Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747.

Bild:
<< vorherige Seite

Cap. 6. Die sechste Quelle
lichsten Kennzeichen einer wahren Bekeh-
rung;
wann nemlich jemand vorher hart, eigen-
liebig, unbarmhertzig, unempfindlich, und mit
dem geistlichen Neid und Ehr-Geitz besessen gewe-
sen, nun aber sich zart-hertzig, und mitleidig be-
weiset, und besondere Freude hat, wann einem an-
dern viele Seelen geschencket werden, wann andere
ihn überwachsen und weit schönere Reichs-Kinder
werden; nicht besorget um anderer willen, die mehr
Segen haben, den Credit zu verlieren, sondern
allein in dem Wohlgefallen GOttes, was ihm
aus jeder von seinen Creaturen zu bilden beliebig
ist, ruhet. Ein solcher unabsichtiger Liebhaber
GOttes und der Menschen hat über dem Guten
und Bösen, so seinem Nächsten begegnet, so grosse
Freude und Leyd, als wiederfuhre es ihme selbst,
und das gibt Freudigkeit vor Christo.

§. 18.

4) Daß du aller Gelegenheit vom
Satan gereitzet zu werden/ so viel mög-
lich/ aus dem Wege gehest/ sonst opf-
ferst du dich selbst dem Satan auf/ daß
er dich gar leicht verführen kan.

So traue dann deinem Verstand und Tu-
gend niemalen zu viel, daß du meynetest, hie und
da unbeschädiget durchzukommen. Ach der Teuf-
fel kan dir eine Maus-Falle zurichten, wo du
dichs am wenigsten versiehest: Er macht es, wie
die, so Kinder stehlen, selbige zu entführen; sie
sagen ihnen wohl nichts von Stössen, Schlägen

und

Cap. 6. Die ſechſte Quelle
lichſten Kennzeichen einer wahren Bekeh-
rung;
wann nemlich jemand vorher hart, eigen-
liebig, unbarmhertzig, unempfindlich, und mit
dem geiſtlichen Neid und Ehr-Geitz beſeſſen gewe-
ſen, nun aber ſich zart-hertzig, und mitleidig be-
weiſet, und beſondere Freude hat, wann einem an-
dern viele Seelen geſchencket werden, wann andere
ihn uͤberwachſen und weit ſchoͤnere Reichs-Kinder
werden; nicht beſorget um anderer willen, die mehr
Segen haben, den Credit zu verlieren, ſondern
allein in dem Wohlgefallen GOttes, was ihm
aus jeder von ſeinen Creaturen zu bilden beliebig
iſt, ruhet. Ein ſolcher unabſichtiger Liebhaber
GOttes und der Menſchen hat uͤber dem Guten
und Boͤſen, ſo ſeinem Naͤchſten begegnet, ſo groſſe
Freude und Leyd, als wiederfuhre es ihme ſelbſt,
und das gibt Freudigkeit vor Chriſto.

§. 18.

4) Daß du aller Gelegenheit vom
Satan gereitzet zu werden/ ſo viel moͤg-
lich/ aus dem Wege geheſt/ ſonſt opf-
ferſt du dich ſelbſt dem Satan auf/ daß
er dich gar leicht verfuͤhren kan.

So traue dann deinem Verſtand und Tu-
gend niemalen zu viel, daß du meyneteſt, hie und
da unbeſchaͤdiget durchzukommen. Ach der Teuf-
fel kan dir eine Maus-Falle zurichten, wo du
dichs am wenigſten verſieheſt: Er macht es, wie
die, ſo Kinder ſtehlen, ſelbige zu entfuͤhren; ſie
ſagen ihnen wohl nichts von Stoͤſſen, Schlaͤgen

und
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0354" n="336"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Cap. 6. Die &#x017F;ech&#x017F;te Quelle</hi></fw><lb/>
lich&#x017F;ten <hi rendition="#fr">Kennzeichen einer wahren Bekeh-<lb/>
rung;</hi> wann nemlich jemand vorher hart, eigen-<lb/>
liebig, unbarmhertzig, unempfindlich, und mit<lb/>
dem gei&#x017F;tlichen Neid und Ehr-Geitz be&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en gewe-<lb/>
&#x017F;en, nun aber &#x017F;ich zart-hertzig, und mitleidig be-<lb/>
wei&#x017F;et, und be&#x017F;ondere Freude hat, wann einem an-<lb/>
dern viele Seelen ge&#x017F;chencket werden, wann andere<lb/>
ihn u&#x0364;berwach&#x017F;en und weit &#x017F;cho&#x0364;nere Reichs-Kinder<lb/>
werden; nicht be&#x017F;orget um anderer willen, die mehr<lb/>
Segen haben, den Credit zu verlieren, &#x017F;ondern<lb/>
allein in dem Wohlgefallen GOttes, was ihm<lb/>
aus jeder von &#x017F;einen Creaturen zu bilden beliebig<lb/>
i&#x017F;t, ruhet. Ein &#x017F;olcher unab&#x017F;ichtiger Liebhaber<lb/>
GOttes und der Men&#x017F;chen hat u&#x0364;ber dem Guten<lb/>
und Bo&#x0364;&#x017F;en, &#x017F;o &#x017F;einem Na&#x0364;ch&#x017F;ten begegnet, &#x017F;o gro&#x017F;&#x017F;e<lb/>
Freude und Leyd, als wiederfuhre es ihme &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
und das gibt Freudigkeit vor Chri&#x017F;to.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>§. 18.</head><lb/>
          <p>4) <hi rendition="#fr">Daß du aller Gelegenheit vom<lb/>
Satan gereitzet zu werden/ &#x017F;o viel mo&#x0364;g-<lb/>
lich/ aus dem Wege gehe&#x017F;t/ &#x017F;on&#x017F;t opf-<lb/>
fer&#x017F;t du dich &#x017F;elb&#x017F;t dem Satan auf/ daß<lb/>
er dich gar leicht verfu&#x0364;hren kan.</hi></p><lb/>
          <p>So traue dann deinem Ver&#x017F;tand und Tu-<lb/>
gend niemalen zu viel, daß du meynete&#x017F;t, hie und<lb/>
da unbe&#x017F;cha&#x0364;diget durchzukommen. Ach der Teuf-<lb/>
fel kan dir eine Maus-Falle zurichten, wo du<lb/>
dichs am wenig&#x017F;ten ver&#x017F;iehe&#x017F;t: Er macht es, wie<lb/>
die, &#x017F;o Kinder &#x017F;tehlen, &#x017F;elbige zu entfu&#x0364;hren; &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;agen ihnen wohl nichts von Sto&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, Schla&#x0364;gen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">und</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[336/0354] Cap. 6. Die ſechſte Quelle lichſten Kennzeichen einer wahren Bekeh- rung; wann nemlich jemand vorher hart, eigen- liebig, unbarmhertzig, unempfindlich, und mit dem geiſtlichen Neid und Ehr-Geitz beſeſſen gewe- ſen, nun aber ſich zart-hertzig, und mitleidig be- weiſet, und beſondere Freude hat, wann einem an- dern viele Seelen geſchencket werden, wann andere ihn uͤberwachſen und weit ſchoͤnere Reichs-Kinder werden; nicht beſorget um anderer willen, die mehr Segen haben, den Credit zu verlieren, ſondern allein in dem Wohlgefallen GOttes, was ihm aus jeder von ſeinen Creaturen zu bilden beliebig iſt, ruhet. Ein ſolcher unabſichtiger Liebhaber GOttes und der Menſchen hat uͤber dem Guten und Boͤſen, ſo ſeinem Naͤchſten begegnet, ſo groſſe Freude und Leyd, als wiederfuhre es ihme ſelbſt, und das gibt Freudigkeit vor Chriſto. §. 18. 4) Daß du aller Gelegenheit vom Satan gereitzet zu werden/ ſo viel moͤg- lich/ aus dem Wege geheſt/ ſonſt opf- ferſt du dich ſelbſt dem Satan auf/ daß er dich gar leicht verfuͤhren kan. So traue dann deinem Verſtand und Tu- gend niemalen zu viel, daß du meyneteſt, hie und da unbeſchaͤdiget durchzukommen. Ach der Teuf- fel kan dir eine Maus-Falle zurichten, wo du dichs am wenigſten verſieheſt: Er macht es, wie die, ſo Kinder ſtehlen, ſelbige zu entfuͤhren; ſie ſagen ihnen wohl nichts von Stoͤſſen, Schlaͤgen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/354
Zitationshilfe: Lutz, Samuel: Warnung An Die liebe Jugend. Schaffhausen, 1747, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lucius_warnung_1747/354>, abgerufen am 21.11.2024.