Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845.

Bild:
<< vorherige Seite

Wissens an der Enthaltsamkeit gestorben. - Viel heftiger und schwerer als diese körperlichen Affectionen waren die Kämpfe und Versuchungen der Seele, bei welchen Viele eine wahre Feuerprobe zu bestehen hatten. Keiner vielleicht ist so hart versucht worden, als ein alter Trunkenbold in D. Piekar, der den Branntwein nicht mehr aus Gläsern, sondern aus einem großen Kruge zu trinken pflegte, welchen er täglich wenigstens dreimal füllen ließ. Sein Angesicht war durch die fortwährende Umneblung aus widerwärtige Weise entstellt, die Augen quollen stier und gläsern aus dem Kopfe hervor, sein Athem war wie Feuerflammen; zur Arbeit war er fast untüchtig, obgleich er die Besinnung nie völlig verlor. Nachdem dieser Mensch sein Gelübde gethan, zu welchem er sich rasch und aufrichtig entschlossen, wurde er von stärkerem Zittern als jemals, und bald auch von so brennender Begierde zum Branntweintrinken befallen, als ob ihn eine unwiderstehliche Gewalt in die Schänke fortreißen wollte. Mehrmal auf dem Wege dahin, kehrte er doch jedesmal wieder um. Am achten Tage wurde der Drang so heftig, daß der Arme bereits auf der Schwelle des Wirthshauses stand. Auch diesmal gewann er den Sieg über sich selbst, und am neunten Tage war er von jeder Versuchung befreit und zugleich von seinem Zittern vollständig geheilt. Der tapfere Streiter ist jezt ein glücklicher Mensch geworden; sein ganzes Aussehen hat sich veredelt, mit der Gesundheit ist auch die äußere Lage gebessert,

Wissens an der Enthaltsamkeit gestorben. – Viel heftiger und schwerer als diese körperlichen Affectionen waren die Kämpfe und Versuchungen der Seele, bei welchen Viele eine wahre Feuerprobe zu bestehen hatten. Keiner vielleicht ist so hart versucht worden, als ein alter Trunkenbold in D. Piekar, der den Branntwein nicht mehr aus Gläsern, sondern aus einem großen Kruge zu trinken pflegte, welchen er täglich wenigstens dreimal füllen ließ. Sein Angesicht war durch die fortwährende Umneblung aus widerwärtige Weise entstellt, die Augen quollen stier und gläsern aus dem Kopfe hervor, sein Athem war wie Feuerflammen; zur Arbeit war er fast untüchtig, obgleich er die Besinnung nie völlig verlor. Nachdem dieser Mensch sein Gelübde gethan, zu welchem er sich rasch und aufrichtig entschlossen, wurde er von stärkerem Zittern als jemals, und bald auch von so brennender Begierde zum Branntweintrinken befallen, als ob ihn eine unwiderstehliche Gewalt in die Schänke fortreißen wollte. Mehrmal auf dem Wege dahin, kehrte er doch jedesmal wieder um. Am achten Tage wurde der Drang so heftig, daß der Arme bereits auf der Schwelle des Wirthshauses stand. Auch diesmal gewann er den Sieg über sich selbst, und am neunten Tage war er von jeder Versuchung befreit und zugleich von seinem Zittern vollständig geheilt. Der tapfere Streiter ist jezt ein glücklicher Mensch geworden; sein ganzes Aussehen hat sich veredelt, mit der Gesundheit ist auch die äußere Lage gebessert,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0082" n="72"/>
Wissens an der Enthaltsamkeit gestorben. &#x2013; Viel heftiger und schwerer als diese körperlichen Affectionen waren die Kämpfe und Versuchungen der Seele, bei welchen Viele eine wahre Feuerprobe zu bestehen hatten. Keiner vielleicht ist so hart versucht worden, als ein alter Trunkenbold in D. Piekar, der den Branntwein nicht mehr aus Gläsern, sondern aus einem großen Kruge zu trinken pflegte, welchen er täglich wenigstens dreimal füllen ließ. Sein Angesicht war durch die fortwährende Umneblung aus widerwärtige Weise entstellt, die Augen quollen stier und gläsern aus dem Kopfe hervor, sein Athem war wie Feuerflammen; zur Arbeit war er fast untüchtig, obgleich er die Besinnung nie völlig verlor. Nachdem dieser Mensch sein Gelübde gethan, zu welchem er sich rasch und aufrichtig entschlossen, wurde er von stärkerem Zittern als jemals, und bald auch von so brennender Begierde zum Branntweintrinken befallen, als ob ihn eine unwiderstehliche Gewalt in die Schänke fortreißen wollte. Mehrmal auf dem Wege dahin, kehrte er doch jedesmal wieder um. Am achten Tage wurde der Drang so heftig, daß der Arme bereits auf der Schwelle des Wirthshauses stand. Auch diesmal gewann er den Sieg über sich selbst, und am neunten Tage war er von jeder Versuchung befreit und zugleich von seinem Zittern vollständig geheilt. Der tapfere Streiter ist jezt ein glücklicher Mensch geworden; sein ganzes Aussehen hat sich veredelt, mit der Gesundheit ist auch die äußere Lage gebessert,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[72/0082] Wissens an der Enthaltsamkeit gestorben. – Viel heftiger und schwerer als diese körperlichen Affectionen waren die Kämpfe und Versuchungen der Seele, bei welchen Viele eine wahre Feuerprobe zu bestehen hatten. Keiner vielleicht ist so hart versucht worden, als ein alter Trunkenbold in D. Piekar, der den Branntwein nicht mehr aus Gläsern, sondern aus einem großen Kruge zu trinken pflegte, welchen er täglich wenigstens dreimal füllen ließ. Sein Angesicht war durch die fortwährende Umneblung aus widerwärtige Weise entstellt, die Augen quollen stier und gläsern aus dem Kopfe hervor, sein Athem war wie Feuerflammen; zur Arbeit war er fast untüchtig, obgleich er die Besinnung nie völlig verlor. Nachdem dieser Mensch sein Gelübde gethan, zu welchem er sich rasch und aufrichtig entschlossen, wurde er von stärkerem Zittern als jemals, und bald auch von so brennender Begierde zum Branntweintrinken befallen, als ob ihn eine unwiderstehliche Gewalt in die Schänke fortreißen wollte. Mehrmal auf dem Wege dahin, kehrte er doch jedesmal wieder um. Am achten Tage wurde der Drang so heftig, daß der Arme bereits auf der Schwelle des Wirthshauses stand. Auch diesmal gewann er den Sieg über sich selbst, und am neunten Tage war er von jeder Versuchung befreit und zugleich von seinem Zittern vollständig geheilt. Der tapfere Streiter ist jezt ein glücklicher Mensch geworden; sein ganzes Aussehen hat sich veredelt, mit der Gesundheit ist auch die äußere Lage gebessert,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2013-04-11T13:16:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-04-11T13:16:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2013-04-11T13:16:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lorinser_branntweinpest_1845
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lorinser_branntweinpest_1845/82
Zitationshilfe: Lorinser, Carl Ignaz: Der Sieg über die Branntweinpest in Oberschlesien. Oppeln, 1845, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lorinser_branntweinpest_1845/82>, abgerufen am 04.05.2024.