Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Fugen gebracht hat, schaudere ich vor dem Abgrund, an dem wir standen. Das Mädchen starrte ihn mit so stieren Blicken eines fast übermenschlichen Erstaunens an, als wäre sie wahnsinnig, oder betrachte einen Wahnsinnigen. Er mußte unwillkürlich in seiner Rede innehalten, sagte aber dann: Du fürchtest vielleicht die kleinen Verdrießlichkeiten bei der Lösung der widernatürlichen Beziehung zu dem Kaufmann -- wie heißt er? Sei unbesorgt, ich werde kurzen Prozeß machen und die nöthigen Schreibereien auf mich nehmen. Die Sache ist so gut wie fertig. Fertig und abgeschlossen ist, erwiderte sie langsam, absichtlich jedes Wort betonend, daß ich die Braut des Mannes bin, welcher den Namen Leo Thurn führt, und daß ich bis an mein Ende nicht von ihm lassen werde. Dem Manne aber, der in der Absicht kömmt, um die Braut eines Andern zu werben, verschließe ich meine Thüre. Ich habe dir hierauf nur Eins zu sagen, sprach der Baron mit erzwungener Gelassenheit; wäre mir an deiner Stelle ein Sohn geboren worden, so müßte er zur Ehre seines Namens und seines Standes jeden Augenblick bereit sein, sein Leben zu opfern oder sein Glück preiszugeben. Er müßte, so oft der Augenblick es fordert, mit dem Schwerte in der Hand den Feinden seines Hauses oder seines Gebietes entgegentreten, und weder eine zärtliche Neigung, noch ein früheres Versprechen dürfte ihn hindern. Er wäre beschimpft und Fugen gebracht hat, schaudere ich vor dem Abgrund, an dem wir standen. Das Mädchen starrte ihn mit so stieren Blicken eines fast übermenschlichen Erstaunens an, als wäre sie wahnsinnig, oder betrachte einen Wahnsinnigen. Er mußte unwillkürlich in seiner Rede innehalten, sagte aber dann: Du fürchtest vielleicht die kleinen Verdrießlichkeiten bei der Lösung der widernatürlichen Beziehung zu dem Kaufmann — wie heißt er? Sei unbesorgt, ich werde kurzen Prozeß machen und die nöthigen Schreibereien auf mich nehmen. Die Sache ist so gut wie fertig. Fertig und abgeschlossen ist, erwiderte sie langsam, absichtlich jedes Wort betonend, daß ich die Braut des Mannes bin, welcher den Namen Leo Thurn führt, und daß ich bis an mein Ende nicht von ihm lassen werde. Dem Manne aber, der in der Absicht kömmt, um die Braut eines Andern zu werben, verschließe ich meine Thüre. Ich habe dir hierauf nur Eins zu sagen, sprach der Baron mit erzwungener Gelassenheit; wäre mir an deiner Stelle ein Sohn geboren worden, so müßte er zur Ehre seines Namens und seines Standes jeden Augenblick bereit sein, sein Leben zu opfern oder sein Glück preiszugeben. Er müßte, so oft der Augenblick es fordert, mit dem Schwerte in der Hand den Feinden seines Hauses oder seines Gebietes entgegentreten, und weder eine zärtliche Neigung, noch ein früheres Versprechen dürfte ihn hindern. Er wäre beschimpft und <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0045"/> Fugen gebracht hat, schaudere ich vor dem Abgrund, an dem wir standen.</p><lb/> <p>Das Mädchen starrte ihn mit so stieren Blicken eines fast übermenschlichen Erstaunens an, als wäre sie wahnsinnig, oder betrachte einen Wahnsinnigen. Er mußte unwillkürlich in seiner Rede innehalten, sagte aber dann:</p><lb/> <p>Du fürchtest vielleicht die kleinen Verdrießlichkeiten bei der Lösung der widernatürlichen Beziehung zu dem Kaufmann — wie heißt er? Sei unbesorgt, ich werde kurzen Prozeß machen und die nöthigen Schreibereien auf mich nehmen. Die Sache ist so gut wie fertig.</p><lb/> <p>Fertig und abgeschlossen ist, erwiderte sie langsam, absichtlich jedes Wort betonend, daß ich die Braut des Mannes bin, welcher den Namen Leo Thurn führt, und daß ich bis an mein Ende nicht von ihm lassen werde. Dem Manne aber, der in der Absicht kömmt, um die Braut eines Andern zu werben, verschließe ich meine Thüre.</p><lb/> <p>Ich habe dir hierauf nur Eins zu sagen, sprach der Baron mit erzwungener Gelassenheit; wäre mir an deiner Stelle ein Sohn geboren worden, so müßte er zur Ehre seines Namens und seines Standes jeden Augenblick bereit sein, sein Leben zu opfern oder sein Glück preiszugeben. Er müßte, so oft der Augenblick es fordert, mit dem Schwerte in der Hand den Feinden seines Hauses oder seines Gebietes entgegentreten, und weder eine zärtliche Neigung, noch ein früheres Versprechen dürfte ihn hindern. Er wäre beschimpft und<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0045]
Fugen gebracht hat, schaudere ich vor dem Abgrund, an dem wir standen.
Das Mädchen starrte ihn mit so stieren Blicken eines fast übermenschlichen Erstaunens an, als wäre sie wahnsinnig, oder betrachte einen Wahnsinnigen. Er mußte unwillkürlich in seiner Rede innehalten, sagte aber dann:
Du fürchtest vielleicht die kleinen Verdrießlichkeiten bei der Lösung der widernatürlichen Beziehung zu dem Kaufmann — wie heißt er? Sei unbesorgt, ich werde kurzen Prozeß machen und die nöthigen Schreibereien auf mich nehmen. Die Sache ist so gut wie fertig.
Fertig und abgeschlossen ist, erwiderte sie langsam, absichtlich jedes Wort betonend, daß ich die Braut des Mannes bin, welcher den Namen Leo Thurn führt, und daß ich bis an mein Ende nicht von ihm lassen werde. Dem Manne aber, der in der Absicht kömmt, um die Braut eines Andern zu werben, verschließe ich meine Thüre.
Ich habe dir hierauf nur Eins zu sagen, sprach der Baron mit erzwungener Gelassenheit; wäre mir an deiner Stelle ein Sohn geboren worden, so müßte er zur Ehre seines Namens und seines Standes jeden Augenblick bereit sein, sein Leben zu opfern oder sein Glück preiszugeben. Er müßte, so oft der Augenblick es fordert, mit dem Schwerte in der Hand den Feinden seines Hauses oder seines Gebietes entgegentreten, und weder eine zärtliche Neigung, noch ein früheres Versprechen dürfte ihn hindern. Er wäre beschimpft und
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/45>, abgerufen am 17.02.2025. |