verschwunden gewesen wäre — jetzt benahm ihm eine sich näher und näher wälzende Rauchwolke schier den Athem. Ein Aufblick genügte, ihn die Gefahr erkennen zu lassen. Die Hütte brannte; heißhungrig fraß die Flamme das dürre Holzgebälke des Dachstuhls, und schon leckte sie züngelnd an den Wänden in den wüsten Raum herunter, wo sich fast nichts befand, als solche Stoffe, die ihr Nahrung boten. Eben fiel eine glimmende Schindel in das alte Stroh,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T14:36:23Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T14:36:23Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: nein; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/48
Zitationshilfe: Ludwig, Julie: Das Gericht im Walde. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 20. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [237]–288. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ludwig_gericht_1910/48>, abgerufen am 23.11.2024.