Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Fremden gar nicht ausgesprochen hätte; ich aber wäre wie sie Wohl sehe, ein rechtschaffener Mann und würde es nicht weitertragen. Ich erkannte, daß ich wohl gethan, früher keine directe Anfrage zu stellen, man würde mir mißtrauisch jede weitere Aufklärung versagt haben. Denn aus Liebe zu der seltsamen Frau, oder um einem Auftrag von ihr zu gehorchen, war man beflissen, ihr Fremde ferne zu halten und deßhalb Erkundigungen nach ihr nicht zu beantworten. Nach dem großen Fortschritt aber, den ich in dem Vertrauen meiner Wirthin gemacht hatte, durfte ich nun schon die Aufforderung wagen, mir die Schicksale und Lebensumstände der Frau von Börte zu berichten. III. Aus den überflüssig langen Erzählungen der Wirthin ergab sich nun der folgende lückenhafte Thatbestand: Der Baron von Börte, der Vater der "Freifrau", war ein tiefverschuldeter Edelmann aus uraltem Hause. Das Schloß im Gebirge, in dessen Nähe ich mich jetzt befand, war ursprünglich nur ein Jagdhaus und zu dauerndem Wohnsitz nicht eingerichtet gewesen. Nachdem aber der Baron, ermattet vom Kampf mit dem Leben, seine übrigen Besitzthümer den Gläubigern preisgegeben hatte, opferte er auch seine Stellung bei Hof und in der Regierung, aus dem vollen Untergange nur Fremden gar nicht ausgesprochen hätte; ich aber wäre wie sie Wohl sehe, ein rechtschaffener Mann und würde es nicht weitertragen. Ich erkannte, daß ich wohl gethan, früher keine directe Anfrage zu stellen, man würde mir mißtrauisch jede weitere Aufklärung versagt haben. Denn aus Liebe zu der seltsamen Frau, oder um einem Auftrag von ihr zu gehorchen, war man beflissen, ihr Fremde ferne zu halten und deßhalb Erkundigungen nach ihr nicht zu beantworten. Nach dem großen Fortschritt aber, den ich in dem Vertrauen meiner Wirthin gemacht hatte, durfte ich nun schon die Aufforderung wagen, mir die Schicksale und Lebensumstände der Frau von Börte zu berichten. III. Aus den überflüssig langen Erzählungen der Wirthin ergab sich nun der folgende lückenhafte Thatbestand: Der Baron von Börte, der Vater der „Freifrau“, war ein tiefverschuldeter Edelmann aus uraltem Hause. Das Schloß im Gebirge, in dessen Nähe ich mich jetzt befand, war ursprünglich nur ein Jagdhaus und zu dauerndem Wohnsitz nicht eingerichtet gewesen. Nachdem aber der Baron, ermattet vom Kampf mit dem Leben, seine übrigen Besitzthümer den Gläubigern preisgegeben hatte, opferte er auch seine Stellung bei Hof und in der Regierung, aus dem vollen Untergange nur <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0014"/> Fremden gar nicht ausgesprochen hätte; ich aber wäre wie sie Wohl sehe, ein rechtschaffener Mann und würde es nicht weitertragen. Ich erkannte, daß ich wohl gethan, früher keine directe Anfrage zu stellen, man würde mir mißtrauisch jede weitere Aufklärung versagt haben. Denn aus Liebe zu der seltsamen Frau, oder um einem Auftrag von ihr zu gehorchen, war man beflissen, ihr Fremde ferne zu halten und deßhalb Erkundigungen nach ihr nicht zu beantworten. Nach dem großen Fortschritt aber, den ich in dem Vertrauen meiner Wirthin gemacht hatte, durfte ich nun schon die Aufforderung wagen, mir die Schicksale und Lebensumstände der Frau von Börte zu berichten.</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="3"> <head>III.</head> <p>Aus den überflüssig langen Erzählungen der Wirthin ergab sich nun der folgende lückenhafte Thatbestand:</p><lb/> <p>Der Baron von Börte, der Vater der „Freifrau“, war ein tiefverschuldeter Edelmann aus uraltem Hause. Das Schloß im Gebirge, in dessen Nähe ich mich jetzt befand, war ursprünglich nur ein Jagdhaus und zu dauerndem Wohnsitz nicht eingerichtet gewesen. Nachdem aber der Baron, ermattet vom Kampf mit dem Leben, seine übrigen Besitzthümer den Gläubigern preisgegeben hatte, opferte er auch seine Stellung bei Hof und in der Regierung, aus dem vollen Untergange nur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0014]
Fremden gar nicht ausgesprochen hätte; ich aber wäre wie sie Wohl sehe, ein rechtschaffener Mann und würde es nicht weitertragen. Ich erkannte, daß ich wohl gethan, früher keine directe Anfrage zu stellen, man würde mir mißtrauisch jede weitere Aufklärung versagt haben. Denn aus Liebe zu der seltsamen Frau, oder um einem Auftrag von ihr zu gehorchen, war man beflissen, ihr Fremde ferne zu halten und deßhalb Erkundigungen nach ihr nicht zu beantworten. Nach dem großen Fortschritt aber, den ich in dem Vertrauen meiner Wirthin gemacht hatte, durfte ich nun schon die Aufforderung wagen, mir die Schicksale und Lebensumstände der Frau von Börte zu berichten.
III. Aus den überflüssig langen Erzählungen der Wirthin ergab sich nun der folgende lückenhafte Thatbestand:
Der Baron von Börte, der Vater der „Freifrau“, war ein tiefverschuldeter Edelmann aus uraltem Hause. Das Schloß im Gebirge, in dessen Nähe ich mich jetzt befand, war ursprünglich nur ein Jagdhaus und zu dauerndem Wohnsitz nicht eingerichtet gewesen. Nachdem aber der Baron, ermattet vom Kampf mit dem Leben, seine übrigen Besitzthümer den Gläubigern preisgegeben hatte, opferte er auch seine Stellung bei Hof und in der Regierung, aus dem vollen Untergange nur
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Zitationshilfe: | Lorm, Hieronymus [d. i. Heinrich Landesmann]: Ein adeliges Fräulein. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 24. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–49. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorm_fraeulein_1910/14>, abgerufen am 17.02.2025. |