Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.mich einige Augenblicke stumm und verlegen. Mit unwillkürlicher Galanterie versetzte ich endlich: Wie Viele, die im Sommer in dieser Gegend Villeggiatur halten, würden auch im Winter sich einfinden, wenn sie wüßten, daß die Gastfreundschaft der Freifrau von Börte an diese Jahreszeit geknüpft ist! Die würden sich verrechnen, die zu diesem Zwecke kämen, entgegnete sie lachend; nur daß ich zum erstenmale einen Städter in dieser Gegend traf, an einem Wintertage, ist Ursache, daß ich nicht vor ihm flüchtete. Ich selbst war im nahen Walde, beobachtete, von Ihnen ungesehen, wie kräftig und fröhlich Sie dahinschritten, offenbar erquickt von dem seltenen Naturgenuß, und folgte Ihnen, als Sie die Richtung nach meinem Hause einschlugen. Ich hatte sogar halb schon den Muth gefaßt zu dem Entschlusse, Sie aus freien Stücken anzusprechen, bevor noch Ihre Begegnung mit Crescenzia dazu Veranlassung gab. Und wenn der Wald jetzt statt in Schnee in das Grün seiner Blätter gekleidet wäre, so würden Sie dies nicht gethan haben? fragte ich, im Innern beflissen, mir über die Umdämmerung des Geistes, wenn sie in der That vorhanden sein sollte, so bald als möglich klar zu werden. War vielleicht dieser Unterschied im Verhalten zu den Menschen nach Maßgabe der Jahreszeiten eine von den Aeußerungen des gestörtenSeelenlebens? Ihre Antwort widerlegte jedoch diese Annahme. mich einige Augenblicke stumm und verlegen. Mit unwillkürlicher Galanterie versetzte ich endlich: Wie Viele, die im Sommer in dieser Gegend Villeggiatur halten, würden auch im Winter sich einfinden, wenn sie wüßten, daß die Gastfreundschaft der Freifrau von Börte an diese Jahreszeit geknüpft ist! Die würden sich verrechnen, die zu diesem Zwecke kämen, entgegnete sie lachend; nur daß ich zum erstenmale einen Städter in dieser Gegend traf, an einem Wintertage, ist Ursache, daß ich nicht vor ihm flüchtete. Ich selbst war im nahen Walde, beobachtete, von Ihnen ungesehen, wie kräftig und fröhlich Sie dahinschritten, offenbar erquickt von dem seltenen Naturgenuß, und folgte Ihnen, als Sie die Richtung nach meinem Hause einschlugen. Ich hatte sogar halb schon den Muth gefaßt zu dem Entschlusse, Sie aus freien Stücken anzusprechen, bevor noch Ihre Begegnung mit Crescenzia dazu Veranlassung gab. Und wenn der Wald jetzt statt in Schnee in das Grün seiner Blätter gekleidet wäre, so würden Sie dies nicht gethan haben? fragte ich, im Innern beflissen, mir über die Umdämmerung des Geistes, wenn sie in der That vorhanden sein sollte, so bald als möglich klar zu werden. War vielleicht dieser Unterschied im Verhalten zu den Menschen nach Maßgabe der Jahreszeiten eine von den Aeußerungen des gestörtenSeelenlebens? Ihre Antwort widerlegte jedoch diese Annahme. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0025"/> mich einige Augenblicke stumm und verlegen. Mit unwillkürlicher Galanterie versetzte ich endlich:</p><lb/> <p>Wie Viele, die im Sommer in dieser Gegend Villeggiatur halten, würden auch im Winter sich einfinden, wenn sie wüßten, daß die Gastfreundschaft der Freifrau von Börte an diese Jahreszeit geknüpft ist!</p><lb/> <p>Die würden sich verrechnen, die zu diesem Zwecke kämen, entgegnete sie lachend; nur daß ich zum erstenmale einen Städter in dieser Gegend traf, an einem Wintertage, ist Ursache, daß ich nicht vor ihm flüchtete. Ich selbst war im nahen Walde, beobachtete, von Ihnen ungesehen, wie kräftig und fröhlich Sie dahinschritten, offenbar erquickt von dem seltenen Naturgenuß, und folgte Ihnen, als Sie die Richtung nach meinem Hause einschlugen. Ich hatte sogar halb schon den Muth gefaßt zu dem Entschlusse, Sie aus freien Stücken anzusprechen, bevor noch Ihre Begegnung mit Crescenzia dazu Veranlassung gab.</p><lb/> <p>Und wenn der Wald jetzt statt in Schnee in das Grün seiner Blätter gekleidet wäre, so würden Sie dies nicht gethan haben? fragte ich, im Innern beflissen, mir über die Umdämmerung des Geistes, wenn sie in der That vorhanden sein sollte, so bald als möglich klar zu werden. War vielleicht dieser Unterschied im Verhalten zu den Menschen nach Maßgabe der Jahreszeiten eine von den Aeußerungen des gestörtenSeelenlebens?</p><lb/> <p>Ihre Antwort widerlegte jedoch diese Annahme.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0025]
mich einige Augenblicke stumm und verlegen. Mit unwillkürlicher Galanterie versetzte ich endlich:
Wie Viele, die im Sommer in dieser Gegend Villeggiatur halten, würden auch im Winter sich einfinden, wenn sie wüßten, daß die Gastfreundschaft der Freifrau von Börte an diese Jahreszeit geknüpft ist!
Die würden sich verrechnen, die zu diesem Zwecke kämen, entgegnete sie lachend; nur daß ich zum erstenmale einen Städter in dieser Gegend traf, an einem Wintertage, ist Ursache, daß ich nicht vor ihm flüchtete. Ich selbst war im nahen Walde, beobachtete, von Ihnen ungesehen, wie kräftig und fröhlich Sie dahinschritten, offenbar erquickt von dem seltenen Naturgenuß, und folgte Ihnen, als Sie die Richtung nach meinem Hause einschlugen. Ich hatte sogar halb schon den Muth gefaßt zu dem Entschlusse, Sie aus freien Stücken anzusprechen, bevor noch Ihre Begegnung mit Crescenzia dazu Veranlassung gab.
Und wenn der Wald jetzt statt in Schnee in das Grün seiner Blätter gekleidet wäre, so würden Sie dies nicht gethan haben? fragte ich, im Innern beflissen, mir über die Umdämmerung des Geistes, wenn sie in der That vorhanden sein sollte, so bald als möglich klar zu werden. War vielleicht dieser Unterschied im Verhalten zu den Menschen nach Maßgabe der Jahreszeiten eine von den Aeußerungen des gestörtenSeelenlebens?
Ihre Antwort widerlegte jedoch diese Annahme.
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/25>, abgerufen am 17.02.2025. |