Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.zu thun hast. Tochter eines verarmten Edelmannes, durch Noth und Beschämung dem Abfall von deinem Stande nahe gebracht -- steht plötzlich ein Retter vor dir, ein Mann deines Ranges, geneigt über deine Armuth hinwegzusehen, weil mit den Mitteln ausgerüstet, die Würde des Hauses auch vor der Welt im alten Glanze zu wahren. Und du wolltest fahnenflüchtig werden, aus bürgerlichen Vorurtheilen an dir und mir, an deinem Beruf und an deiner wahren Ehre treulos handeln? Den ganzen Tag über dauerte dieser Kampf zwischen Vater und Tochter. Immer leidenschaftlicher ward die Aufregung Beider, und endlich -- der Abend war schon angebrochen, die Uhr zeigte die Stunde, welche den Grafen Lothar bringen sollte -- schwur der alte Freiherr, daß ihm, wenn sein Wille nicht geschähe, nur ein Schritt blutiger Verzweiflung übrig bliebe, nicht wegen Vereitlung der Heirath selbst, die ihn allerdings auf die wünschenswertheste Weise dem Leben in der großen Welt zurückgeben würde, sondern aus Scham über die Gleichgültigkeit und Ehrlosigkeit seines Kindes. Wie eine Glocke von Blei mochte die Stimme der Gequälten geklungen haben, als sie ihrem Vater sagte: So mag Graf Lothar kommen; ich werde thun, was du willst. Wenige Augenblicke später ritt der Erwartete in Begleitung eines Dieners auf Pferden, die er sich vom zu thun hast. Tochter eines verarmten Edelmannes, durch Noth und Beschämung dem Abfall von deinem Stande nahe gebracht — steht plötzlich ein Retter vor dir, ein Mann deines Ranges, geneigt über deine Armuth hinwegzusehen, weil mit den Mitteln ausgerüstet, die Würde des Hauses auch vor der Welt im alten Glanze zu wahren. Und du wolltest fahnenflüchtig werden, aus bürgerlichen Vorurtheilen an dir und mir, an deinem Beruf und an deiner wahren Ehre treulos handeln? Den ganzen Tag über dauerte dieser Kampf zwischen Vater und Tochter. Immer leidenschaftlicher ward die Aufregung Beider, und endlich — der Abend war schon angebrochen, die Uhr zeigte die Stunde, welche den Grafen Lothar bringen sollte — schwur der alte Freiherr, daß ihm, wenn sein Wille nicht geschähe, nur ein Schritt blutiger Verzweiflung übrig bliebe, nicht wegen Vereitlung der Heirath selbst, die ihn allerdings auf die wünschenswertheste Weise dem Leben in der großen Welt zurückgeben würde, sondern aus Scham über die Gleichgültigkeit und Ehrlosigkeit seines Kindes. Wie eine Glocke von Blei mochte die Stimme der Gequälten geklungen haben, als sie ihrem Vater sagte: So mag Graf Lothar kommen; ich werde thun, was du willst. Wenige Augenblicke später ritt der Erwartete in Begleitung eines Dieners auf Pferden, die er sich vom <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0047"/> zu thun hast. Tochter eines verarmten Edelmannes, durch Noth und Beschämung dem Abfall von deinem Stande nahe gebracht — steht plötzlich ein Retter vor dir, ein Mann deines Ranges, geneigt über deine Armuth hinwegzusehen, weil mit den Mitteln ausgerüstet, die Würde des Hauses auch vor der Welt im alten Glanze zu wahren. Und du wolltest fahnenflüchtig werden, aus bürgerlichen Vorurtheilen an dir und mir, an deinem Beruf und an deiner wahren Ehre treulos handeln?</p><lb/> <p>Den ganzen Tag über dauerte dieser Kampf zwischen Vater und Tochter. Immer leidenschaftlicher ward die Aufregung Beider, und endlich — der Abend war schon angebrochen, die Uhr zeigte die Stunde, welche den Grafen Lothar bringen sollte — schwur der alte Freiherr, daß ihm, wenn sein Wille nicht geschähe, nur ein Schritt blutiger Verzweiflung übrig bliebe, nicht wegen Vereitlung der Heirath selbst, die ihn allerdings auf die wünschenswertheste Weise dem Leben in der großen Welt zurückgeben würde, sondern aus Scham über die Gleichgültigkeit und Ehrlosigkeit seines Kindes.</p><lb/> <p>Wie eine Glocke von Blei mochte die Stimme der Gequälten geklungen haben, als sie ihrem Vater sagte:</p><lb/> <p>So mag Graf Lothar kommen; ich werde thun, was du willst.</p><lb/> <p>Wenige Augenblicke später ritt der Erwartete in Begleitung eines Dieners auf Pferden, die er sich vom<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
zu thun hast. Tochter eines verarmten Edelmannes, durch Noth und Beschämung dem Abfall von deinem Stande nahe gebracht — steht plötzlich ein Retter vor dir, ein Mann deines Ranges, geneigt über deine Armuth hinwegzusehen, weil mit den Mitteln ausgerüstet, die Würde des Hauses auch vor der Welt im alten Glanze zu wahren. Und du wolltest fahnenflüchtig werden, aus bürgerlichen Vorurtheilen an dir und mir, an deinem Beruf und an deiner wahren Ehre treulos handeln?
Den ganzen Tag über dauerte dieser Kampf zwischen Vater und Tochter. Immer leidenschaftlicher ward die Aufregung Beider, und endlich — der Abend war schon angebrochen, die Uhr zeigte die Stunde, welche den Grafen Lothar bringen sollte — schwur der alte Freiherr, daß ihm, wenn sein Wille nicht geschähe, nur ein Schritt blutiger Verzweiflung übrig bliebe, nicht wegen Vereitlung der Heirath selbst, die ihn allerdings auf die wünschenswertheste Weise dem Leben in der großen Welt zurückgeben würde, sondern aus Scham über die Gleichgültigkeit und Ehrlosigkeit seines Kindes.
Wie eine Glocke von Blei mochte die Stimme der Gequälten geklungen haben, als sie ihrem Vater sagte:
So mag Graf Lothar kommen; ich werde thun, was du willst.
Wenige Augenblicke später ritt der Erwartete in Begleitung eines Dieners auf Pferden, die er sich vom
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/47>, abgerufen am 17.02.2025. |