Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.turgenuß in Landpartieen während der heißen Jahreszeit erschöpft. Allein ich bin eben Einer "vom Lande". Bald stieg ich wie mit beschwingtem Schritte aufwärts, wo nur die Bergpfade gangbar waren, ohne in der nivellirenden Schneefläche ein besonderes Ziel ins Auge fassen zu können, oder mich sonderlich um eines zu kümmern. Es war windstill und sonnig; das jungfräuliche Knirschen des Schnee's unter dem Fuß, der ihn zum erstenmal berührte, spornte die Kraft des Gehens an, und der Kälte den erhöhten Blutumlauf durch die eigene Bewegung entgegenzusetzen, war eine unvergleichliche Erquickung. Ich weiß nicht, wie lange ich kletterte und wie lange ich noch geklettert wäre, wenn nicht plötzlich eine Art physischen Heimwehs mich überfallen hätte. Dies Heimweh war nichts weiter als Hunger, aber ein wahrer Kuhreigen des Magens, ein Hunger, wie ich ihn, seit ich von meiner Heimath und von meiner Jugend geschieden war, nicht mehr verspürt hatte. Nun wußte ich zwar, daß ich den Rückweg zu suchen, aber nicht, wie ich ihn zu finden hatte. Das Einfachste war freilich, mich umzudrehen und abwärts zu steigen. Allein schon nach wenigen Augenblicken erkannte ich von der Gegend, in welcher alle Unterschiede verschneit waren, wenigstens soviel, daß ich mich nicht auf demselben Wege befand, auf welchem ich in die Höhe gekommen war. Gleichviel! dachte ich, wenn ich auch statt meines Wirthshauses nur irgend einen Rauch finde, der an- turgenuß in Landpartieen während der heißen Jahreszeit erschöpft. Allein ich bin eben Einer „vom Lande“. Bald stieg ich wie mit beschwingtem Schritte aufwärts, wo nur die Bergpfade gangbar waren, ohne in der nivellirenden Schneefläche ein besonderes Ziel ins Auge fassen zu können, oder mich sonderlich um eines zu kümmern. Es war windstill und sonnig; das jungfräuliche Knirschen des Schnee's unter dem Fuß, der ihn zum erstenmal berührte, spornte die Kraft des Gehens an, und der Kälte den erhöhten Blutumlauf durch die eigene Bewegung entgegenzusetzen, war eine unvergleichliche Erquickung. Ich weiß nicht, wie lange ich kletterte und wie lange ich noch geklettert wäre, wenn nicht plötzlich eine Art physischen Heimwehs mich überfallen hätte. Dies Heimweh war nichts weiter als Hunger, aber ein wahrer Kuhreigen des Magens, ein Hunger, wie ich ihn, seit ich von meiner Heimath und von meiner Jugend geschieden war, nicht mehr verspürt hatte. Nun wußte ich zwar, daß ich den Rückweg zu suchen, aber nicht, wie ich ihn zu finden hatte. Das Einfachste war freilich, mich umzudrehen und abwärts zu steigen. Allein schon nach wenigen Augenblicken erkannte ich von der Gegend, in welcher alle Unterschiede verschneit waren, wenigstens soviel, daß ich mich nicht auf demselben Wege befand, auf welchem ich in die Höhe gekommen war. Gleichviel! dachte ich, wenn ich auch statt meines Wirthshauses nur irgend einen Rauch finde, der an- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="4"> <p><pb facs="#f0022"/> turgenuß in Landpartieen während der heißen Jahreszeit erschöpft. Allein ich bin eben Einer „vom Lande“.</p><lb/> <p>Bald stieg ich wie mit beschwingtem Schritte aufwärts, wo nur die Bergpfade gangbar waren, ohne in der nivellirenden Schneefläche ein besonderes Ziel ins Auge fassen zu können, oder mich sonderlich um eines zu kümmern. Es war windstill und sonnig; das jungfräuliche Knirschen des Schnee's unter dem Fuß, der ihn zum erstenmal berührte, spornte die Kraft des Gehens an, und der Kälte den erhöhten Blutumlauf durch die eigene Bewegung entgegenzusetzen, war eine unvergleichliche Erquickung.</p><lb/> <p>Ich weiß nicht, wie lange ich kletterte und wie lange ich noch geklettert wäre, wenn nicht plötzlich eine Art physischen Heimwehs mich überfallen hätte. Dies Heimweh war nichts weiter als Hunger, aber ein wahrer Kuhreigen des Magens, ein Hunger, wie ich ihn, seit ich von meiner Heimath und von meiner Jugend geschieden war, nicht mehr verspürt hatte. Nun wußte ich zwar, daß ich den Rückweg zu suchen, aber nicht, wie ich ihn zu finden hatte. Das Einfachste war freilich, mich umzudrehen und abwärts zu steigen. Allein schon nach wenigen Augenblicken erkannte ich von der Gegend, in welcher alle Unterschiede verschneit waren, wenigstens soviel, daß ich mich nicht auf demselben Wege befand, auf welchem ich in die Höhe gekommen war.</p><lb/> <p>Gleichviel! dachte ich, wenn ich auch statt meines Wirthshauses nur irgend einen Rauch finde, der an-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0022]
turgenuß in Landpartieen während der heißen Jahreszeit erschöpft. Allein ich bin eben Einer „vom Lande“.
Bald stieg ich wie mit beschwingtem Schritte aufwärts, wo nur die Bergpfade gangbar waren, ohne in der nivellirenden Schneefläche ein besonderes Ziel ins Auge fassen zu können, oder mich sonderlich um eines zu kümmern. Es war windstill und sonnig; das jungfräuliche Knirschen des Schnee's unter dem Fuß, der ihn zum erstenmal berührte, spornte die Kraft des Gehens an, und der Kälte den erhöhten Blutumlauf durch die eigene Bewegung entgegenzusetzen, war eine unvergleichliche Erquickung.
Ich weiß nicht, wie lange ich kletterte und wie lange ich noch geklettert wäre, wenn nicht plötzlich eine Art physischen Heimwehs mich überfallen hätte. Dies Heimweh war nichts weiter als Hunger, aber ein wahrer Kuhreigen des Magens, ein Hunger, wie ich ihn, seit ich von meiner Heimath und von meiner Jugend geschieden war, nicht mehr verspürt hatte. Nun wußte ich zwar, daß ich den Rückweg zu suchen, aber nicht, wie ich ihn zu finden hatte. Das Einfachste war freilich, mich umzudrehen und abwärts zu steigen. Allein schon nach wenigen Augenblicken erkannte ich von der Gegend, in welcher alle Unterschiede verschneit waren, wenigstens soviel, daß ich mich nicht auf demselben Wege befand, auf welchem ich in die Höhe gekommen war.
Gleichviel! dachte ich, wenn ich auch statt meines Wirthshauses nur irgend einen Rauch finde, der an-
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/22>, abgerufen am 17.02.2025. |