Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.das plötzlich in ihr erregte Gefühl still für sich auszukosten. Dann wendete sie sich zu mir, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen, das sich aber in das eines gutmüthigen Spottes verwandelt hatte: Sehen Sie nun selbst ein, gelehrter Kunstkenner, sagte sie, daß die Vertrautheit mit dem Technischen nicht hinreicht, ein großes Werk zu erklären? Das Bild ist von dem "modernen Nazarenerthum", wie Sie es nennen, deßhalb verschieden, weil die Frömmigkeit, die es athmet, den Glauben nicht als ein gedankenlos überkommenes Gut, sondern als ein selbsterkämpftes Ideal verherrlicht. Mehr Rücksicht auf die Farbe würde nur verhindern, daß sich der Accent voll und ungetheilt auf Gedanken und Empfindungen lege. Im Antlitz der Mutter hat das Ideal bereits gesiegt, worunter ich nicht irgend einen positiven Glauben, sondern nur eine von der Welt abgekehrte Lebensanschauung verstehe. Im Antlitz des heiligen Augustin aber ist das Ideal noch im Kampfe mit der Welt begriffen, Alles jedoch verheißt, daß es unzweifelhaft siegen werde. So herrscht in diesem Bilde dasselbe heißbewegte Leben, das in einem Menschenherzen vorgeht, wenn es durch Schuld oder Unglück auf einen Weg gestoßen wird, wo ihm nichts mehr übrig bleibt, als nach Ueberwindung zu ringen. Mir war das Bild darin eine anspornende Lehre, ein beistehender Genosse. Sie hielt einen Augenblicke inne und fuhr dann leichtern Tones fort: Ja, das Bild ist mir ein theures das plötzlich in ihr erregte Gefühl still für sich auszukosten. Dann wendete sie sich zu mir, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen, das sich aber in das eines gutmüthigen Spottes verwandelt hatte: Sehen Sie nun selbst ein, gelehrter Kunstkenner, sagte sie, daß die Vertrautheit mit dem Technischen nicht hinreicht, ein großes Werk zu erklären? Das Bild ist von dem „modernen Nazarenerthum“, wie Sie es nennen, deßhalb verschieden, weil die Frömmigkeit, die es athmet, den Glauben nicht als ein gedankenlos überkommenes Gut, sondern als ein selbsterkämpftes Ideal verherrlicht. Mehr Rücksicht auf die Farbe würde nur verhindern, daß sich der Accent voll und ungetheilt auf Gedanken und Empfindungen lege. Im Antlitz der Mutter hat das Ideal bereits gesiegt, worunter ich nicht irgend einen positiven Glauben, sondern nur eine von der Welt abgekehrte Lebensanschauung verstehe. Im Antlitz des heiligen Augustin aber ist das Ideal noch im Kampfe mit der Welt begriffen, Alles jedoch verheißt, daß es unzweifelhaft siegen werde. So herrscht in diesem Bilde dasselbe heißbewegte Leben, das in einem Menschenherzen vorgeht, wenn es durch Schuld oder Unglück auf einen Weg gestoßen wird, wo ihm nichts mehr übrig bleibt, als nach Ueberwindung zu ringen. Mir war das Bild darin eine anspornende Lehre, ein beistehender Genosse. Sie hielt einen Augenblicke inne und fuhr dann leichtern Tones fort: Ja, das Bild ist mir ein theures <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0032"/> das plötzlich in ihr erregte Gefühl still für sich auszukosten. Dann wendete sie sich zu mir, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen, das sich aber in das eines gutmüthigen Spottes verwandelt hatte:</p><lb/> <p>Sehen Sie nun selbst ein, gelehrter Kunstkenner, sagte sie, daß die Vertrautheit mit dem Technischen nicht hinreicht, ein großes Werk zu erklären? Das Bild ist von dem „modernen Nazarenerthum“, wie Sie es nennen, deßhalb verschieden, weil die Frömmigkeit, die es athmet, den Glauben nicht als ein gedankenlos überkommenes Gut, sondern als ein selbsterkämpftes Ideal verherrlicht. Mehr Rücksicht auf die Farbe würde nur verhindern, daß sich der Accent voll und ungetheilt auf Gedanken und Empfindungen lege. Im Antlitz der Mutter hat das Ideal bereits gesiegt, worunter ich nicht irgend einen positiven Glauben, sondern nur eine von der Welt abgekehrte Lebensanschauung verstehe. Im Antlitz des heiligen Augustin aber ist das Ideal noch im Kampfe mit der Welt begriffen, Alles jedoch verheißt, daß es unzweifelhaft siegen werde. So herrscht in diesem Bilde dasselbe heißbewegte Leben, das in einem Menschenherzen vorgeht, wenn es durch Schuld oder Unglück auf einen Weg gestoßen wird, wo ihm nichts mehr übrig bleibt, als nach Ueberwindung zu ringen. Mir war das Bild darin eine anspornende Lehre, ein beistehender Genosse.</p><lb/> <p>Sie hielt einen Augenblicke inne und fuhr dann leichtern Tones fort: Ja, das Bild ist mir ein theures<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
das plötzlich in ihr erregte Gefühl still für sich auszukosten. Dann wendete sie sich zu mir, noch immer mit einem Lächeln auf den Lippen, das sich aber in das eines gutmüthigen Spottes verwandelt hatte:
Sehen Sie nun selbst ein, gelehrter Kunstkenner, sagte sie, daß die Vertrautheit mit dem Technischen nicht hinreicht, ein großes Werk zu erklären? Das Bild ist von dem „modernen Nazarenerthum“, wie Sie es nennen, deßhalb verschieden, weil die Frömmigkeit, die es athmet, den Glauben nicht als ein gedankenlos überkommenes Gut, sondern als ein selbsterkämpftes Ideal verherrlicht. Mehr Rücksicht auf die Farbe würde nur verhindern, daß sich der Accent voll und ungetheilt auf Gedanken und Empfindungen lege. Im Antlitz der Mutter hat das Ideal bereits gesiegt, worunter ich nicht irgend einen positiven Glauben, sondern nur eine von der Welt abgekehrte Lebensanschauung verstehe. Im Antlitz des heiligen Augustin aber ist das Ideal noch im Kampfe mit der Welt begriffen, Alles jedoch verheißt, daß es unzweifelhaft siegen werde. So herrscht in diesem Bilde dasselbe heißbewegte Leben, das in einem Menschenherzen vorgeht, wenn es durch Schuld oder Unglück auf einen Weg gestoßen wird, wo ihm nichts mehr übrig bleibt, als nach Ueberwindung zu ringen. Mir war das Bild darin eine anspornende Lehre, ein beistehender Genosse.
Sie hielt einen Augenblicke inne und fuhr dann leichtern Tones fort: Ja, das Bild ist mir ein theures
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/32 |
Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/32>, abgerufen am 17.02.2025. |